Liebe Leserinnen und Leser
A n den jährlichen Gipfeltreffen der wichtigsten Industrienationen scheiden sich die Geister. Die Kritiker mögen Recht haben, dass die Treffen der jüngeren Vergangenheit zu einem Schaufenster der Eitelkeiten der mächtigsten Regierungschefs verkommen sind, bei denen wenig ernsthaft nach Lösungen für die dringendsten Weltwirtschaftsprobleme gerungen wurde. Tatsächlich stand jeweils viel individuelles Schaulaufen für die zu Hause Gebliebenen im Vordergrund. Das obligate Gruppenfoto der Politstars vermochte kaum zu belegen, dass sich die Herren für den Zustand der Weltwirtschaft verantwortlich fühlen.
Aus heutiger Sicht wirken diese Treffen als Luxusveranstaltungen mit ambitiöser Agenda, doch bescheidener Zielsetzung. Diese Gipfel hatten entsprechend wenig Einfluss auf die Zeit danach. Die begleitenden Protestdemonstrationen waren demgegenüber geradezu nachhaltig, was Aufmerksamkeit und Wirkung betraf.
Evian dürfte einen Wendepunkt darstellen: Die Welt wartet auf Ergebnisse, die Wirtschaftswelt auf Leadership der internationalen Politik – weil sich die G-8 nach dem Irak-Krieg unter so schlechten Voraussetzungen treffen wie kaum je zuvor. Der Koalition der «Willigen» (USA, Grossbritannien, Japan, Italien) stehen die Kriegsopponenten (Frankreich, Deutschland, Kanada, Russland) gegenüber.
Doch auch die Amerikaner und Briten haben ausser dem Blitzsieg kaum viel vorzuweisen. Als die grossen Befreier konnten sie sich jedenfalls nicht feiern lassen. Falsch war auch die Hoffnung vieler, nach dem Krieg würde die Wirtschaft automatisch anspringen. Die Unsicherheit, welche die Märkte belastet, geht bedeutend tiefer als vor dem Waffengang angenommen.
Deswegen duldet die Weltwirtschaft keine weitere Konfrontation der neuen «Blöcke». Die Weltökonomie erträgt keine Politspielchen mehr. Der Leidensdruck ist weltweit bereits jetzt gefährlich hoch. Die Schlüsselrolle kommt den Amerikanern zu. Präsident Bush hat sich als aussenpolitisch starker Präsident bewiesen. Jetzt hätte er die Chance, eine ähnliche Leaderrolle auch als Weltwirtschaftspräsident zu spielen. Doch will und kann er das?
Mit drei Prozent geschätztem Wachstum für 2003 ist die amerikanische Wirtschaft nach wie vor der wichtigste Treiber der Weltwirtschaft – die Europäer sehen dagegen ärmlich aus. Eine gleichgültige Haltung gegenüber dem (fallenden) Dollar darf sich Washington jedoch nicht erlauben, obwohl angesichts der gewaltigen Leistungsbilanzdefizite des Landes eine gewisse Anpassung der Währung folgerichtig ist. Doch der Ausgleich dieser Defizite dem Rest der Welt aufzubürden, wäre kontraproduktiv. Es würde der Absturz drohen, bei dem auch die amerikanischen Multis nicht ungeschoren davonkämen.
Für die Weltwirtschaft noch wichtiger ist die künftige Haltung der USA zu Institutionen wie IWF, Weltbank und WTO, die bald in Cancún die Doha-Runde weitertragen soll-te. Ist Bush überhaupt noch an internationalen Wirtschaftsvereinbarungen interessiert, nachdem er
bereits mit der Uno nach Gutdünken umgesprungen ist?
Bush hat sich nach dem 11. September der «Welt» angenommen. Eine Weltteilung des «mit uns oder gegen uns» anzustreben, mag politisch ein Stück weit richtig gewesen sein. Für eine arbeitsteilige Wirtschaftswelt wäre hingegen eine solche Politik tödlich, wenn sie längerfristig durchgehalten würde. Wohlstand kommt durch Handel zu Stande, und Handel braucht offene Märkte. Offene Märkte für möglichst alle sind aber nur mit multilateraler Politik zu erreichen. Alleingänge führen in die Irre.
In Evian steht harte Arbeit an. Für Strafaktionen, Dünkel und Eitelkeiten ist kein Platz.