Du, ich suche einen Generaldirektor», begann Jakob Züllig das Gespräch. Er beobachte ihn, sagte er zu Edgar Oehler; er sehe, was er schaffe, als Chefredaktor der «Ostschweiz», als CVP-Nationalrat, auch als Besitzer von Gipser- und Immobilienunternehmen seit der Studienzeit.

Jakob Züllig hatte als Patron der Arbonia-Forster-Gruppe damals, 1985, schon zwei vermeintliche Kronprinzen verschlissen. Er brauchte wieder jemanden, der seinen «Laden» führte, wie er den heranwachsenden Konzern mit Heizkörpern, Kühlschränken und Küchen im Angebot nannte. Und das, beschied Jakob Züllig seinem Gast, «bist jetzt du.»

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So spielte sich, wie der noch lebende Beteiligte erzählt, die erste von vielen Szenen einer bemerkenswerten Beziehung ab: Ein Vollblutunternehmer traut seinen Kindern die Nachfolge nicht zu und sucht deshalb einen Ziehsohn aus. Eine solche Wahlverwandtschaft findet sich in einigen Unternehmen, kaum jemand aber spielte sie so fürs Lehrbuch (nicht des Managements, sondern der Psychologie) durch wie Jakob Züllig und Edgar Oehler.

Der damals 65-jährige Patron verkaufte seinem 22 Jahre jüngeren Prinzen schon nach wenigen Wochen einen Teil des Unternehmens, vertraute ihm die internationale Entwicklung des Konzerns an, warf ihn nach fünf Jahren wegen seines überbordenden Tatendrangs hinaus, rief ihm nach der schmerzlichen Trennung übel nach, entschuldigte sich später für seinen Fehlentscheid und regte den Zusammenschluss der Geschäfte beider Unternehmer an. Die Geschichte endete am 11. September 2003, als Oehler von den Erben Zülligs, der vier Jahre zuvor verstorben war, die Mehrheit an der Arbonia-Forster-Gruppe übernahm.

Unternehmer und ausserfamiliäre Nachfolger
Wahlverwandtschaften


Edgar Oehler ist nicht der Einzige, der von grossen Unternehmern quasi adoptiert worden ist.


Als die Klasse des Sohnes sein Unternehmen besichtigte, fiel dem Patron ein aufgeweckter Mitschüler auf: Er bot ihm die Unterkunft in seiner Horgener Villa an, wenn er dafür den eigenen Kindern Nachhilfe gebe. Und er stellte den forschen Jungen nach dessen Jus-Studium im Rechtsdienst an und ernannte ihn bald zu seinem Privatsekretär, der den Betrieb führte: «Er sah in diesem Jungen verwirklicht», sagt ein langjähriger Mitarbeiter, «was er bei seinen eigenen Söhnen vermisste.» Christoph Blocher, der bekannteste Ziehsohn des Landes, hat die Zufallsbekanntschaft mit Werner Oswald, dem Besitzer der Emser Werke, zu nutzen gewusst: Nach dessen Tod kaufte er 1983 die Emser Werke – ein Deal, aus dem ein Milliardenvermögen entstand.


Ähnlich energisch wie Blocher riss Hanspeter Lebrument, kürzlich zum Verlegerpräsidenten gewählt, die Führung bei den Churer Gasser Medien an sich. Er gewann als Chefredaktor der «Bündner Zeitung» und später als Direktor das Vertrauen des Juristen Rudolf Gasser, mit seinem Bruder Werner Besitzer des Verlagshauses. Dank dem Stimmrecht für die Aktien, die Rudolf Gasser in eine Stiftung eingebracht hatte, konnte Lebrument zusammen mit dem dritten Mann im Stiftungsrat Werner Gasser überstimmen: «Mein Bruder», sagte der Verleger angeblich, «war Lebrument verfallen wie der Zar dem Rasputin.»


In Minne verlief dagegen der Aufstieg von Hans Huber. Der Schuhmachersohn machte seine kaufmännische Lehre bei der Eisenwarenhandlung Stadlers Erben in Altstätten SG, stieg aber danach beim Schuhhersteller Bata auf. 1949 holte ihn sein Lehrmeister Josef Stadler zurück und gab ihm die Verantwortung für den Aufbau der Filiale Heerbrugg. 1960 gründeten die beiden Männer die Presswerk Heerbrugg AG – daraus ist die SFS Holding entstanden, ein Unternehmen mit 4000 Beschäftigten in der Befestigungstechnik, das heute noch der Familie gehört.


Peter Spuhler schliesslich hat den Gründer seines Unternehmens, Stadler in Bussnang TG, nie kennen gelernt. Nach dem Tod von Ernst Stadler 1981 führte seine zweite Frau die Firma mit 18 Beschäftigten. Als Ehemann einer Enkelin stieg Peter Spuhler nach der HSG ein, und er überzeugte sowohl die Witwe als auch die Bank: «Die Thurgauer Kantonalbank finanzierte mich zu 100 Prozent», lacht der SVP-Nationalrat, «das würde heute keine Bank mehr machen.»

Weshalb sich die beiden Männer schon beim rekordverdächtig kurzen Einstellungsgespräch duzten, daran erinnert sich Edgar Oehler nicht mehr. Aber Jakob Züllig wusste genug von seinem Gegenüber. Einerseits vertraute er seinem Verwaltungsrat alt Bundesrat Kurt Furgler, der den als Journalist ahnungslosen CVP-Nationalrat 1973 ebenso handstreichartig als Chefredaktor des Katholikenblatts «Die Ostschweiz» eingesetzt hatte. Anderseits gehörte Edgar Oehler zu den guten Kunden von Arbonia-Forster. Er hatte das Unternehmertum vom Vater gelernt, der sich die Arbeit für sein Malergeschäft in den flauen Wintermonaten selber beschaffte, indem er Häuser und bald auch Wohnblöcke baute: «Du musst etwas machen, dann hast du Büez.»

Edgar, einziger Sohn neben sechs Töchtern, beteiligte sich bereits in jungen Jahren am Geschäft und betrieb später neben der Arbeit am HSG-Doktorat und dem Chefredaktor-Job eine eigene Gipserfirma mit bis zu zwanzig Leuten. Morgens um sechs auf die Baustellen, dann um acht ins Büro: «Ich hatte immer dreckige Schuhe», erinnert sich Edgar Oehler an seine Jungunternehmerjahre. Noch heute rechnet er bei grossen Beträgen, wie oft er dafür bei Cheminées mit dem Handballen den Klosterputz hätte aufbringen müssen: «Ich war ja Handlanger in meinem eigenen Geschäft, aber da war ich gut.»

Auch bei Arbonia-Forster packte er gleich an. Als verspäteten Eignungstest sollte er nach einer Woche in einer Mälzerei in Worms eine schon fast abgeschriebene Forderung in Millionenhöhe eintreiben. Er kam mit fast einer Million zurück: «Köbi Züllig fiel mir um den Hals.» Nach sechs Wochen brummte der Patron deshalb bei der morgendlichen Besprechung: «Wenn t emol Aktie vo mer wottsch, chasch haa.» Und zwar zum Nennwert von zehn Franken für die Namenaktie: «A s Agio glaub i nöd.» Der Generaldirektor wollte dem Besitzer, der keineswegs Geld brauchte, Aktien für eine halbe Million abkaufen. Aber beim Mittagessen überlegte er es sich anders. Er möchte mit einem grösseren Betrag einsteigen, sagte er dem Patron bei der zweiten täglichen Sitzung nach dessen Mittagsschlaf. «Am Morge han i no tenkt, segsch en Chlüpperlisack», knurrte Züllig. «Trausch mer denn nöd?»

So wurde Edgar Oehler zum zweitgrössten Aktionär der Arbonia-Forster-Gruppe – ohne schriftlichen Vertrag: «Bei Köbi Züllig durfte man nie etwas unterschreiben; man konnte ihm nichts Übleres antun, als auf etwas Schriftlichem zu bestehen. Für ihn galt: ein Mann, ein Wort.» Wie viel er tatsächlich investierte, verrät Edgar Oehler nicht. Nur so viel: Wenn die Arbonia-Forster-Gruppe noch vor dem Crash vom Oktober 1987 an die Börse gegangen wäre, hätte er einen zweistelligen Millionenbetrag verloren. Der Börsengang fand im Frühling 1988 statt, recht erfolgreich. Aber damit bahnte sich auch der Bruch zwischen den beiden Männern an der Unternehmensspitze an. Er bedaure den Börsengang, sagte Jakob Züllig bis ans Lebensende; dass ihm Mitbesitzer wie Grossaktionär Ernst Müller-Möhl ins Geschäft dreinredeten, verwand er nie.

Edgar Oehler wollte dagegen das Unternehmen international ausrichten, vor allem mit dem Kauf der grössten Konkurrentin in Frankreich. Als ehemaliger Austauschstudent in den USA, der dabei «den Knopf auftat», setzte er zudem durch, dass seine vier singhalesischen Adoptivtöchter aus dem Waisenhaus jeweils im Winterhalbjahr die Schule in Naples, Florida, besuchen konnten. Der Patron aber sah dem Treiben seines Generaldirektors mit wachsendem Misstrauen zu. Er argwöhnte, die Aufenthalte in Florida dienten nur dem Müssiggang. Er verhinderte den Kauf der französischen Acova und befand auch bei der Schweizer Sibir mit einer einzigartigen Kühltechnologie: «Dä Seich wemmer nöd.» Und er schüttelte beim Kühlschrank von Colani samt einem der neuen schnurlosen Telefone am Griff nur noch den Kopf: «Jetzt spinnt er total.» Im November 1989 sagte Züllig deshalb zu Oehler: «Du, wir verstehen uns nicht mehr – wir trennen uns.»

Die Nachricht aus Arbon überraschte niemanden: Jakob Züllig spielte nur die Variationen zu einem Thema, das die Zukunft auch grösserer Unternehmen in Frage stellte. Karl Schweri bei Denner oder Rudolph Sprüngli bei Lindt & Sprüngli schafften es zu jener Zeit ebenfalls nicht, ihre Nachfolge zu sichern, weil sie ihren Kindern nicht vertrauten und schnell wechselnden Ziehsöhnen das Vertrauen jeweils wieder entzogen. Gehörte auch Jakob Züllig zu jenen Patrons, die ihr beeindruckendes Lebenswerk nicht weitergeben können?

Die beiden Männer vereinbarten, einander nichts Schlechtes nachzureden. Oehler hielt sich daran, Züllig nicht. Jedem, der es hören wollte, sagte der Kavallerie-Wachtmeister, der in seinem Sitzungszimmer unter einem Porträt von General Guisan sass, er sei «grausam enttäuscht, dass einer wie Oehler Oberst werden kann». Der Angegriffene, als Politiker durchaus mit einem polemischen Naturell gesegnet, wehrte sich nie. Der Patron habe sich einfach abreagieren müssen, meint Edgar Oehler heute; weiter will er sich, völlig ungewohnt, zu diesem Thema nicht äussern. Zürnte der Übervater Züllig so, weil er sich von seinem Ziehsohn Oehler lösen musste? «Das ist Ihre Interpretation.»

Zur Zurückhaltung mochte beitragen, dass der Patron seinen Prinzen, der seit der Studienzeit Porsche fuhr, erst richtig reich machte. Denn 1993 kletterte der Kurs von Arbonia-Forster angesichts des Aufbaus Ost, an dem die Gruppe dank einem frühen Vorstoss ins sächsische Riesa teilhatte, auf das Vierfache: Die Namenaktie mit einem Nennwert von 10 Franken stieg auf einen Wert von gegen 300 Franken. Oehler traute dieser Entwicklung nicht und trat sein Paket wieder an Züllig ab. Was er dabei verdiente, verrät er nicht – er deutet es nur an: Er habe mit seinem «Gewaltsstock an Vermögen» damals, mitten in der Immobilienkrise, allein im Rheintal für 30 Millionen gebaut, übrigens bei allen Liegenschaften mit Küchen von Forster und Heizkörpern von Arbonia. «Für Schmidheiny musst du nicht schauen», hatte ihm der Vater nach der Wahl in den Nationalrat aufgetragen, «aber für Schmidheinys Leute: Sie brauchen Büez.»

Edgar Oehler wirbelte anderswo; er griff bei Dornier als Sanierer durch, knüpfte bei Daimler-Benz für Edzard Reuter Kontakte im Nahen und Fernen Osten, blies – obwohl Nichtraucher – als Lobbyist Rauchzeichen für Philip Morris und die Tabakindustrie, scheiterte aber 1995 nach 24 Jahren im Nationalrat an der Amtszeitguillotine seiner Partei. Und er fand wieder einen Adoptivvater: Theo Keel, den Besitzer der Hartchrom in Steinach SG, gleich neben Arbon. Oehler kannte den Vollblutunternehmer schon lange von den Gewerblerstämmen in St. Gallen: «Solange ich ledig war, wartete ja niemand zu Hause auf mich – als Politiker muss man unter die Leute gehen.» An einem Abend im August 1996 fiel Oehler beim Stamm auf, dass Keel nur Wasser trank und ihm zum Abschied lange die Hand drückte. Anderntags rief seine Ehefrau an: «Du, Theo ist gestorben – kannst du mir helfen?»

Ex-Ziehsöhne von Arbonia-Patron Jakob Züllig
Michael Dreher


später Gründer und Nationalrat der Autopartei, vereinbarte 1971 mit Jakob Züllig eine Nachfolgeregelung, die aber kein Jahr hielt.


Franz Josef Harder


übernahm 1974 als Thurgauer Regierungsrat, Nationalrat und Brigadier das Kommando, ging 1979 als Direktionspräsident zu den NOK.


Adrian Rüesch


fühlte sich als Sohn des St.-Galler Regierungsrats, Ständerats und Brigadiers Ernst Rüesch 1996 wie der Kronprinz, trat aber 1999 ab.


Hermann Bürgi


ersetzte Adrian Rüesch 1999 nach dem Rücktritt aus dem Thurgauer Regierungsrat und der Obi-Sanierung, fasste aber nicht Tritt.


Paul Gattiker


kam 1996 als Direktionspräsident von Franke und riss nach dem Tod von Jakob Züllig auch das Verwaltungsratspräsidium an sich.

Vom Verwaltungsrat «offenbar als Idealkandidat ausgewählt», stieg Edgar Oehler ein, um das Unternehmen in der Oberflächentechnologie innert weniger Monate zum Verkauf vorzubereiten. Er besuchte die wichtigen Kunden, erforschte den Markt und erkannte Akquisitionsobjekte zur internationalen Expansion. Als ihm die Witwe nach neun Monaten als Erstem das Unternehmen anbot, griff er zu. Und er hatte im Juli 1998 kaum damit begonnen, als Besitzer die Hartchrom zur weltumspannenden Surface Technologies International aufzubauen, als Züllig seinen Besuch ankündigte. «Ich ahnte, was er mir sagen wollte», erzählt Oehler, «deshalb antwortete ich ihm: Du hast in Steinach nichts verloren, ich komme nach Arbon.» Er habe den Patron nicht dadurch erniedrigen wollen, dass er den verstossenen Prinzen in seinem «kleinen Budeli» aufsuchen musste, sagt Oehler. Denn Züllig empfing ihn an seinem Arboner Hauptsitz mit herzlichem Händedruck: «Muesch entschuldige – i ha de grööscht Seich vo mim Läbe gmacht.»

Von da an herrschte wieder bestes Einvernehmen zwischen den beiden wahlverwandten Männern. Züllig erkor zwar für die Führung seines Unternehmens noch mehrere Kronprinzen und verwarf seine Entscheidung wieder (siehe «Ex-Ziehsöhne» auf Seite 72), schlug aber Oehler bei einem Treffen in Bremen am Wirtshaustisch die Fusion vor. Dazu kam es nicht mehr, denn sogar Oehler war mit dem Aufbau seines eigenen Imperiums vollauf ausgelastet: Die Hartchrom, die er 1998 kaufte, ist heute nur noch ein Kästchen links unten auf dem Organigramm der STI. Und bei seinen Akquisitionen in der Türkei, in Frankreich oder in den USA sorgt er mit «Eins-zu-eins-Management», also mit Einsatz vor Ort, für den Kulturwandel: «Nur wenn mich die Leute selber spüren, verstehen sie beispielsweise, weshalb ich bei der Termintreue pingelig bin.»

In der Gedenkbroschüre für Jakob Züllig, der am 21. Oktober 1999 mit 79 Jahren gestorben war, schrieb Edgar Oehler schon an vierter Stelle, vor Robert Holzach, dem Thurgauer Regierungsrat und dem Arboner Stadtammann. «Da hätten alle sehen können, dass ich mich mit der Familie Züllig gut verstand.» Die Witwe und die jüngste Tochter, als einzige von drei Töchtern noch am Unternehmen beteiligt, boten Edgar Oehler denn auch den Kauf des schlingernden Konzerns an. Er zierte sich drei Monate lang, dann begannen Mitte Juni die Verhandlungen im engsten Kreis. Innert eines Vierteljahrs sollte der Verkauf beschlossen sein, am 11. September stand er «einen Tag vor dem stolzesten Zeitplan». Dazu trug der Käufer entscheidend bei, indem er auf die Due Diligence verzichtete. Dadurch wären Verwaltungsrat, Management, Me-dien und Öffentlichkeit einbezogen worden – ein Graus für die Familie. Ihr fiel es ohnehin schwer genug, sich vom Erbe zu trennen, also davon, was Jakob Züllig für Arbon geschaffen hatte: «Bei den Gesprächen», erzählt Edgar Oehler, «musste ich manches Nastuch reichen.»

Der neue Besitzer setzte an der Generalversammlung vom 13. Oktober die bisherige Führung ab: Ein echter Unternehmer ist für ihn nur, wer sich mit eigenem Geld am Unternehmen beteiligt. Aber für ihn stellt sich jetzt dasselbe Problem wie für seine Adoptivväter Jakob Züllig und Theo Keel und für alle Patrons, die ihr Lebenswerk dereinst abgeben müssen: Er muss sich einen Kronprinzen suchen. «Ich kann schon loslassen», beteuert er – gleich wie seine Vorbilder. «Aber ich muss überzeugt sein, dass es klappt.» Gibt es denn überhaupt die Unternehmer wie Züllig, Keel oder Oehler noch? «Derig hätt s gnueg ume», glaubt der neue Patron, «mer mues es nume finde.»