Liebe Leserin, lieber Leser

Im Fachjargon heisst sie Tettigonioidea, zu Deutsch: Laubheuschrecke, das Urviech der Spezies, die einer Familie mit über 5000 Arten den Namen gibt. Einige von ihnen, weiss der «Brockhaus», sind auch in Mitteleuropa verbreitet. Es ist nicht anzunehmen, dass der Ex-SPD-Chef Franz Müntefering das Lexikon zur Hand genommen hatte, als er im Frühsommer die Managergilde kollektiv als asozial brandmarkte. Der Sozi hat mit dem Schlagwort «Heuschrecken» das Unwort des Jahres geprägt, mehr noch: Er hat – wohl unfreiwillig – die Chiffre erfunden, die sein eigenes Verhalten treffend umschreibt. Nimmt man seine eigene Rhetorik zum Massstab, ist Müntefering ein Abzocker. Der Etatist zieht seinen Wählern die Moneten aus der Tasche, indem er als Koalitionspartner die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht verhindert hat und diesen Geldsegen nun in die Sanierung des Haushaltes steckt – statt das zu tun, was ein verantwortungsvoller Politiker in dieser Situation tun sollte: Schulden abbauen durch Sparen, statt die ohnehin schwächelnde Binnenkonjunktur durch Steuererhöhungen vollends abzuwürgen.

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«Kein Wachstum, wenig Arbeit – ein Programm gegen den Aufschwung», urteilt die «WirtschaftsWoche» über das Resultat der Verhandlungen zur grossen Koalition von SPD und Union. Im deutschen Herbst in Berlin geht es ohnehin weniger um Deutschland als um die Egos der so genannten Spitzenpolitiker: Angela Merkel wirft in Sichtweite des Kanzleramtes ihre politischen Prinzipien über Bord und bietet Hand zu mehr Umverteilung im Staate, denn sie braucht den Koalitionspartner SPD, um Kanzlerin zu werden. Und Müntefering hat sich in der Parteispitze selber ins Offside manövriert und will jetzt mit der Schützenhilfe von Merkels Union wenigstens Vizekanzler werden. Armes Deutschland, das mit derart disponiertem Führungspersonal die sich türmenden Probleme des Landes zu lösen hat.

Notdürftig kaschierter Egoismus und moralische Wertvorstellungen vertragen sich schlecht. Pech für Merkel, Müntefering & Co., dass wir in moralischen Zeiten leben. Seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York sind die hedonistischen neunziger Jahre Vergangenheit. Abzockende Manager, Ämter kumulierende Führungskräfte und masslose Politiker werden an den Pranger gestellt. So gesehen, ist der Ruf nach verstärkter Corporate Governance nichts anderes als die Forderung nach moralisch vertretbarem Handeln und als solches ein alter Hut: Der Anfang Monat verstorbene Peter Drucker hat bereits 1942 «unkontrollierte und unverantwortliche Macht» gegeisselt und das gefordert, was man heute Corporate Governance nennen mag.

Nicht zu verwechseln mit Demokratisierung von Verantwortung: Ein Politiker, ein Manager kann sich nicht hinter Regelwerken verstecken – er gehört auf die Kommandobrücke, wenn der Sturm tobt. So wie Adecco-Gründer Klaus Jacobs vergangene Woche. Der Vollblutunternehmer investiert sein eigenes Geld und engagiert sich wieder persönlich im operativen Geschäft des weltgrössten Zeitarbeitsvermittlers. Dieses Verhalten hat ihn erfolgreich gemacht und so vermögend, dass er in unserer Parade der 300 Reichsten gewissermassen zum Inventar gehört. Schade nur, dass wir die jüngsten Personalrochaden bei Adecco in der Gold-Bilanz, die Sie in den Händen halten, aus drucktechnischen Gründen nicht mehr berücksichtigen konnten.

In eigener Sache

«Wir haben an unserem Titel herumgefummelt», beichtete BILANZ-Gründer Andreas Z’Graggen einmal. Es war 1989, als das BILANZ-Logo erstmals ausschliesslich aus Versalien bestand. Heute liegt es an mir zu beichten: Wir haben es wieder getan, nach dem Motto «Zurück zur Klassik».