Die Verfahren vor Bundesgericht sind oft Anlass für eine Gesetzesänderung. Es braucht deshalb manchmal den Winkelried, der in einem Rechtsmittelverfahren die Bresche für eine Anpassung des Gesetzes öffnet.» Das schreibt Niklaus Honauer, Leiter Mehrwertsteuerberatung Schweiz bei Pricewaterhouse Coopers im Artikel «10 Jahre Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Mwst» («Der Schweizer Treuhänder» 11/05).
Der Winkelried im vorliegenden Fall ist die Basler Eskamed AG. Im Auftrag der Sanitätsdirektion Baselland führt sie ein Gassenzimmer und beschäftigt zur Betreuung von Drogenabhängigen ausserhalb des Gassenzimmers einen Sozialarbeiter. Für beide Projekte erhielt die Eskamed vom Kanton Zahlungen, die sie als Subventionen betrachtete, die ihrer Meinung nach nicht der Mehrwertsteuer unterliegen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hingegen sah in den Zahlungen ein steuerbares Entgelt und erhob die Steuern nach.
Zu Recht, entschied nun das Bundesgericht. Die von der Eskamed erbrachten Leistungen könnten nicht als Leistung einer Einrichtung der Sozialfürsorge und Sozialhilfe von der Mehrwertsteuer (Mwst) ausgenommen werden. Entscheidend sei, dass der Kanton die Tätigkeit der Institution nicht fördere, sondern die «Betreuung von drogenabhängigen Personen» vertraglich geregelt sei. Da der Kanton zur Hilfe an drogensüchtige Personen gesetzlich verpflichtet sei, handle es sich um den Einkauf von sozialen Dienstleistungen, der mehrwertsteuerpflichtig sei.
Probleme für Gemeinden
«Dieses Urteil birgt Zündstoff», schreibt der Aarauer KPMG-Steuerexperte Thomas Bodmer in der Fachzeitschrift «Kommunalmagazin». Zum einen müsse die unterlegene Eskamed mit Steuernachforderungen in der Höhe von einem halben Jahresumsatz rechnen, zum anderen könnte das gleiche Schicksal auch weitere Institutionen treffen: Spitexdienste, Organisationen der Kinder-, Jugend- und Altersbetreuung, der Kultur, der Bildung, des Sports oder des kirchlichen Bereichs. Zudem dürften auch viele Gemeinwesen «in die Bredouille» kommen: «Da den gemeinnützigen Institutionen oft Defizitgarantie gewährt wird, dürften Kantone und Gemeinden für die nachträglichen Steuerrechnungen geradezustehen haben.»
Gemeinden und Kantone können sich nach Bodmer vor solchen Überraschungen nur schützen, indem sie soziale und karitative Aufgaben nicht mehr auslagern, sondern selber erbringen.
Es geht jedoch nicht nur um den sozialen und karitativen Bereich. Betroffen sind sämtliche Bereiche, in denen die öffentliche Hand Outsourcing betreibt und Dritte aufgrund von Verträgen gegen Entgelt Leistungen erbringen, zu denen Kantone und Gemeinden von Gesetzes wegen verpflichtet sind. Das kann unter anderem auch, wie Gerhard Schafroth von der SwissVAT AG einschätzt, den Strassenunterhalt betreffen. Schafroth: «Weil in den Verträgen genau gesagt wird, was der Dritte gegen das Entgelt erbringen und nach Erfüllung des Auftrags Rechenschaft über das Geleistete ablegen muss, werden nun als Folge des Bundesgerichtsurteils genau jene Gemeinwesen bestraft, die den Steuerfranken effizient einsetzen wollen.»
Willen des Gesetzgebers
Stimmt nicht, sagt die ESTV. Ihr Sprecher Lukas Schneider verweist auf den Entscheid des Parlaments, das bei der Beratung des Mwst-Gesetzes ausdrücklich auf eine Ausnahme beim Outsourcing entschieden habe. Insofern habe das Bundesgericht nur den Willen des Gesetzgebers bekräftigt.
Dem widerspricht Schafroth. Seiner Ansicht nach missachten Bundesgericht und ESTV den Artikel 33 des Mehrwertsteuergesetzes, wonach «Subventionen und andere Beiträge der öffentlichen Hand, auch wenn sie gestützt auf einen Leistungsauftrag ausgerichtet werden», kein steuerpflichtiges Entgelt sind. Zudem zeige das Urteil, dass der Begriff der Sozialleistungen, die von der Steuer ausgenommen sind, nicht genügend geklärt sei. Zusammen mit CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, die in dieser Frage bei Finanzminister Hans-Rudolf Merz interveniert hat, ist Schafroth nun im Gespräch mit der ESTV, um die Situation zu klären und Rechtssicherheit zu schaffen.