Liebe Leserin, lieber Leser
Ein «unspektakuläres Ende», urteilt das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», findet wohl der Mannesmann-Prozess rund um den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, wenn Ende November und nach Redaktionsschluss dieser Gold-BILANZ die Einstellung des Verfahrens verkündet werden dürfte – gegen eine Zahlung des Schweizers in Höhe von 3,2 Millionen Euro oder knapp drei Monatslöhnen seines fürstlichen Gehalts. Eine «salomonische Lösung», wie die «Frankfurter Allgemeine» schreibt, oder ein kalt inszenierter, finaler Ablasshandel nach dem Motto Straffreiheit gegen Bares? Klar scheint, dass der Mann auf der Strasse nach monatelang grassierender Abzockerdebatte Manager wie Ackermann verurteilt sehen will. Doch nun wird dieser ohne Urteil aus dem Gerichtssaal entlassen.
Und die Moral von der Geschicht? Josef Ackermann, der erfolgreiche Banker, wird die Stunden auf der Anklagebank wohl zeitlebens nicht mehr vergessen. Er und seinesgleichen wissen nun: Ihr Tun wird registriert, auch wenn es sich in den Hinterzimmern der Macht abspielt. Sie wissen auch: Es existiert eine Moral jenseits der Paragrafen. Nach dem Mannesmann-Prozess kann es sich kein Topmanager mehr leisten, dies zu ignorieren. Die Öffentlichkeit richtet unbarmherziger als jeder Richter, und die öffentliche Meinung kennt keine Gnade. Dass dies ins Bewusstsein gerückt worden ist, wiegt den nicht erfolgten Richterspruch wohl auf. Gerade im Falle von Josef Ackermann gilt: Wirtschaftlicher Erfolg schützt nicht vor öffentlicher (Vor-)Verurteilung. Im Gegenteil. Ein Manager kann langfristig nur Erfolg haben, wenn sein Handeln kongruent bleibt mit gesellschaftlich akzeptierten Normen. Dieser Zusammenhang mag nach den «Roaring Nineties» etwas ausser Mode gekommen sein. Spätestens nach den Terroranschlägen von 9/11 ist er wieder ins Zentrum gerückt.
Ein Schuldspruch Ackermanns hätte nur auf den ersten Blick dramatischere Konsequenzen gehabt. Ein an sich erfolgreicher Bankmanager hätte wohl seine Demission eingereicht – obwohl er in einem energischen Kraftakt Deutschlands führendes Finanzinstitut für die Zukunft gerüstet hat. Eine gewissermassen enthauptete Bank hätte zwar eine Phase der Verunsicherung durchlaufen, bis ein Nachfolger gekürt gewesen wäre. Aber eben: Eine richterliche Verurteilung hätte die Unmoral personifiziert, dieser ein Gesicht gegeben und die juristische Bewältigung der Causa Mannesmann auf einen Einzelfall reduziert mit entsprechend reduzierter öffentlicher Sprengwirkung. Ist ein Einzeltäter abgeurteilt und bestraft, ist der Sündenfall gesühnt, und jedermann kann zur Tagesordnung übergehen, ohne sich weitergehende Gedanken machen zu müssen.
Eine Tat ohne Urteil dagegen zwingt die heterogene Schar von Zaungästen gewissermassen zur öffentlichen Debatte, zur Auseinandersetzung weit über den Einzelfall hinaus. Juristen dürfen sich über die Zahnlosigkeit der Paragrafen auslassen, Politiker schärfere Gesetze fordern, Journalisten dürfen wortreich kommentieren, und die Berufsgattung der Manager kommt nicht umhin, sich zu fragen: Kann mir das auch passieren? Und die Antwort ist: Es kann. Das wirkt im höchsten Masse disziplinierend. Insofern ist im Fall Mannesmann für die Öffentlichkeit wie auch für Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann kein Urteil besser als irgendein Urteil.