Peter Wick, Chris Tanner und Peter Zuppinger (von links) bestimmen seit Ernst Müller-Möhls Unfalltod die Geschichte der A&A-Gruppe.

Am Abend des 3. Mai 2000, einem Mittwoch, war an der Zürcher Bahnhofstrasse 92 in den Räumen der A&A Actienbank noch eine Sitzung anberaumt. Teilnehmer unter anderen der Firmengründer und Mehrheitsaktionär der A&A-Gruppe, Ernst Müller-Möhl. Doch der 43-jährige Financier kam nicht; er war mit der von ihm pilotierten Cessna am Gotthard abgestürzt. Zu später Stunde erschien Carolina Müller-Möhl und bat die versammelte Mannschaft, das Unternehmen genau so weiterzuführen, wie das ihr verstorbener Mann getan hätte.
Dass dies möglich sei, wird in der Finanzbranche angezweifelt. Müller-Möhl hatte immer mehr Neider als Bewunderer; doch auch seine heftigsten Kritiker, die vor allem in den Führungsetagen der Grossbanken zu finden sind, zollten seinem Einfallsreichtum, seinen Investmentideen Bewunderung. Gerade ein junges Bankhaus wie die erst zweieinhalb Jahre alte A&A Actienbank kann sich nur mit Aufsehen erregenden Geistesblitzen bei potenziellen Vermögensverwaltungskunden empfehlen.
Hätte die A&A Holding über kotierte Aktien verfügt, die Kurse wären in jenen Maitagen bös in die Tiefe gerauscht. Denn der Name Ernst Müller-Möhl stand schlechthin für das ganze Unternehmen. «Der Übervater ist weg, jetzt müssen die das Geld selber verdienen. Der Ernst wird es nicht mehr richten, falls etwas danebengeht», urteilt Hans Dieter Fuchs, Ascom-Aktionär und Schweizer Financier mit Operationsbasis Kapstadt. Ein bekannter Bankier vom Platz Zürich fasst, auf Anonymität beharrend, in Worte, was manch andere nur denken: «Ernst Müller-Möhl hatte die grossen Ideen, die anderen mussten sie ausführen. Nun fehlen die Ideen.» Ein einstiger Weggefährte von Martin Ebner – beim erfolgreichen Bankier ging auch Müller-Möhl in die Lehre – spricht sogar von einem «kalten Neustart» der A&A-Gruppe.
Von solchen Unkenrufen nicht beirren lässt sich das in der Öffentlichkeit zwar kaum bekannte, doch hochkarätige A&A-Führungstrio (siehe «Die neuen Herren» auf dieser Seite). Der Tod des Capo löste in ihren Reihen nur kurz Wirrwarr aus, dann erkannten Peter Zuppinger, Peter Wick und Chris Tanner ihre grosse Chance, nämlich Herren und Meister zu werden in der eigenen Bank. Das Instrument dazu hat ihnen Müller-Möhl selbst in die Hand gegeben: Aktive Partnerschaft nennt sich das System, das der Financier bei der BZ gelernt, danach auf die von ihm 1993 gegründete Bank am Bellevue und später auf die A&A übertragen hat. Nur dank solchen Beteiligungsmodellen können finanzschwache Jungbanken Topleute ködern.
«Seit der Gründung besteht die Vereinbarung, dass eine Beteiligung die aktive Partnerschaft bedingt», stellt Zuppinger klar. Weshalb konnte dann Ernst Müller-Möhl 51 Prozent halten, obwohl er nie operative Funktionen ausübte? «Er war unser Zugpferd, der Anteil hat seiner Leistung entsprochen. Nun müssen wir diesen Verlust an Leistung durch neue Partner ersetzen, und dazu brauchen wir Aktien» (Zuppinger).
Diese holte man sich dort, wo es genügend davon gab – bei der Witwe. «Carolina Müller-Möhl ist eine intelligente Frau, die dem Unternehmen einiges bringt. Doch beiden Seiten ist klar, dass sie die Gruppe nicht führen kann», spricht Zuppinger Klartext. So wurden, nur rund zwei Wochen nach der Trauerfeier, Verhandlungen angesetzt über den Abbau der Mehrheitsbeteiligung. Dabei will Zuppinger weder von massivem Druck noch von hitzigen Diskussionen etwas wissen. Schliesslich einigte man sich darauf, die ursprüngliche Mehrheitsbeteiligung bis im Frühling 2001 schrittweise auf noch zehn Prozent abzubauen. Im Gegenzug durfte die Erbin im Verwaltungsrat der A&A Holding Einsitz nehmen.
Den Preis für die übernommenen Aktien will Zuppinger zwar nicht nennen. Laut Aktionärsbindungsvertrag wird aber beim Ein- und Ausstieg der Net Asset Value herangezogen. Gegenwärtig entspricht ein A&A-Prozent rund 1,8 Millionen Franken an Eigenmitteln. Frau Müller-Möhl erhält also für ihren Teilausstieg etwas über 70 Millionen. Ein mageres Entgelt für die Abtretung der Mehrheit an einer Bank, die sich als Gewinnturbo entpuppt; allein die Actienbank erwirtschaftete 1999 einen Gewinn von 21,4 Millionen Franken, und dies bei einem Eigenkapital von 64,2 Millionen. Auf Gruppenebene lag der Return on Equity in den ersten Monaten 2000 sogar weit über den anvisierten 35 Prozent.
«Wir wollen die zurückgekauften Aktien nicht dazu missbrauchen, unsere Anteile aufzustocken», betont Peter Zuppinger. Was auch gar nicht nötig ist. An der A&A Holding hält Zuppinger zwölf, Wick acht und Tanner fünf Prozent der Aktien. Ohne Mehrheit lässt sich die Gruppe auch mit nur einem Viertel der Stimmen kontrollieren. Zumal die anderen Mitarbeiter, die weitere 20 Prozent halten, sowie die künftigen Partner wohl kaum gross gegen den Dreierbund opponieren werden.
Erstaunlich auch, in welchem Tempo die Entflechtung der A&A vom privaten Besitz von Müller-Möhl durchgezogen wird. So hat Günter Kreissel, ein Freund Ernst Müller-Möhls aus Bank-am-Bellevue-Zeiten und A&A-Mann der ersten Stunde, überraschend seine Verwaltungsratssitze sowie die Minimalbeteiligung zurückgegeben. Im Weiteren hat sich die Actienbank vom Projekt der asiatischen Beteiligungsgesellschaft A&A Dragon verabschiedet sowie die Zusammenarbeit zwischen der Investmentfirma A&A Early Bird und Research Partners gekappt. Ernst Müller-Möhl erwarb einst ein Fünftel des Kapitals dieser US-Gesellschaft, um sich so deren Research zu sichern.
Was mit diesem Anteil geschehen soll, darüber hat sich die Erbengemeinschaft Ernst Müller-Möhl Gedanken zu machen. Wie auch über das diversifizierte Portefeuille, bestückt mit Beteiligungen an Ascom, Bellevue Holding, Arbonia-Forster, Saurer, BZ Gruppe, COS, Siegfried, Siber Hegner, A&A Holding. Allein die gewichtigen Anlagen repräsentieren einen Bruttowert von gut einer Milliarde Franken. Carolina Müller-Möhl hat vor einem halben Jahr entschieden, diese Investments aktiv von einem neu zusammengestellten Team managen zu lassen (siehe auch nebenstehenden Kasten). «Gegenwärtig sind wir damit beschäftigt, eine neue Strategie auszuarbeiten», erläutert Frank Gulich, der noch von Ernst Müller-Möhl ins Family-Office verpflichtet wurde – und einen Tag nach dem Absturz in Zürich eintraf.
Vorderhand kaum zur Disposition steht das stattlichste Besitztum, das 720 Millionen Franken schwere 27-Prozent-Paket an Ascom. Die Erbengemeinschaft hat das bei der A&A liegende Mandat für diese Beteiligung verlängert. Mit gutem Grund: Peter Wick, CIO bei der Actienbank, erreichte innert weniger Monate, was Ernst Müller-Möhl verwehrt blieb, nämlich die Einführung der Einheitsaktie bei Ascom. Auf die Einigung mit der Hasler-Stiftung, die für ihren damit verbundenen Stimmenverlust eine Abgeltung einforderte, will Wick nicht eingehen. Nur so viel: «Es war ein Supervergleich, am Schluss hat es viele lachende Gesichter gegeben.» Nicht ins Lachen einstimmen mag Hans Dieter Fuchs. Der Financier spricht von einer unnötigen Abgeltung, angeblich sollen 20 Millionen Franken geflossen sein. Was Fuchs von Wicks Verhandlungsgeschick hält, illustriert er mit einem chinesischen Sprichwort: «Wer sich überall verbeugt, zerschlägt mit seinem Hintern die Tassen.»
Der Erfolg bei Ascom trug der A&A-Gruppe Schlagzeilen ein. Allerdings hat das Unternehmen «in den letzten Monaten weit mehr auf die Schiene gebracht. Wir haben das nur nicht in die Öffentlichkeit getragen», meint Uli Sigg, der den Firmengründer als Verwaltungsratspräsident abgelöst hat. Jedenfalls ist die A&A-Gruppe auf 60 Leute angewachsen, mehrere Hundert Kunden lassen gegen eine Milliarde Franken verwalten. Stolz werden die nach Müller-Möhls Zeit umgesetzten Projekte ins Feld geführt, etwa die letzten Sommer aus der Taufe gehobene Beteiligungsgesellschaft A&A Venture, die bereits über ein Aktienkapital von 45 Millionen verfügt.
Mit Verve spricht man an der Bahnhofstrasse 92 über Objekte, bei denen A&A als aktiver Investor gefragt ist. Wie bei De Grisogono, einem jungen Uhrenunternehmen, das für 15 Millionen Franken einen 39-Prozent-Anteil abgetreten hat. Oder wie beim zwar noch unter Müller-Möhl initiierten, inzwischen aber an Umfang deutlich gewachsenen Projekt «20 Minuten», dem kürzlich 117 Millionen Franken frisches Kapital zugeführt wurden und an dem die A&A-Gruppe 29 Prozent hält. «Dieses Investment hat sich für uns sehr erfolgreich entwickelt», schwärmt Chris Tanner, Produktmanager bei A&A Active Investor. Nur um sofort die neuste Idee hervorzuklauben: eine Holding, in der unabhängige Schweizer Kabelnetzbetreiber als Aktionäre zentralisierte Dienste angeboten erhalten wie etwa ein Rechnungszentrum, technischen Support oder gemeinsame Finanzierung.
«Die A&A-Gruppe ist gut auf Kurs. Im unternehmerischen Sinn sind wir also rasch über den Tod von Ernst Müller-Möhl hinweggekommen», ist sich Uli Sigg sicher. Aus den Gedanken allerdings lässt sich der Übervater nicht so schnell verscheuchen.

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