Neubeginn mit Altlasten: Minick-Chefs Michael Kägi (links) und Martin Schlatter (rechts). |
Michael Kägis geschäftliches Domizil befand sich im Untergeschoss eines Mehrfamilienhauses in Erlenbach. Alexander Falk residierte in einem neoklassizistischen Palais an der noblen Hamburger Palmaille. Der eine entwickelte mit Kollegen SMS-Applikationen, der andere schickte sich an, mit dem väterlichen Erbe einen «europäischen IT-Konzern» (Falk) aus dem Boden zu stampfen. Nichts sprach damals dafür, dass sich der Schweizer Lebensmittelingenieur Kägi und der deutsche Patriziersohn Falk einmal über den Weg laufen würden. Doch was war in den Zeiten der New Economy schon normal?
Im Sommer 1999 bietet ein Kontaktmann Michael Kägi an, für ihn ein Treffen mit Alexander Falk zu arrangieren. Beim Gespräch zeigt Falk Interesse an Kägis Firma Minick; die mobiltechnologische Kompetenz des Unternehmens passe perfekt in seine strategischen Pläne. Kägi und seine Mitgründer glauben an die scheinbar einmalige Chance, und im Herbst 1999 verkaufen sie 52 Prozent ihrer Anteile an die von Falk kontrollierte Distefora. Die Minick wird unter Kägis Leitung zur Geschäftseinheit «Mobile» der Distefora.
Rückkauf zum Schnäppchenpreis
So macht Wirtschaft Spass: In den Boomjahren der New Economy verkauften viele Gründer aus der IT-Branche ihre Unternehmen für teilweise irrwitzige Summen an industrielle Investoren. Als die Internetblase platzte, kauften sie ihre Betriebe für ein Butterbrot zurück. Minick ist kein Einzelfall. Drei Beispiele aus der Schweiz:
Aseantic: Ende 2000 stiess die Bieler Internet-Dienstleistungsfirma Aseantic von Gian-Franco Salvato zur schwedischen Adcore-Gruppe. Schon im Sommer darauf machten die Schweden rechtsumkehrt und stimmten einem MBO zu. Preis für den profitablen 55-Mann-Betrieb: lächerliche 400 000 Franken.
Born Informatik: Neuen Schub fürs Lizenzgeschäft erhoffte sich die Basler Softwareschmiede Obtree vom Erwerb des IT-Dienstleisters Born Informatik. Doch es stellte sich schnell heraus, dass sie damit nur ihre Vertriebspartner konkurriert. Seit März 2002 heisst der Hauptaktionär wieder André Born.
Agri.ch/Green.ch: Als Geschäftsführer veräusserte Guido Honegger den Internetprovider des Bauernverbandes an Cable & Wireless. Nur zwei Jahre später kehrte Honegger als Besitzer ins Unternehmen zurück. Für den Rückkauf reichte ein Bruchteil des damals gelösten Verkaufspreises. Unterdessen heisst das Unternehmen Green.ch.
Jetzt geht alles sehr schnell: Der Personalbestand der Minick steigt innert Jahresfrist auf knapp 100 Mitarbeiter, und es werden Tochtergesellschaften in mehreren Ländern gegründet. Geld spielt keine Rolle. Allein in den ersten zwölf Monaten verbucht die Distefora Mobile siebenstellige Flugspesen.
Weniger glänzend entwickelt sich das operative Geschäft. Dank einer äusserst aggressiven Offertpolitik stimmen zwar die Umsätze, doch die von Falk versprochenen Synergien innerhalb der Distefora-Gruppe bleiben aus. Das Geschäftsfeld Mobilkommunikation wächst nie mit den Bereichen Internet und Navigation zusammen. Entsprechende Kooperationsprojekte bleiben meist schon in der Entwicklungspipeline stecken. Ursache dafür ist das Chaos auf der Führungsebene der Distefora. Heute ist klar, dass die Holdinggesellschaft zu keiner Zeit über das Management-Know-how verfügt hat, das nötig ist, um ein Unternehmen mit europäischer Ausstrahlung aufzubauen. Michael Kägi macht die Gruppenleitung mehrfach auf die verpassten Chancen im operativen Bereich aufmerksam, wird indes von Falks Entourage abgebügelt. Die Führungsspitze in Hamburg sonnt sich im Glanz der steigenden Börsenkurse und peilt mit ihrer Mobile-Tochter das IPO an.
Der Crash an den Wachstumsbörsen stoppt den Wahn. Die Distefora-Leitung stellt die IPO-Vorbereitungen ein. Kägi fühlt sich bestätigt und dringt vehement auf Korrekturen. Vergebens. Der latente Konflikt mit der Gruppenleitung wächst sich zum offenen Streit aus. Im Sommer 2001 nimmt Kägi den Hut und muss von aussen mit ansehen, wie Distefora dem Abgrund entgegentaumelt. Per Anfang Jahr hat Millionenerbe Falk genug von seinem Spielzeug und zieht sich mit 70 Millionen Franken Sonderdividende zurück. Nachfolger Patrick Hofmann macht nur noch mit undurchsichtigen Optionsgeschäften von sich reden, und im Frühjahr dieses Jahres beginnt der Ausverkauf des Unternehmens.
Auch die Sparte Mobile soll verscherbelt werden. Doch jetzt platzt selbst jenen Führungskräften der Kragen, die trotz der internen Querelen auf ihren Posten ausgeharrt haben. Martin Schlatter, Ur-Minick-Mann und bei der Distefora Mobile als Chief Technical Officer (CTO) angestellt, trommelt eine MBO-Mannschaft zusammen. In THQ, einem amerikanischen Hersteller von Computerspielen, findet das Team einen starken Partner, und im Frühling 2002 legt man der Distefora-Spitze ein MBO-Konzept vor. Wohlwissend, dass er den Betrieb nicht gegen den Widerstand des Managements an einen Dritten verkaufen kann, willigt Hofmann ein. Und jetzt steigt auch Michael Kägi wieder ins Boot. Seit dem 14. Juni amtet er als Verwaltungsratspräsident. «Als Führungs- und Integrationsfigur ist Michael Kägi unverzichtbar», kommentiert Schlatter.
Zeit für eine erste Bestandesaufnahme. Als Privatleute haben die «Minicks» vom Distefora-Abenteuer nur profitiert. Die genauen Beträge für den Verkauf und den Rückkauf liegen zwar unter Verschluss, doch per saldo dürften die Gründer einen Betrag in mehrfacher Millionenhöhe verdient haben.
Ambivalenter ist das unternehmerische Fazit: Minick gilt heute zwar als europaweit führender Anbieter von SMS-basierten Spielen, Umfrage- und Chat-Applikationen. Zu den Kunden zählen MTV Europe, RTL Newmedia, Eurosport oder der britische Channel 4.
Nach weiteren Posten auf der Habenseite sucht man indes vergebens. Der innere Zustand des Unternehmens ist desolat. Kägi steckt mitten in den Aufräumarbeiten: «Zuerst müssen wir Licht ins Dunkel der früheren New-Economy-Bilanzen bringen und die Leichen im Keller entsorgen.» Das wird schwer genug, denn mit der Zweidrittelmehrheit an der Distefora Mobile hat die Minick-Crew auch die Altlasten einer mitunter absurden, nur auf den äusseren Schein gerichteten Unternehmenspolitik übernommen. Zum Beispiel den Mietvertrag für ein nutzloses Renommierbüro im Geschäftszentrum von Stockholm oder den Leasingvertrag für eine Flotte von Nobelkarossen.
«Wenn wir jetzt nicht schnell den Hebel umlegen, fahren wir gegen eine Wand», ahnt Kägi. Harte Restrukturierungsmassnahmen sind angesagt. Der Personalbestand wird von 55 auf 35 Personen reduziert. Auch die Bezüge der Chefs sollen sinken. Für Kägi geht es ums Prinzip: «Wir müssen begreifen, dass die Zeit des lockeren Geldes vorbei ist.» Übrigens: Alexander Falk ist unterdessen Gesellschafter von zwei international tätigen Privatbanken.
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