Liebe Leserin, lieber Leser
«Ab Sonntag gehört die Swiss zu 100 Prozent der Lufthansa», notierte die «Neue Zürcher Zeitung» Mitte Juni in einem Leitartikel, «damit ist sie definitiv Teil der zweitgrössten europäischen Fluggesellschaft und Mitglied der stärksten Allianz im globalen Luftverkehr. Die Swiss wurde erst in deutschen Händen wettbewerbsfähig.» Das klingt nach Erleichterung, nach Entwarnung sogar. Für Ersteres besteht durchaus Grund: Die Schweizer Luftfahrt war einst die erste in der Branche, die angesichts der Liberalisierung des Luftverkehrs seit Anfang der neunziger Jahre transatlantische Allianzen schmiedete und Airline-Fusionen in Europa vorantrieb. Und die Schweizer Luftfahrt war bekanntlich auch die einzige, die in einer wilden Shopping-Tour eine eigene Flugallianz auf die Beine stellen wollte, ein Grounding der eigenen Flotte nicht verhindern konnte und trotz Neugründung und milliardenschweren Finanzspritzen nie aus den roten Zahlen kam. Diesem erfolglosen Aktionismus setzte die deutsche Lufthansa ein Ende, und das ist gut so.
Zur Entwarnung freilich besteht wenig Anlass. Denn die internationale Luftfahrt ist und bleibt eine Hochrisiko-Branche mit äusserst dünnen Margen. Als Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber einmal wissen wollte, was passieren müsste, um eine Milliarde Euro zu verspielen, präsentierte ihm sein Controller eine furchteinflössende Gleichung: Fünf Passagiere weniger auf jedem Flug, fünf Euro weniger auf jedem Ticket, zwei Prozent höhere Kosten, und eine Milliarde hat sich in Luft aufgelöst. Kein Business also, in dem sich ein renditegetriebener Investor engagieren würde. Denn das Geschäft verspricht trotz weltweit steigendem Verkehrsaufkommen nicht einfacher zu werden. In Europa kommt die längst fällige Konsolidierung der Luftfahrt nur schleppend voran: In Italien erhält die Politik eine Airline am Leben, die aufgrund eines zu kleinen Heimmarktes keine Überlebenschance hat. In Spanien verfügt die nationale Fluggesellschaft Iberia zwar über ein attraktives Hinterland mit zahlreichen Destinationen in Lateinamerika, aber auch sie dürfte mittelfristig in einem grösseren Gebilde aufgehen. Und in Österreich oder Skandinavien sind Langstreckenflüge aus eigener Marktmacht kaum mehr möglich. Wie in jeder anderen Branche wird es auch in der europäischen Luftfahrt zu weiteren Übernahmen und Fusionen kommen müssen. In den Vereinigten Staaten ist die Konsolidierung im Binnenmarkt immerhin bereits weiter fortgeschritten, doch transatlantische Übernahmen, wie das für eine global tätige Industrie auf der Hand läge, verbietet das Gesetz.
Dabei ist absehbar, dass in naher Zukunft in dieser Branche des hohen Kapitaleinsatzes und hohen Risikos nur globale Multis eine Überlebenschance haben, die Nestlés der Lüfte gewissermassen. Ein Blick auf die Bestellungslisten des A380, des grössten Passagierflugzeugs der Welt, zeigt, wo die Dynamik des Marktes spielt: Unter den grössten Erstkunden befinden sich die Emirates aus Dubai mit 47 Buchungen oder auch die Singapore Airlines mit 19 Stück. Das weltweit grösste Passagieraufkommen wird sich zunehmend in den arabisch-asiatischen Markt verschieben, die «alten» Luftfahrtnationen in Europa und den USA werden in absehbarer Zeit von dieser Entwicklung überrollt werden. Es sei denn, es gelingt ihnen, durch Zusammenschlüsse selber zu einem globalen Schwergewicht zu werden.
René Lüchinger, Chefredaktor BILANZ