John Maynard Keynes nahm die «Times» vom Wochenende, zählte die Zahl der Inserate und wusste, wie gut oder wie schlecht es um die Konjunktur stand. Wer heute auf die Zahl der Autos abstellen würde, die neu verkauft werden, sähe die Zukunft rabenschwarz: 2004 war das zweitschlechteste Jahr seit 25 Jahren, und in den ersten Monaten 2005 ging es nochmals bergab.
Eine kleine Rückfrage bei der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich ergibt: Die Autoverkäufe schwanken zwar von Monat zu Monat etwas erratisch, aber der Trend geht eindeutig abwärts, von 330 000 auf 280 000 Stück in den Jahren 2000 bis 2004. Das sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass sehr viele Leute ihr Vertrauen in die Sicherheit der Arbeitsplätze verloren hätten, wie Umfragen zeigen. Diese Leute verzichten dann als Erstes auf eine grosse Ausgabe wie ein neues Auto.
Grüne Kritiker dürften aufatmen. «Wollen Sie etwa, dass die Autobranche ihre Verkaufszahlen verdoppelt und achtspurige Autobahnen durchsetzt?», fragen Urs P. Gasche und Hanspeter Guggenbühl in ihrem Buch «Das Geschwätz vom Wachstum» und warnen: «Je mehr Verletzte auf den Strassen, desto höher das Bruttoinlandprodukt.»
Ganz so einfach ist es freilich nicht. Zwar sinkt die Zahl der Verkehrstoten und der Schwerverletzten etwas, aber das liegt an den verschärften Tempolimiten, zudem wurden die Autos sicherer. Der Verkehr selber wächst aber ungebremst, immer weitere Wege legen Schweizerinnen und Schweizer mit dem Auto zurück. 1984 waren es pro Person und Tag erst 19,2 Kilometer, im Jahr 2000 bereits 25,6 Kilometer. Im Vergleich dazu kommt die Eisenbahn nur auf bescheidene 5,2 Kilometer pro Person und Tag, auch der Bus- und Tramverkehr liegt mit 1,4 Kilometern pro Person und Tag weit zurück.
Vor allem aber kurven in der Schweiz immer noch mehr Autos herum. Jahr für Jahr steigt ihre Zahl um weitere 1,5 bis 2 Prozent, zurzeit hat mindestens jeder zweite Einwohner (Babys und Greise eingerechnet) ein Auto. Wie ist dieses Wachstum möglich, wenn doch die Zahl der Verkäufe von neuen Autos derart sinkt? Ganz einfach: Indem Autos immer länger laufen. 1990 waren erst 500 000 Autos älter als zehn Jahre, was 15 Prozent des Bestandes ausmachte. Heute sind nahezu 1,2 Millionen Autos länger als zehn Jahre in Betrieb, was einem Anteil von 31 Prozent entspricht.
So erfüllt die Autobranche immerhin eine Forderung der Umweltbewegung: Der Verschleiss der «grauen Energie» nimmt ab, die Lebensdauer eines Autos steigt langsam, aber stetig. Bei anderen Konsumgütern ist das anders: «PC und Drucker werden nur vier bis fünf Jahre gebraucht, Mobiltelefone nur drei Jahre», schätzt die Recycling-Organisation Swico.
Dass die Autos immer länger halten, liegt womöglich auch daran, dass Schweizerinnen und Schweizer immer teurere auswählen. Der Wert eines neu verkauften Autos stieg in den letzten 15 Jahren rund zweieinhalbmal so stark wie die Teuerung. Ein Auto, das heute neu importiert wird, hat beim Zoll einen durchschnittlichen Wert von 28 000 Franken; der effektive Ladenpreis dürfte im Schnitt 40 000 Franken erreichen. Oder anders gesagt: Die wenigen Leute, die noch neue Autos kaufen, haben genug Geld.
Quelle: «Strassenfahrzeuge in der Schweiz» und «Eingeführte Strassenfahrzeuge 2004», Bundesamt für Statistik, Neuenburg. Als PDF unter www.bfs.admin.ch