Die Deutsche Bank wird gerade jeden Tag ein bisschen billiger. Auf etwas weniger als 20 Milliarden Euro taxiert die Börse den Wert von Deutschlands grösstem Geldhaus noch. So schlimm sah es selbst in der Finanzkrise vor gut sieben Jahren nicht aus. Zwar betont der neue Chef John Cryan, das Institut sei «absolut grundsolide». Indes: Anlegern fehlt der Glaube, dass die jahrelangen Umbauarbeiten zum Erfolg führen werden und dass sich das Haus als geschrumpfte Investmentbank neu positionieren kann.
Stattdessen kommen Übernahmefantasien auf. Aus eigener Kraft hat die Bank wenig entgegenzusetzen. Sie verlässt sich darauf, dass Politik und Regulierer einem solchen Mega-Deal einen Riegel vorschieben würden - nicht zu Unrecht.
«Es geht um Gesellschaftspolitik»
Am deutlichsten bringt es ein Koalitionspolitiker hinter vorgehaltener Hand auf den Punkt: «Hier geht es nicht um Kapitalismus, sondern um Gesellschaftspolitik.» Die Deutsche Bank mit ihren bekannten Doppeltürmen in Frankfurt sei ein «Symbol nationaler Identität». Trotz der Misere gibt es de facto also eine Bestandsgarantie. «Bei einem Übernahmeversuch würde die Regierung intervenieren.» Ein führender Koalitionsvertreter nennt eine Übernahme «hochgefährlich». Schliesslich falle die ganze deutsche Finanzbranche international mehr und mehr zurück.
Cryan, seit Juli im Amt, dürfte die Botschaft schon vor einiger Zeit bekommen haben. Er hat inzwischen «Antrittsbesuche» in Berlin absolviert und gab sich betont gelassen, als ihm jüngst die Frage nach dem Risiko einer Übernahme gestellt wurde: «Das ist nichts, womit wir derzeit allzuviel Zeit verbringen.» Grossfusionen in der Finanzbranche seien nicht mehr gerne gesehen. Auch der Aufsichtsrat hat sich Finanzkreisen zufolge in den vergangenen Jahren nie ernsthaft mit Abwehrstrategien befasst, obwohl die Aktie schon unter Cryans Vorgänger Anshu Jain im Sinkflug war.
«Too big to fail»
Das Grössenargument liegt auf der Hand: Je mächtiger eine Bank ist, desto höher ist auch die Gefahr, dass in einer Notlage erneut der Steuerzahler einspringen muss - strengere Regulierung hin oder her («too big to fail»).
Die Deutsche Bank mit ihren rund 100'000 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von knapp zwei Billionen Euro steht auf der Liste jener 30 Grossbanken, die von den Aufsehern als weltweit systemrelevant eingestuft werden. Sie hat also das Zeug dazu, das gesamte Finanzsystem und damit die Weltwirtschaft ins Wanken zu bringen.
Viel Geld für Aufräumarbeiten nötig
Für Wall-Street-Giganten wie JP Morgan, die an der Börse fast zehn Mal so viel wert sind wie die Frankfurter und längst wieder zweistellige Milliardengewinne einfahren, käme die Übernahme der Frankfurter zwar den sprichwörtlichen «Peanuts» gleich. «Ich glaube aber nicht, dass jemand im Moment eine Investmentbank übernimmt», sagt einer der Top-10-Aktionäre der Deutschen Bank. Das Kapitalmarktgeschäft werde nie wieder die Volumina erreichen, die es vor der Krise gehabt habe, weil es schlichtweg zu teuer geworden sei. Und bei der Deutschen Bank müsste ein Käufer zudem viel Geld in die Hand nehmen, um die Aufräumarbeiten zu Ende zu bringen.
Hinzu kommen die unzähligen Rechtsstreitigkeiten, die regelmässig Milliarden verschlingen - ein schwarzes Loch. «Nicht einmal im Aufsichtsrat ist man sich sicher, dass schon alle Skandale im Konzern aufgedeckt sind», sagt ein Insider. Ein Banken-Lobbyist sieht das ähnlich: «Es gibt einen Grund, warum die Deutsche Bank derzeit so wenig wert ist. Ich sehe niemanden, der sich die Bank ans Bein binden würde.»
«Besser vorher in Berlin anrufen»
Falls doch, sind die Mittel der Politik, eine Übernahme zu verhindern, formal begrenzt. Denn das letzte Wort liegt bei der Europäischen Zentralbank (EZB), die die Oberaufsicht über die europäischen Grossbanken hat. Doch würden die Aufseher wirklich einer Übernahme zustimmen, wenn die Politik das nicht will? Und selbst mit grünem Licht der EZB wären Interessenten auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen. Der Koalitionsvertreter warnt schon vorsorglich: «Ein kluger Investor würde vor einem solchen Versuch besser in Berlin anrufen.»
Auch die Opposition sieht die Deutsche Bank als Spezialfall - nicht vergleichbar mit der Commerzbank. Die Nummer zwei habe nicht das gleiche internationale Gewicht. Die Quasi-Garantie für den Branchenprimus bedeutet aber nicht, dass die Politik zufrieden ist. Ein langjähriges Mitglied der Opposition im Finanzausschuss des Bundestages wird deutlich: «Eine Übernahme wäre auch ein Eingeständnis des Scheiterns der Bank.» Bereits jetzt sei «hochpeinlich», dass die exportstarke deutsche Wirtschaft ausser der Deutschen Bank kein heimisches Finanzinstitut von Weltrang an ihrer Seite habe, heisst es zudem in Koalitionskreisen. Top-Manager von Dax-Konzernen, die heilfroh sind, dass sie bei Geschäften im Ausland nicht nur auf die US-Grossbanken angewiesen sind, sehen das genauso. Eine Übernahme durch eine ausländische Bank würde ihnen wohl auch nicht gefallen.
(reuters/ccr)