BILANZ: William Ury, als Verhandlungsexperte sind Sie unter anderem an den Konfliktlösungen in Syrien oder Myanmar beteiligt. Abgesehen von den Krisenherden dieser Welt: Was ist Ihr grösster persönlicher Konflikt?
William Ury*: Ich war schon an vielen Konfliktlösungen in der Politik, der Wirtschaft oder in Familien beteiligt. Aber ich bin davon überzeugt, dass der schwierigste Konflikt in der Auseinandersetzung mit sich selbst liegt. Mein persönlicher Kampf ist, dass ein Teil von mir gerne zu Hause bei meiner Familie bleiben möchte, der andere wird immer wieder hinaus in die Welt gerufen. Ich habe gelernt, dass Konfliktlösung nicht immer etwas damit zu tun hat, eine finale Lösung zu finden. Es geht darum, sich mit der Situation auseinanderzusetzen und eine vorübergehende Lösung zu finden.

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Eine vorübergehende Lösung beendet doch noch lange keinen Konflikt.
Ein Konflikt ist nicht per se schlecht, und es geht nicht immer darum, ihn zu beenden. Man muss einen konstruktiven Weg finden, damit umzugehen. Das geht am besten, wenn man den unterschiedlichen Parteien zuhört und eine Vereinbarung zu treffen versucht – auch wenn diese nur vorübergehend sein mag. In der freien Wirtschaft ist der Wettbewerb etwas sehr Natürliches, er hilft, die Produkte noch besser zu machen. Um erfolgreich zu sein, ist die Kooperation aber genauso wichtig.

Sie vermitteln zwischen CEOs oder Staatsoberhäuptern – wo liegen die Unterschiede?
Unternehmen brauchen weder Wähler noch Armeen. Davon abgesehen überwiegen die Gemeinsamkeiten, denn es geht immer um Menschen. Egal, ob Staats- oder Geschäftsführer, jeder muss verhandeln und bedient sich dabei der gleichen Regeln. Für beide Parteien – ob in Politik oder Wirtschaft – ist es wichtig, Abstand zu gewinnen und sich in die Lage der anderen Seite zu versetzen.

Ob zwischen Ländern oder Unternehmen – wo liegen die Grenzen der Konfliktlösung?
Bei Verhandlungen ist es wichtig, herauszufinden, was beide Parteien wollen. Dann sollte man sich überlegen, wie die Alternative zu seinem eigentlichen Ziel aussehen kann – der Plan B. Er legt die Grenzen fest, innerhalb deren man verhandelt. Niemand wird sich mit einer Lösung zufriedengeben, die schlechter ist als der eigene Plan B.

Wann kommen Sie ins Spiel, wenn es darum geht, einen Konflikt zu lösen?
Ich werde oft gerufen, wenn die Situation bereits sehr verfahren ist. Vor einigen Jahren konsultierte mich ein Freund, der mit seinem Geschäftspartner in einen Streit verwickelt war. Über eine Milliarde Dollar stand auf dem Spiel, es waren mehrere Gerichtsverfahren am Laufen. Der Streit wurde in den Medien breitgetreten, und niemand glaubte an eine Schlichtung. Es war alles sehr destruktiv. An diesem Punkt wurde ich hinzugezogen.

Wie sind Sie vorgegangen?
Zuerst setzte ich mich mit meinem Freund zusammen und fragte: «Was willst du wirklich, was ist dein Ziel?» Er las mir eine ganze Liste von Zielen vor, und ich fragte: «Was willst du wirklich im Leben?» Mein Freund tat sich schwer und sagte: «Ich möchte meine Freiheit zurück, Zeit mit meiner Familie verbringen und die Businessdeals verfolgen, die mich interessieren.»

Und die andere Partei?
Mit dem Geschäftspartner setzte ich mich auch zusammen, um seine Sicht der Dinge zu erfahren. Dabei geht es darum, die Beweggründe zu ermitteln, die zu bestimmten Handlungen führen. Man muss herausfinden, was die Menschen wirklich wollen. Als mein Freund wusste, was er wollte, fiel es ihm viel leichter, mit seinem Partner eine Lösung zu finden. Für mich war diese Konfliktschlichtung sehr befriedigend. Denn obwohl der Streit verfahren war, liess sich die Lösung recht einfach finden.

Lässt sich derzeit mit den Präsidentschaftswahlen in den USA ein politischer Konflikt beobachten?
Ja, und auf beiden Seiten bedarf es viel Verhandlungsgeschicks. Hillary Clinton und Donald Trump stehen andauernd in Verhandlungen mit Sponsoren, Interessengruppen und Wählern. Wir denken immer, wir würden ein Staatsoberhaupt wählen, das während seiner Amtszeit eigene Entscheidungen trifft. Aber wenn man es genau betrachtet, wird auch er oder sie zu 90 Prozent mit Verhandeln beschäftigt sein. Wer zum neuen Präsidenten der USA gewählt wird, kann nicht einfach Anweisungen geben, sondern muss sehen, dass er sich mit dem Kongress und den verschiedenen Interessengruppen gut stellt, sie von seinen Vorstellungen überzeugt, um seine Ideen durchsetzen zu können.

Als Unternehmenschef sollte das anders aussehen: Man leitet eine Firma und muss eigene Entscheidungen treffen.
Des Öfteren frage ich Wirtschaftsführer, wie viele von zehn Entscheidungen sie ganz alleine getroffen haben und wie viele sie erst nach Verhandlungen mit Geschäftspartnern durchsetzen konnten. Im Schnitt wird nur eine von zehn Entscheidungen ohne Verhandlungen getroffen.

Clinton und Trump müssen die Wähler von sich überzeugen – an welche Regeln sollten sie sich halten?
Es ist besonders wichtig, sich in die Lage seiner Wähler zu versetzen. Denn man möchte die Menschen von sich überzeugen – und wie könnte man das machen, wenn man nicht weiss, was sie bewegt? Man muss ihre grössten Ängste und Wünsche kennen. Um diese zu erfahren, muss man vor allem zuhören können. Wenn man das tut, findet man am ehesten einen Weg, um seine Prinzipien und Vorstellungen umzusetzen und gleichzeitig die Sorgen der Wähler anzusprechen.

Trump kandidiert mit dem Versprechen, alle Muslime aus den Vereinigten Staaten zu verbannen, und befeuert damit Rassismus und Ausgrenzung. Angenommen, er wird der nächste Präsident – wo sehen Sie mögliche Konflikte?
Er spricht die Ängste der Menschen an. Viele haben Angst, und er sagt: «Ich werde euch beschützen.» Und er tut dies, indem er andere ausgrenzt, was wiederum Konflikte erzeugen wird. Ich denke, die Konsequenzen könnten sehr negativ ausfallen. Sollte Donald Trump gewinnen, wird es sicherlich weltweit mehr Konflikte mit Muslimen geben. Ausserdem entfacht er eine Auseinandersetzung mit Mexiko, indem er plant, eine Mauer zu den USA zu errichten. Die Lateinamerikaner werden das nicht gut aufnehmen.

Sehen Sie den Frieden in Gefahr?
Ja, das tue ich. Überall auf der Welt bestehen Konfliktherde, die durch Ausgrenzung entstanden sind. Unsere heutige Welt ist kleiner geworden, und es liegt umso mehr an uns, trotz all unserer Unterschiede einen Weg zu finden, um friedlich zusammenzuleben. Das soll nicht heissen, dass wir keine Grenzen brauchen. Aber wir müssen uns fragen: Wie können wir lernen, zusammenzuleben?

Hier wäre die Europäische Union ein gutes Beispiel.
Ja, definitiv. Aber besonders die Schweiz ist vorbildlich. Das Land schaffte es über all die Jahre, seinen Frieden zu wahren, während in der ganzen Welt Kriege ausgefochten wurden: zuerst zwischen städtischen und ländlichen Regionen, dann zwischen Religionen und schliesslich zwischen Nationen. Obwohl die Schweizer zur Hälfte auf dem Land und in der Stadt leben, halb katholisch und halb protestantisch sind und die verschiedensten Nationalitäten in ihrem Land vereinen, haben sie es immer geschafft, den Frieden zu bewahren.

Wie hat die Schweiz das geschafft?
Sie hat gelernt, die Unterschiede zu respektieren und nach einem friedfertigen Miteinander zu streben.

Wie kann man der Ausgrenzung entgegenwirken?
Wenn wir es mit Ausgrenzung zu tun haben, grenzen wir häufig den aus, der eigentlich ausgrenzt. Leider verschlimmert das den Konflikt meist nur noch. Der einzig sinnvolle Weg, auf Ausgrenzung zu reagieren, ist es, diejenigen einzubeziehen, die ausgrenzen. Man sollte ihnen zuhören, denn oft sind sie von Angst getrieben. Als Erstes sollten wir also den Menschen zuhören, die für Trump stimmen.

Verschiedenste Anschläge haben in den USA die Angst der Bevölkerung geschürt – wie sehen Sie Donald Trumps Chancen, gewählt zu werden?
Im Moment liegt Hillary Clinton vorne, und ich bin zuversichtlich, dass sie gewinnen wird. Wer als Staatsführer auf Angst und die Diffamierung anderer setzt, kann sich vielleicht ein paar Stimmen sichern, aber ich bin hoffnungsfroh, dass die Amerikaner vernünftig genug sind, um zu merken, dass dies nicht der richtige Weg zu einem besseren Amerika ist. Sie wissen, dass Amerika auf dem Prinzip der Zusammengehörigkeit gegründet wurde, und sie werden sich nicht ihren Ängsten hingeben. Sollte Hillary Clinton gewinnen, wird es für sie sehr wichtig sein, als Präsidentin von allen zu walten und auch ihre Gegner nicht zu verteufeln. Wir müssen einen Weg finden, Amerika wieder zu einen. Und das wird viel Verhandlungsgeschick brauchen. Im Moment haben wir ein recht gespaltenes Land.

*Der Amerikaner William Ury (62) ist ein international anerkannter Verhandlungsexperte und Mediator, studierter Anthropologe und Bestsellerautor. Er ist Mitbegründer des «Harvard-Konzepts», einer Methode der konstruktiven und friedlichen Einigung in Konfliktsituationen. Zu Urys bekanntesten Büchern gehören «Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln», «Das Harvard-Konzept» oder «Schwierige Verhandlungen». Sein neuestes Buch, «Wissen, was ich will …», steht seit Mitte Juli in den Regalen. Ury lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Boulder, Colorado.