Sie bauen die höchsten Häuser, die schnellsten Züge, die längsten Brücken, die breitesten Autobahnen und inzwischen fast alle Computer: die Chinesen. «Die Welt wird chinesisch»,
titeln die Zeitungen im nicht chinesischen Rest der Welt. Soeben ist das Reich der Mitte auf der Liste der grössten Wirtschaftsmächte auf Rang sechs vorgerückt, indem es Italien hinter sich gelassen hat, das vom britischen «Economist» einmal als «kranker Mann Europas» bezeichnet wurde; in diesen Tagen wird aber auch Frankreich überholt, und noch vor Ende Jahr ist dann Grossbritannien an der Reihe, eine Zone, die für europäische Verhältnisse ordentlich boomt. Aber China wächst stärker, viel stärker, höchstens Indien kann da noch Schritt halten.
Vor allem dauert der chinesische Sprint schon erstaunlich lange. Seit einem Vierteljahrhundert wächst und wächst die Wirtschaft um mehr als neun Prozent im Jahr, letzthin sogar um mehr als zehn Prozent. Kein Baum spriesst in den Himmel – aber so hohe Zuwachsraten über einen so langen Zeitraum machen schon Eindruck. Die Konsequenzen kann man sich anhand einer einfachen mathematischen Formel ausrechnen: Teilt man die Zahl 70 durch das prozentuale Wachstum, erhält man die Anzahl Jahre, die es dauert bis zur Verdoppelung. Wächst das Bruttoinlandprodukt also um zehn Prozent im Jahr, so verdoppelt es sich alle sieben Jahre. So gesehen ist es nur eine Frage der Zeit, bis China auch die heutige Wirtschaftsmacht Nummer eins, die USA, überholen wird. In etwa 30 Jahren dürfte das der Fall sein.
Beim Vergleich der Wirtschaftskraft von Ländern spielt die schiere Grösse eine enorme Rolle. In keinem anderen Land leben so viele Menschen wie in China: ein Fünftel der Weltbevölkerung. Misst man die Wirtschaftsleistung pro Kopf, liegt China noch weit zurück, ist sie doch etwa 30-mal geringer als diejenige der Schweiz. Doch auch das ist ein vorläufiger Wert: Laufen die Prozesse weiter wie in den letzten 25 Jahren, wächst China weiterhin so schnell und die Schweiz so gemächlich, dann hat uns China in etwa 40 Jahren auch beim Pro-Kopf-Einkommen eingeholt.
Davor haben viele Leute Angst: «Durch Chinas Aufstieg wird unsere industrielle Basis bröckeln», sagt der deutsche Autor Wolfganz Hirn in seinem Buch «Herausforderung China»
voraus, indem er darlegt, dass China künftig «nahezu alles herstellen kann, und zwar zu unschlagbaren Preisen». Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Die allgemeine Erfahrung, die jeder Jogger oder Pianist macht, geht so: Je weiter man es schon gebracht hat, umso schwieriger wird es, sich nochmals zu steigern. Im neuen Fünfjahresplan, im März vom Volkskongress in Peking verabschiedet, werden die erwarteten Wachstumsraten bis 2010 denn auch auf jährlich 7,5 Prozent reduziert – was immer noch beachtlich ist. Parallel zum steigenden Pro-Kopf-Einkommen werden allerdings auch die tiefen Löhne allmählich steigen, ein Prozess, der bereits in Gang gekommen ist. Die Elektronikfabriken wurden ursprünglich fast alle in der Provinz Guangdong im Südosten angesiedelt; inzwischen ist diese Gegend einigen Konzernen bereits zu teuer geworden, nun ziehen sie weiter ins Landesinnere, wo viele, viele weitere Standorte locken. Das Reich der Mitte ist riesig, der ländliche Raum noch arm, das Reservoir an Billigstarbeitskräften gigantisch. Aber es wird auch in China nicht unerschöpflich sein.