Das zeigt etwa ein Blick auf die Lage der Schweizer Grossbanken vor genau einem Jahr. Hier die UBS, stolz, erfolgsverwöhnt, kraftstrotzend, mit dem fähigsten Management und dem klarsten Nachfolgeplan der Branche – so schien es zumindest. Die Harmonie ging so weit, dass VR-Präsident Marcel Ospel seinen offensichtlichen Nachfolger Peter Wuffli erstmals zum Kundenabend ans Weltwirtschaftsforum nach Davos mitnahm und Wuffli, bis dahin kaum als Karnevalsfan auffällig geworden, sogar Ospels private Fasnachtsfeier in Basel besuchte. Dort die Credit Suisse, die sich zwar von den zahlreichen Fehltritten ihrer Investmentbank erholt hatte, doch noch immer als blasse Kopie der UBS galt und vor einem ruppigen Kampf um die Nachfolge des damaligen Bankchefs Oswald Grübel stand. Die Prognostiker waren sich einig: Die UBS steht vor einem weiteren Rekordjahr. Für die CS galt: mal abwarten.
Heute ist Wuffli nicht mehr an Bord und UBS-Lenker Marcel Ospel nach einem 16-Milliarden-Abschreiber von einem schmächtigen Mann aus Singapur namens Ng Kok Song abhängig. «Ospel sollte bleiben und Teil der Lösung sein», sagt der Chef des Singapur-Staatsfonds GIC zwar im BILANZ-Interview (Seite 32). Doch genügt dem bald grössten UBS-Aktionär die Leistung seines Präsidenten nicht mehr, wäre dieser kaum zu halten. Die CS dagegen hat mit der Kür des New Yorker Investment Banker Brady Dougan eine glückliche Hand bewiesen, liessen seine Händler doch schon früh die Hände von den vergifteten Hypotheken.
Es ist paradox: Durch das Internet ist die tägliche Informationsmenge drastisch gestiegen, gleichzeitig ist aber auch die Fähigkeit, treffsichere Prognosen abzugeben, drastisch gesunken. «Nie waren Prognosen schwieriger als für 2008», gibt sich die Citigroup demütig, denn auch sie ist aus Schaden klug geworden: Als weltgrösster Finanzdienstleister beschäftigt sie ein Riesenheer von Prognostikern, dennoch hat sie im US-Hypothekargeschäft die grössten Verluste eingefahren.
Das Problem ist nicht nur, dass neue Informationen nicht automatisch zu einem besseren Wissensstand führen – viele sind irreführend, irrelevant oder schlicht falsch. Vor allem wiegt die globale Datenflut mit ihren Excel-Tabellen, in denen Analysten Umsatzrenditen für das Jahr 2012 auf die Kommastelle genau berechnen, die Beobachter in einer Scheinsicherheit. Denn die Prognostiker schreiben meist die bisherige Entwicklung linear fort. Doch die Hypothekarkrise zeigt vor allem eines: Die grossen Schocks kommen von aussen, verlaufen nie linear und lassen sich deshalb eben nicht exakt vorhersagen.
Die Krise hat zu einer neuen Bescheidenheit geführt. Wenn ABB-Chef Fred Kindle, jüngst von der «Handelszeitung» zum Unternehmer des Jahres gekürt, offen zugibt, dass «keiner weiss, wie die Weltwirtschaft in zwei Jahren aussehen wird», dann gilt er mit diesem Bekenntnis zum Nichtwissen als Trendsetter. Auch das WEF nimmt sich des Themas an: Der Workshop mit dem Thema «Welche Überraschungen werden wir 2008 erleben?» wird als spannendste Veranstaltung in diesem Jahr gehandelt.
Der Mann, der Anfang 2007 überraschend zurücktrat, schreibt neu für die BILANZ. Wir freuen uns sehr, den früheren CS-Chef Oswald Grübel als neuen Kolumnisten gewonnen zu haben. Eines hat er den meisten Marktpropheten voraus: Er hat die Krise vorhergesehen.
Dirk Schütz, Chefredaktor BILANZ