Liebe Leserinnen und Leser

Bundeskanzler Gerhard Schröder steht mit dem Rücken zur Wand und mit ihm nicht nur die in der Regierung vertretenen Parteien SPD und Grüne, sondern ganz Deutschland. Die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosenzahlen wachsen ungebremst, und der Handlungsspielraum des Staates verengt sich von Monat zu Monat.

Und was fällt dem linken Politiker dazu ein? Ein Rezept, auf das in der jüngeren Geschichte nur rechte Polit-Stars wie Margaret Thatcher in Grossbritannien und Ronald Reagan in den USA gesetzt haben. Wie die eiserne Lady und der ehemalige Schauspieler in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts möchte nun auch der deutsche Kanzler die Steuern drastisch senken: um rund zehn Prozent. Das ist zwar nicht alle Welt, für Deutschland aber schon ein Quantensprung. Dafür verdient er unseren Beifall. Wir hoffen, dass dies dem gewieften Politiker gelingt, auch wenn er in diesem Jahr seine Ferien leider nicht in Berlusconi-Land, sondern in Hannover verbringt.

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Und die Schweiz? Die Schlüsselgrössen entwickeln sich hier zu Lande nicht anders als in Deutschland: Seit zehn Jahren ist die Dynamik weg, die Zahl der Arbeitslosen steigt, richtiges Wachstum verzeichnet nur der staatliche Sektor. Und was unternehmen wir dagegen? Da wird viel lamentiert, mit markigen Worten die Zukunft beschworen und vor allem Papier produziert (mit Reformplänen, Wachstumsplänen, Zukunftsplänen). Und was geschieht konkret? Dazu vernimmt man als Bürger eher wenig. Die geplante Unternehmenssteuerreform droht schubladisiert zu werden. Dabei müssten doch gerade jetzt Taten folgen, um unseren Steuervorteil zu verteidigen, vor allem gegenüber Deutschland.

Sicher muss man die Angst ernst nehmen, Steuersenkungen würden den Staatshaushalt noch tiefer in die Misere treiben. Doch warum eigentlich wagt sich niemand so richtig an die Ausgabenseite? Alle nehmen auf alle Rücksicht; das übertriebene Konkordanz- und Konsensdenken, ein falsch gewickelter Föderalismus und der überbordende Sozialstaat sorgen dafür, dass fast alle heiligen Kühe des Landes unter Naturschutz stehen. Dabei machen sie uns Jahr für Jahr ärmer, weil sie der wirtschaftlichen Dynamik im Wege stehen.

Schon bei den Infrastrukturkosten liesse sich etliches einsparen, wenn sich nur Kommunen und Kantone besser aufeinander abstimmen würden, um Mehrspurigkeiten zu vermeiden. Die Frage der optimalen Betriebsgrössen ist in der politischen Schweiz noch kaum ein Thema. Im Gegenteil: Bundesbeiträge aller Art federn den vom Markt ausgehenden Anpassungsdruck auf sträfliche Art und Weise ab, sodass jedes Jahr viele Milliarden an Steuermitteln unproduktiv und definitiv versickern. Eine wirklich üble Verschwendung!

Wie Professor Walter Wittmann, der alte Polemiker aus der Bündner Herrschaft, der aus Steuergründen mittlerweile im sankt-gallischen Bad Ragaz wohnt, in seinem neuen Buch* aufzeigt, braucht die Schweiz zwei bis zweieinhalb Prozent reales Wachstum pro Jahr, um der schiefen Ebene des wirtschaftlichen Abstiegs zu entgehen.

Und woher ist das schweizerische Wachstum in aller Regel gekommen? Wir wissen es seit Generationen: aus dem Ausland – sei es durch den Export inländischer Erzeugnisse ins Ausland, sei es durch den Import von Direktinvestitionen aus dem Ausland. Doch dieser Grenzverkehr muss atmen können. Wenn das deutsche Modell Schule macht, wird man schnell sehen, ob wir noch in der Lage sind, ein paar Gänge höher zu schalten.

Auf der schiefen Ebene könnte es sonst sehr ungemütlich werden.

* Walter Wittmann: Helvetische Mythen. Verlag Huber, Frauenfeld (erscheint Mitte August)