Nach einem offenbar schwer bekömmlichen Abendessen der britischen Premierministerin Theresa May mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nimmt in der Europäischen Union die Furcht vor einer schmutzigen Brexit-Scheidung zu. «So etwas vergiftet die Atmosphäre unnötig», sagte ein EU-Diplomat mit Blick auf einen Artikel der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» (FAS), in dem zahlreiche Details zum Dinner vorige Woche in London genannt wurden. Die Sorge gilt den anstehenden Verhandlungen zum EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, die nach der vorgezogenen Wahl zum britischen Parlament im Juni beginnen sollen.
Was war passiert? Am Samstag hatten sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel auf die Leitlinien für die Verhandlungen geeinigt, die EU-Chefunterhändler Michel Barnier führen soll. Bei der Gelegenheit sprach Juncker vor der Presse von einem konstruktiven Abendessen wenige Tage zuvor in London. Gleichwohl habe er manchmal den Eindruck, einige der «britischen Freunde» unterschätzten die technischen Schwierigkeiten, denen man in den Verhandlungen gegenüberstehe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in ihrer Regierungserklärung am Freitag die britische Seite vor «Illusionen» gewarnt - laut FAS, nachdem sie von Juncker telefonisch über den Verlauf des Abendessens informiert worden war.
Keine weitreichenden Entscheidungen vor der Unterhauswahl
Der FAS-Artikel beschrieb am Sonntag, was aus Sicht der EU-Kommission unter technischen Schwierigkeiten zu verstehen ist. Eine Quelle für die Informationen wird in dem Bericht nicht genannt, der unter anderem Details einer Unterhaltung vor dem eigentlichen Abendessen in London wiedergibt.
An diesem Gespräch nahmen der FAS zufolge nur vier Personen teil: Juncker, May, deren Berater Oliver Robbins und Junckers Kabinettschef Martin Selmayr. Dabei habe die EU-Seite nachgefragt, warum Grossbritannien nicht der routinemässigen Überprüfung des EU-Haushaltes zustimme. Die britische Seite beantwortete dies der Zeitung zufolge damit, dass keine weitreichenden Entscheidungen vor der Unterhauswahl getroffenen werden könnten. Selmayr selbst twitterte am Samstag, dass eine solche Haltung nun auch für die EU-Seite gelte und formelle oder informelle Brexit-Verhandlungen erst nach der Wahl am 8. Juni aufgenommen würden.
Das bedeutet, dass der enge Zeitplan für die Brexit-Gespräche noch enger wird, denn laut EU-Regeln müssen die Verhandlungen bis zum 29. März 2019 nach genau zwei Jahren abgeschlossen sein. Andernfalls kommt es zu einem «schmutzigen Brexit» ohne Abkommen. Das hätte unabsehbare Folgen für Unternehmen, Finanzmärkte und Bürger, die im jeweils anderen Hoheitsgebiet leben.
«Brüsseler Geschwätz»?
May nannte am Dienstag die Angaben des FAS-Berichts, wonach Juncker deutlich skeptischer über das Zustandekommen eines Brexit-Deals ist, «Brüsseler Geschwätz». Andere EU-Vertreter äusserten aber die Hoffnung, dass nun zumindest der Druck auf ihre Regierung zunehmen könnte, bestimmte Positionen zu überdenken.
So hat May dem Artikel zufolge Juncker in London vorgeschlagen, dass EU-Bürger, die auf den britischen Inseln lebten, nach dem Brexit nur die gleichen Rechte wie andere Personen aus Drittstaaten erhielten. Dagegen will die EU dauerhaft festlegen, dass ihre Bürger die aktuell geltenden Rechte behalten.
Auch Mays Vorstellungen über den zeitlichen Ablauf der Brexit-Gespräche in je viertägigen Verhandlungs-Blöcken pro Thema sowie die Idee, britische Sonderklauseln in den bisherigen EU-Verträgen als Blaupause zu nutzen, liess auf der EU-Seite der Zeitung zufolge die Alarmglocken schrillen.
Uneins war man sich beim Abendessen zudem über die britischen Finanzverpflichtungen gegenüber der EU: Während die EU-Kommission schon zuvor eine Summe von rund 60 Milliarden Euro ins Spiel gebracht hatte, setzte May der FAS zufolge einen Betrag von Null an.
Bisher nur ein Sturm für die Medien
Dass diese gegensätzlichen Positionen den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben, dürfte kaum zum Aufbau von Vertrauen zwischen den Verhandlungspartnern beitragen. Wie sich das auf die Brexit-Gespräche auswirkt, steht noch nicht fest. Bisher sei die Geschichte zwar nur ein Sturm für die Medien, sagte ein hochrangiger EU-Vertreter, der mit den Brexit-Vorbereitungen vertraut ist. Sollte die britische Seite sich aber auch nach der Parlamentswahl in EU-Belange einmischen wollen, die nichts mit dem Brexit zu tun hätten, wäre das für die Verhandlungen ein Problem.
Neben der Haushaltsüberprüfung blockiert die britische Seite einem anderen EU-Diplomaten zufolge nämlich bereits die Errichtung eines Planungszentrums für zivile und militärische Einsätze in Brüssel. Der endgültige Beschluss dazu sollte eigentlich im Mai kommen. Noch sei nicht erkennbar, ob dahinter eine Strategie der Londoner Regierung stecke, ihre Macht vor Beginn der Verhandlungen zu demonstrieren. Das Planungszentrum muss aber erst einmal warten.
(reuters/ccr)