Liebe Leserin, lieber Leser
Es mag Zufall sein, dass Mitte November an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Luftfahrt- und die Finanzbranche die Breaking News in der Wirtschaft geliefert haben: Die Swiss, lautete eine Meldung am 13. November, baue ihr Langstreckennetz aus, die über Jahre gebeutelte nationale Airline schaffe überdies 550 neue Arbeitsplätze. Tags darauf hiess es, US Airways wolle die unter Chapter 11 fliegende Delta schlucken und die weltweit grösste Airline mit 30 Milliarden Dollar Umsatz und über 92 000 Mitarbeitern zusammenzimmern. Zur gleichen Zeit kündigten sieben global tätige Investmentbanken an – darunter die UBS und die CS –, eine paneuropäische Handelsplattform für Aktien aufbauen zu wollen und damit die meist national orientierten Börsen direkt zu konkurrenzieren. Und die Deutsche Börse machte am selben Tag publik, dass sie die in Paris domizilierte Mehrländerbörse Euronext nicht übernimmt. Nun wird Letztere wohl mit der New Yorker Börse den ersten transatlantischen Aktienhandel aufziehen.
Bemerkenswert an dieser Koinzidenz der Ereignisse: Den nationalen Börsenplätzen droht eine Entwicklung, die in der Airline-Branche bereits weit fortgeschritten ist. Ende der siebziger Jahre setzte in den USA die Deregulierung der Luftfahrt ein, die zehn Jahre später auch Europa erfasst hat. Eine national geprägte Branche mit meist in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen wurde frontal und mental unvorbereitet von den Zentrifugalkräften der Globalisierung erfasst. In der Schweiz mit den bekannten Folgen: Ein halbes Dutzend einheimischer Airline-Manager – von Otto Loepfe über Philippe Bruggisser bis hin zu André Dosé – versuchten, die Illusion einer eigenständigen und globalen Schweizer Luftfahrt aufrechtzuerhalten. Dosé, der Letzte in diesem Konzert, wurde mit milliardenschweren Staatssubventionen alimentiert, die verpufft sind wie Schnee an der Sonne. Erst der Verkauf an den Big Player Lufthansa, die Gesundschrumpfung der Swiss und die Einbettung in den weltweit grössten Airline-Verbund, Star Alliance, sicherte der Firma das Überleben im globalen Business und eröffnete neue, wenn auch bescheidenere Wachstumschancen. Dass in diesem Verbund auch die US Airways integriert ist, die nun zum globalen Branchenleader avancieren will, zeigt, welche Dimensionen der Konsolidierungsdruck erreicht hat.
Den Börsenplätzen blüht ein ähnliches Schicksal: Der technologische Fortschritt im Aktienhandel und der zumindest transnationale, zunehmend globale Markt machen nationale Handelsplattformen im Grunde genommen überflüssig. Mit dem Markteintritt privatwirtschaftlicher Investmentbanken werden die Preise unter Druck kommen – wir kennen das Phänomen aus der Airline-Branche mit dem Aufkommen der Low-Cost-Carrier.
In der Luftfahrt haben die Amerikaner den Takt der Konsolidierung angegeben, und noch heute hat ohne US-Partner kein europäisches Unternehmen eine Überlebenschance. Den Börsenplätzen wird es kaum anders ergehen. Sie sollten daraus eine Lehre ziehen: Statt im Alleingang ihr Heil zu suchen, sollten die europäischen Börsen ihre Kräfte bündeln, um der US-Konkurrenz zu begegnen. Tun sie dies nicht, droht Europa als Aktienhandelsplatz die Marginalisierung. Als vereinigte Börsen Europas jedoch bringen sie genügend Verhandlungsmasse auf, um den Amerikanern die Stirn bieten zu können.