Der neue Konzern wird als «naamloze vennootschap» firmieren, und die Generalversammlung werden künftig in Amsterdam oder am Airport Schiphol in Haarlemmermeer stattfinden. Die italienische Fiat Sp.A. wird aufhören zu existieren, sie wird durch die holländische Fiat Chrysler Automotives N.V. ersetzt. Der amerikanische Videostreaming-Dienst Netflix hat sich für seine Expansion nach Europa Amsterdam als Domizil ausgesucht. Nicht Zürich oder Genf.
Und Google baut für 773 Millionen Dollar das europäische Datenzentrum in Eemshaven, im Nordosten der Niederlande. Amazon investiert in die niederländische Forschungsfirma Liquavista, die elektronische Displays für E-Paper entwickelt und sich seit dem Frühsommer an ihrem neuen, 7'000 Quadratmeter grossen Standort in Einhoven ausbreitet. «We’re hiring!», grüsst die Webseite der Amazon-Tochter.
Die Niederlande ziehen an
An der Nordsee erwächst der Schweiz Konkurrenz: Neue Firmensitze, Holdingstandorte, Europa-Headquarters, Distributions- und Logistikzentren entstehen im Ballungsraum Randstad mit den Zentren Den Haag, Rotterdam und Amsterdam. Und die dortigen Standortförderer haben Argumente, de aufhorchen lassen.
Netflix etwa, die das ganze Programm ihrer Filme und Serien gegen eine monatliche Abo-Gebühr via Internet verbreitet. Bisher hatte der US-Konzern bereits einen Europasitz in Luxemburg. Doch im Januar zügelt Netflix Richtung Norden. «Wir haben uns in Luxemburg angesiedelt, da dort die Mehrwertsteuer europaweit am niedrigsten war», erklärt Netflix-Chef Reed Hastings. «Wir haben jedoch erkannt, dass wir es in Luxemburg trotz seiner zentralen Lage nicht schaffen, die Mitarbeiter zu finden, die wir für unsere Weiterentwicklung benötigen. Daher gehen wir nach Amsterdam.»
Mehr als tiefe Steuern
Natürlich zieht es Unternehmen auch aus rein steuerlichen oder rechtlichen Gründen nach Amsterdamn. Auf diesem Feld kann die Schweiz noch mithalten. Immer noch interessieren sich Firmen für einen Holdingstandort in der Schweiz. Sogar ein holländischer Konzern verhandelt derzeit mit den Steuerämtern. Bei den Unternehmenssteuern ist die Schweiz lukrativer, und Irland unterbietet Holland noch deutlicher.
Aber tiefe Steuern sind nicht alles. Netflix-CEO Hastings zum Beispiel sucht in Amsterdam nach jungen, ehrgeizigen Ingenieuren. Und er suchte einen Platz für die reibungslose Expansion im EU-Binnenmarkt: «Die Stadt scheint mir all das zu vereinen, was uns wichtig ist, um uns weiter im Zentrum, im Osten und im Süden Europas auszubreiten.»
Mehr geschaffenen Arbeitsplätze
193 ausländische Projekte mit Investitionen in Höhe von 2,3 Milliarden Dollar begrüssten die Holländer 2013. Die damit geschaffenen Arbeitsplätze stiegen um 60 Prozent auf rund 8'500 Jobs. Zum Vergleich: Die Schweiz siedelte etwas mehr Firmen an, die aber nicht einmal ein Zehntel dieser Jobs schufen. Die Netherlands Foreign Investment Agency (FIA) wirbt weltweit um Investoren. Natürlich tun die Standortförderer dies auch mit schönen Listen. Zum Beispiel mit dem jüngsten «Forbes»-Ranking der besten Businessländer, das Holland auf Platz 10 setzte und die Schweiz auf Rang 16.
Schweizer Standortförderer hingegen scheinen die Änderungen im Marktumfeld nicht bemerkt zu haben. «Erreichen Sie über die Greater Zurich Area mehr als 500 Millionen Kunden in der EU», wirbt die gleichnamige Standortförderung unbekümmert auf ihrer Webseite, die Schweiz sei «nahezu perfekt im europäischen Markt eingebettet». Die Schweiz sei weltweit der «Arbeitsmarkt Nr. 1, der dank seiner Attraktivität internationale Spitzenkräfte anzieht». Man könne sich «durch die Personenfreizügigkeit mit der EU Arbeitnehmer aus anderen Teilen Europas problemlos rekrutieren lassen». Inwiefern dies den Tatsachen entspricht bleibt offen.
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