Die Zürcher Kehrichtabfuhr hat verstanden, was bedeutet», sagt Kurt Schmid, CEO der Werbeagentur Lowe, «das Abfallreglement wird in über zehn Sprachen beschriftet.» Doch wenn er manche Definitionen von Zielgruppen in Werbebriefings ansehe, dann habe dies nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sagt Schmid in seinem Büro in Zürich.

Denn fast alle Zielgruppen seien zwischen 25 und 35 Jahre alt, erfolgreich, sportlich und fahren am Wochenende Snowboard. «Aber fast ein Drittel der Einwohner von Zürich sind Ausländer, darunter viele gebildete Deutsche. Über solche Gruppen lese ich in Marketing-Briefings nie etwas», sagt Schmid, Initiator des New Diversity Forum 2005.

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Dann breitet Schmid auf dem Tisch Anzeigen des englischen Lebensmittelverteilers Tesco aus: «Sehen Sie, da werden Juden, Moslems und Hindus gezielt angesprochen.»

Die ganze Vielfalt korrekt ansprechen

Kurt Schmid spricht nicht nur von Ausländern, sondern von der ganzen Vielfalt der Gesellschaft: Von Sehbehinderten, Gamern, Hundehaltern, Frauen über 70, Grünteetrinkern usw. Für Kurt Schmid ist Diversity eine Grundhaltung, der Welt mit offenen Augen zu begegnen.

Als er vor vier Jahren die Leitung der Agentur Lowe übernahm, stellte er nicht einen der bekannten Zürcher Creative Directors ein, sondern einen Australier. Folglich wurden die Kundensitzungen in Englisch abgehalten. Kunden wie Möbel Pfister hat dies verärgert. Orange oder der Credit Suisse gefällt diese Haltung. Denn internationale Unternehmen sind von der Diversity-Thematik stärker betroffen.

Wenn im Globalunternehmen Sprache, Denken und Werte verschiedener Kulturen abgebildet sind, kann empathischer kommuniziert werden. Das wird umso relevanter, da Marken globale Zeichen werden. Denn Zeichen sind kulturell codiert.

Kein Wunder, dass Chevrolet Mühe hatte, den «Nova» in Spanien einzuführen, wo dies sich doch wie «geht nicht» anhört. Der Ford «Pinto» hatte in Brasilien wenig Erfolg der Name bezeichnet einen Mann mit kleinem Geschlechtsteil.

Und Electrolux wollte in den USA mit dem Slogan «Nichts saugt wie ein Electrolux» einen Staubsauger einführen. Die Übersetzung lautete «Nothing sucks like an Electrolux», was «nichts nervt wie ein Electrolux» bedeutet.

Auch Farben sind keine universellen Symbole: Viele Markenlogos beinhalten Blau, was wir mit Treue verbinden. Aber in China steht Blau für einen sozialen Aufstieg mit Schattenseiten. Die Spinne symbolisiert bei uns etwas Bedrohliches, in Indien die kosmische Ordnung.

32 nichtchristliche Religionen allein in Luzern

Das Problem des abweichenden kulturellen Verständnisses ergibt sich auch innerhalb unserer Gesellschaft, da diese pluralistischer wird. Obwohl dieser Pluralismus nicht ganz so neu ist. Immerhin leben in der viersprachigen Schweiz seit Jahrhunderten Katholiken, Protestanten und Juden.

Aber früher verliefen kulturelle Grenzen schärfer entlang geografischer Trennlinien: In einem Walliser Tal lebte man ziemlich abgeschottet vom Rest der Welt, während man heute im selben Walliser Tal dank medialer Vernetzung und sozialer Mobilität bei den Musicstars mitfiebert.

Zürich war protestantisch, Luzern katholisch. Das Religionswissenschaftliche Institut der Universität Luzern hat nun allein in Luzern über 30 nichtchristliche religiöse Gruppen registriert darunter eine Talmud-Schule, eine tamilische Sai-Baba-Gruppe und einen Druidenorden.

Die Migros, in der im Jahr 2004 immerhin 99% aller Schweizer Haushalte mindestens einmal einkauften, reagiert auf die gesellschaftliche Pluralisierung mit einem modularen Aufbau des Sortiments. Nach der M-Budget-Linie soll dieses Jahr noch eine Premium-Linie im Markt eingeführt werden.

In Genf werden neben einem Kernsortiment vor allem Produkte angeboten, die dem hohen Anteil an Ausländern gerecht werden. In den Filialen in der Nähe einer Synagoge liegen koschere Produkte in den Regalen.

Erproben von neuenIdentitäten

Nicht nur der Pluralismus, sondern auch der Individualismus begünstigt das Diversity Marketing. Darunter wird die Tendenz verstanden, dass traditionelle Wertvorstellungen nicht mehr als kulturelle Norm übernommen, sondern hinterfragt und möglicherweise von den einzelnen Individuen auch selbst gewählt werden können. Im Zuge dieser Individualisierung werden neue Identitäten erprobt und verwirklicht.

Anthropologen wissen beispielsweise, dass homosexuelle Praktiken alles andere als ein Auswuchs der Moderne sind, wie Fundamentalisten dies gerne behaupten. Neu ist bloss, dass daraus Identitäten abgeleitet werden.

Dass die Schwulen zur Marketingzielgruppe werden, ist diesem Prozess der Identitätsbildung zu verdanken. «Wenn die Schweiz in den USA fundamentale Christen oder Schwule als Touristen ansprechen will, dann müssen diese Gruppen differenziert angesprochen werden», sagt Kurt Schmid.

Beim Individualismus erweist sich die Diversity-Thematik als komplexer als beim ethnischen oder religiösen Pluralismus. Nicht auf die Gruppe, sondern auf das Individuum wird fokussiert. Wir kennen den an unzähligen Marketingseminaren erwähnten hybriden Konsumenten, der heute einen Big Mac und morgen ein Gourmetmenü isst.

Die klassischen Methoden versagen

Mit herkömmlichen soziodemografischen Methoden ist es kaum mehr möglich, diesen Konsumententypus abzubilden, da die klassischen soziologischen Kriterien wie Einkommen, Zivilstand, Alter usw. an Aussagekraft verlieren. Diese Zweifel an quantitativen Erhebungen sind allerdings nicht neu.

In den Sozialwissenschaften wird seit Jahrzehnten darüber gestritten, ob die empirische Soziologie der Gruppe aussagekräftiger ist als die ethnografische Beobachtung individueller Lebensstile.

«Gerade Lebensstile sind sehr schwierig zu clustern», sagt Stephan Bochsler, Leiter Marketing und Kommunikation der Zürcher Kantonalbank. Primär müsse das Marketing einfach Marktpotenziale kleiner, homogener Gruppen erkennen und systematisch erfassen.

Bochsler differenziert dabei in soziodemografische Faktoren wie Einkommen, Alter oder junge Familien und weiter in soziopsychografische Faktoren wie Interessen, Verhalten, Lebensstile und Konsumpräferenzen, wobei die letzterwähnte Kategorie etwa 20% ausmacht.

Als mögliche Antwort auf den Individualismus gilt die so genannte «Mass-Customization»: Die Ware wird nicht mehr industriell produziert und verteilt, sondern individualisiert und erst dann verkauft. Wenn sich also Konsumenten auf Websites ihre Autos modular zusammenstellen oder ihre eigene Kleidung entwerfen, dann wird die Illusion der Individualität mitgeliefert.

Die Blackbox «Konsument» wird sich auch künftig nicht durchleuchten lassen. Der Begriff Diversity kann für den gesellschaftlichen Wandel sensibilisieren aber das Marketing neu erfinden kann er nicht.

Wirklich «divers» wäre nur das 1:1-Marketing, das allenfalls am Point of Sale oder durch moderne Technologien umsetzbar ist. Bis es so weit ist, bleibt individuell, ob und wie man mit Diversity Marketing umgeht. Dies liegt in der Natur der Sache.

New Diversity Forum: Die einzige Gemeinsamkeit: Vielfalt.

Am Sonntag, 13. März, und am Montag, 14. März 2005, findet im Airport in Zürich das «New Diversity Forum 2005» statt. Prof. Peter Gross von der Universität St. Gallen wird über multioptionales Kundenverhalten referieren, GDI-CEO David Bosshart über das Diversity-Zeitalter und der Salesmanager Google Schweiz über Powermarketing mit Google. Dazu kommen weitere Referate von Marketing-Experten verschiedener Grossunternehmen. Initiant des Forums ist Lowe-CEO Kurt Schmid, der sich seit Jahren intensiv mit Diversity beschäftigt.