Das ist ein Hirngespinst, rief Michael Hartweg aus. Der heutige Stellvertreter von Jan Schoch, dem CEO von EFG Financial Products (EFG FP), hatte soeben das erste Mal den Gedanken einer vollautomatisierten Fabrik für strukturierte Produkte durchgespielt. Das war Mitte der nuller Jahre, damals arbeiteten Jan Schoch und Michael Hartweg für Goldman Sachs. Schoch als Vertriebschef Schweiz und Hartweg als Handelschef Europa.

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Am Morgen dieses folgenreichen Tags deutete noch nichts auf den Geistesblitz hin, der zur Gründung von EFG FP führen würde. Im Gegenteil: Hartweg rief Schoch in Zürich an und bat ihn, den Vertrieb temporär einzustellen. Der Grund: London kam mit der Verarbeitung der vielen Aufträge aus der Schweiz nicht nach. Die Infrastruktur von Goldman Sachs – der Investmentbank schlechthin – war veraltet und nicht auf das Tagesgeschäft des aufblühenden Markts für strukturierte Produkte ausgerichtet. Er brauche ein paar Tage Zeit für die Erfassung der Aufträge, wimmelte Hartweg Schoch ab.

Der ehrgeizige Investment Banker Schoch, nicht einmal dreissig Jahre alt, liess nicht locker und nahm den nächsten Flieger nach London, um das Abtragen des Auftragsbergs mit Hartweg anzugehen. Nach Mitternacht und getaner Arbeit fantasierten die beiden, dass sie gemeinsam in der Lage wären, eine Derivatplattform zu entwickeln und zu unterhalten, die mühselige, händische Prozesse automatisiert – das Geschäftsmodell von EFG FP war damit in groben Strichen gezeichnet.

Aus dem Hirngespinst ist in wenigen Jahren ein Unternehmen mit einer Börsenkapitalisierung von rund 350 Millionen Franken gewachsen. Jan Schoch persönlich ist an EFG FP mit Aktien im Wert von 25 Millionen beteiligt. Der jüngste Coup der Derivatschmiede: Die Raiffeisen-Privatbanktochter Notenstein hat den 20,25-Prozent-Anteil von Gründungsaktionär EFG International an EFG FP für rund 70 Millionen Franken übernommen. Den Rückzug begründet die Privatbank EFG International, an der die griechische Milliardärsfamilie Latsis indirekt beteiligt ist, mit der Konzentration auf das Kerngeschäft Private Banking.

Damit werden die Vertriebskanäle von Raiffeisen und Notenstein künftig wohl vor allem mit Anlageprodukten von EFG FP gespeist, sehr zum Ärger des Raiffeisen-Kooperationspartners Vontobel. Hinter vorgehaltener Hand sagen Branchenkenner, dass das ohnehin schlecht laufende Retailgeschäft von Vontobel mit strukturierten Produkten nun eigentlich tot sei.

Belächeltes Start-up. Doch zurück zum Hirngespinst respektive zu den Anfängen von EFG FP: Schochs Karriere führte nach Goldman Sachs zu Lehman Brothers. Nach kurzer Zeit war er jedoch ernüchtert. Die Infrastruktur war noch antiquierter als die seines ehemaligen Arbeitgebers, und das Management foutierte sich darum. Der Wechsel zu Lehman lohnte sich für ihn vor allem wegen der Zusammenarbeit mit Sandro Dorigo. Dorigo arbeitete zuvor für Julius Bär, wo er bereits eine Derivatplattform aufgebaut hatte. Nun leistete er Pionierarbeit bei Lehman. Zum Erstaunen aller gelang es ihm nach nur sechs Monaten Entwicklungszeit, ein strukturiertes Produkt über das Lehman-System an der Schweizer Börse zu kotieren. Auf diesen Erfolg hätte niemand gewettet und auch nicht auf das, was gleich geschehen sollte.

Jan Schoch ass mit Lukas Ruflin, der damals stellvertretender Finanzchef von EFG International war, zu Mittag. Ruflin wollte Schoch an Bord holen, doch Schoch hatte andere, grössere Pläne: Er schlug Ruflin vor, ein Unternehmen mit ihm als Partner und EFG International als wichtigem Aktionär zu gründen. Die Absicht wurde durch Handschlag besiegelt.

Schoch ging zurück ins Büro, wo ihn Sandro Dorigo ungeduldig erwartete und ihm «sein» soeben emittiertes Zertifikat auf dem Bloomberg-Bildschirm zeigen wollte. Schoch meinte nur: «Komm in die Küche.» Dort angekommen: «Wir beide kündigen.» Sandro Dorigo – ein spontaner Typ – zögerte nicht und sagte Ja.

Anschliessend rief Schoch seinen ehemaligen Goldman-Sachs-Kollegen Hartweg an und erinnerte ihn an das Hirngespinst. «Bist du dabei?», fragte er. Ohne zu wissen, wer der künftige Hauptaktionär EFG International überhaupt war, sagte auch Hartweg Ja. Dabei hatte er mit seiner Familie in London in zwei Monaten ein neues Haus beziehen wollen. Mit Jan Schoch, Michael Hartweg, Sandro Dorigo und Lukas Ruflin hatten sich vier Freunde und Geschäftspartner gefunden.

EFG FP ist mittlerweile im schmucken Hürlimann-Areal in Zürich domiziliert. Die Anzahl Mitarbeiter ist von vier auf 300 gewachsen. Schaut man sich auf dem fabrikartigen Gelände um, ist kaum mehr vorstellbar, wie chaotisch der Aufbruch von EFG FP im Frühling 2007 war.

Die Gründer und ersten Mitarbeiter sassen in einem Büro – treffender: in einer Besenkammer – auf vierzig Quadratmetern zusammengepfercht – Rücken an Rücken. Das Start-up wurde in der Derivatbranche belächelt, die Mitarbeiter bemitleidet. 2007 war das beste Jahr, um mit strukturierten Produkten richtig Geld abzusahnen. Wer verzichtete da schon freiwillig auf einen exorbitanten Bonus und setzte sich für ein Unterfangen mit ungewissem Ausgang ein?

Unter ihnen befanden sich viele der klügsten Köpfe des jungen Marktes, die früher als andere voraussahen, dass sich das Geschäft von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt entwickeln und deshalb die IT-Infrastruktur für den Geschäftserfolg entscheidend sein würde.

Neuer Name. Jan Schoch und seine Partner hatten mit dem Geschäftsmodell von EFG FP den richtigen Riecher – der Finanzkrise zum Trotz. Die Nase im Wind haben sie auch mit der geplanten Umbenennung. Nach dem Rückzug von EFG International aus dem Aktionariat soll das Bekenntnis zum Standort Schweiz im Firmennamen ausgedrückt werden. Einen Hinweis darauf, wie «Jans Struki Corner» neu heissen wird, liefert das Börsenkürzel FPHN. Das H steht eher für Helvetia als für Holding.