Erst vergangene Woche hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden, dass Apple – wie in den USA – auch in Europa das Aussehen seiner Ladengeschäfte patentieren lassen kann. Ein weiterer solcher Store hat nun in Basel seine Pforten geöffnet. Weshalb gibt es trotz Mainstream-Ladendesigns dennoch bei jeder Neueröffnung einen derartigen Hype?
André Vatter*: Seit der Wiederkehr von Steve Jobs in den Neunzigerjahren und spätestens seit der Erfindung des iPods fasziniert die Marke Apple: die Eleganz des Designs, die Einfachheit der Technologie und tatsächlich auch die Zuverlässigkeit im Alltag. Heute bevölkern Millionen von iPhones und iPads die Städte und sind unsere täglichen Begleiter. Der Apple Store ist das Symbol dieser Innovationen und bietet den Besuchern zumindest den Anschein einer Möglichkeit, in das Zentrum der Marke vorzudringen. Das ist schon ganz reizvoll. Darüber hinaus versteht es Apple, die Stores geschickt als Eyecatcher im Stadtbild zu platzieren und regelmässig einen Kontrast zwischen traditioneller Architektur und beeindruckendem, modernem Design zu schaffen.

Das reicht?
Diese zwei Faktoren führen schon einmal dazu, dass Besucher vor dem Eingang stehen. Sobald sie den Laden betreten, kommen aber noch andere Faktoren hinzu, die den Hype schüren.

Welche?
In den Medien fällt im Zusammenhang mit den Apple Stores oft der Begriff des «Konsumtempels».

Unterschreiben Sie den Begriff?
Aus meiner Sicht handelt es sich tatsächlich viel eher um «Konsumtheater». Die Besucher werden Zeuge und Teil einer durchinszenierten Vorstellung, die alle Elemente des klassischen Dramas aufweist. Apple versteht es, Kunden eine Geschichte erleben zu lassen, auch wenn diese es oft nicht einmal bewusst wahrnehmen. Alles trägt dazu bei: die Architektur, die Raumgestaltung, das Personal ebenso wie die in Szene gesetzten Produkte. Die Art und Weise, wie die Waren präsentiert werden, orientiert sich am Bedürfnis der Besucher, nicht am Wesen des Produktes.

Das klingt kompliziert …
… ist es aber nicht. Die Kunden wollen keinen Computer kaufen, sondern eine Lösung: «Ich möchte meine Reisevideos schneiden!» oder «Ich möchte mit meiner Tochter videochatten, während sie im Ausland ist.» Hier finden sie Antworten auf konkrete Anliegen, auf den Tischen sind in erster Linie Problemlöser ausgestellt und keine iMacs oder iPhones.

Weshalb funktioniert sowas?
Apple rückt das Bedürfnis der Nutzer und die persönliche Erlebnis mit dem Produkt in den Mittelpunkt, während gleichzeitig systematisch alles subtrahiert wird, was dieser Erfahrung im Weg stehen könnte. Der Store wird so zum körperlichen, greifbaren Ausdruck der Marke. Und das funktioniert beeindruckend gut. Übrigens nicht nur im lokalen Geschäft: Apples Philosophie des Minimalismus und der Konzentration auf das Wesentliche – den Nutzen – zieht sich durch alle Phasen der Produktinszenierung. Als Steve Jobs 2008 das Macbook Air der Öffentlichkeit präsentierte, langweilte er das Publikum nicht lange mit technischen Details, sondern stellte es einfach als «das dünnste Notebook der Welt» vor. Ein Arbeitsgerät, das so flach ist und doch eine so lange Akkulaufzeit mitbringt, dass ich es problemlos überall mit hinnehmen kann, ohne mir Gedanken über Schlepperei und Steckdosen machen zu müssen. Viele Nutzer hatten bis dato genau dieses Problem – und Apple präsentierte mit einem einzigen Slogan die Lösung.

Die Store-Mitarbeiter werden gedrillt, die Produkte haben den Ruf überteuert zu sein – und trotzdem etabliert Apple mit seinen Ladengeschäften das Markenbewusstsein beim Kunden. Was überwiegt bei Ihnen: Die Faszination für diese klare Strategie oder die Empörung über die Selbstherrlichkeit und Skrupellosigkeit des Managements?
Steve Jobs war kein einfacher Mensch und mit ihm an der Spitze war das Leben bei Apple auch kein Kindergarten. Seine Biografie zeichnet das Bild eines skrupellosen Tyranns und megalomanischen Kontrollfreaks, für den die Mitarbeiter – der Managerkollege ebenso wie der einfache Arbeiter in der Fertigungshalle – nur Mittel zum Zweck waren. In Branchenkreisen sprach man vom Jobs'schen «Reality Distortion Field». Es war aber dieser in der Wirtschaftsgeschichte wohl einmalige, radikale Gewaltmarsch, der Apple zu dem machte, was es heute ist: ein Innovationstreiber gleich mehrerer Branchen – und man ist nebenbei die teuerste Marke der Welt. Henry Ford soll gesagt haben: «Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie sich schnellere Pferde gewünscht.» Apples Motto lautet ganz ähnlich: «Die Leute wissen nicht, was sie wollen, bis du es ihnen zeigst.» Nicht viele Unternehmen operieren nach dieser Devise und verlassen sich hingegen lieber allein auf Marktstudien und Nachfrageanalysen.

Sie haben die Frage zwar nicht direkt beantwortet, aber es tönt schwer nach Faszination.
Ich hatte einige Zeit lang ein ziemlich ambivalentes Verhältnis zu dem Unternehmen. Aber auch Apple wandelt sich eben. Mit dem neuen Chef, Tim Cook, wurde jemand an die Konzernspitze gerufen, der intern als der «CEO für Friedenszeiten» gilt. Anders als Jobs verfolgt Cook eine Strategie, die durch Rücksicht und demokratische Prozesse innerhalb des Unternehmens geprägt ist. Der Umbau ist in vollem Gange. Die Taktfrequenz der Innovationen hat sich auch für die Kunden spürbar verlangsamt, dafür kommt die Belegschaft aber sicherlich mit einem besseren Gefühl morgens zur Arbeit.

Andere Unternehmen könnten in diesem kundenzentrierten Ansatz noch dazulernen, folgern Sie auf Ihrem Blog. Geben Sie dazu doch ein, zwei Stichworte.
Die Kunst des Storytellings am sogenannten Point of Sale – also dort, wo der Kunde unmittelbar mit dem Produkt in Berührung kommt – ist bei hiesigen Unternehmen noch lange nicht etabliert. Besucher finden oft ein buntes Sortiment vor, eine Sammlung von Produkten, aus denen sie wählen können. Vielleicht gibt es noch ein schreiendes «Sale»-Schild, das an ihren Schnäppchensinn appelliert – aber kein Erlebnis. Vor allem die US-Unternehmen haben erkannt, dass Emotionen bei der Produktentdeckung in einer Welt voller austauschbarer Waren ein entscheidender Faktor sind. Abercrombie & Fitch parfümiert die Waren zwei Mal täglich und gibt dem Kunden schon kurz nach Eintreten das schmeichelnde Gefühl, einem Eliteclub der Schönen und Reichen beigetreten zu sein. Starbucks verkauft Kaffee, ja – aber in erster Linie vermittelt der Aufenthalt im Coffee Store eine exotische Auszeit vom hektischen Arbeitsalltag. Achten Sie einmal auf das Setting, die Bezeichnung der Kaffeesorten wie «Aged Sumatra», «Papua New Guinea» oder «Sun-Dried Ethiopia» – und nehmen Sie den Raumduft wahr. Das ist kein Zufall, sondern Teil eines ausgeklügelten Neuromarketings, das alle Sinne ansprechen soll. Es ist das Erlebnis, das Besucher zu loyalen Kunden werden lässt; und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der Café Latte, der in unzähligen Blindtests geschmacklich gleichauf mit dem Milchkaffee vom Bäcker nebenan liegt.

Welche Apple-Produkte besitzen Sie?
Ich bin seit Jahren Appleaner und verfiel schnell der Erkenntnis: einmal Apple, immer Apple! Zur privaten und beruflichen Ausrüstung gehören ein iMac, ein Macbook, ein iPad und ein iPhone. Wenn ich Zeit habe, werfe ich das AppleTV an, um Serien zu streamen.

Wann waren Sie zuletzt in einem Apple Store – und weshalb?
Da ich ein Büro direkt an der Hamburger Binnenalster habe und der Apple Store sich am Jungfernstieg befindet, schaue ich hin und wieder vorbei. Wenn ich Besuch bekomme, zählt er zum festen Touristenprogramm – eben, weil er aus architektonischer Sicht schon ein Erlebnis ist. Zuletzt war ich dort, weil Apple ein dicker Fauxpas bei bestimmten Netzteilen unterlaufen ist und sie derzeit ein kostenloses Austauschprogramm fahren.

Hand aufs Herz: Waren Sie schon einmal Teil der – wie Sie es selbst bezeichnen – «quasi-religiösen Szenen», die sich bei Produktreleases abspielen? Und falls ja: Für was?
Wenn die Frage darauf abzielt, ob ich auch schon einmal mit einem mitgebrachten Sitzhocker und einer warmen Decke vor einem Apple Store eine Nacht lang campiert habe, kann ich beruhigt sagen: Nein! Aus beruflichem Interesse beobachte ich die Entwicklungen in Cupertino ganz genau und probiere auch gerne die Produkte aus. Aber ich lasse dann doch gerne andere die erste Charge ausprobieren und bestelle lieber über das Internet.

* André Vatter ist Social Median und Blogger aus Hamburg, war bis vor einigen Jahren Redaktionsleiter des in Deutschland meistverlinkten Technologie-Blogs «Basic Thinking». Heute führt gemeinsam mit einem Partner Hemd & Hoodie, eine Agentur für multidimensionale Kommunikation in Köln.

Partner-Inhalte