Basel, Elisabethenstrasse 62, 6. Stock. Wer im fünfzehn Quadratmeter grossen Sitzungszimmer am Hauptsitz der Basler Privatbank Sarasin Prunk und Glorie erwartet, wird enttäuscht – Spannteppichboden, Gardinenfenster, Holztäfer und ein Mobiliar, das bieder wirkt, fast muffig. Einzig die Notenzählmaschine neben dem Besprechungstisch zeugt von dem, was sich in diesem Raum normalerweise abspielt: Empfänge für Leute mit viel Cash. Sie sind das tägliche Brot von Eric Sarasin.
Eric Sarasin ist Partner der Bank und seit Anfang dieses Jahres Geschäftsleitungsmitglied mit Verantwortung für den grössten Teil des Kerngeschäfts, das Private Banking. Der 46-Jährige ist Bankier durch und durch: «Mein Vater hat 40 Jahre hier gearbeitet», sagt er, «ich bin mit der Bank aufgewachsen.»
In die Schablone des typischen Privatbankiers passt er dennoch nicht. Den Traditionalisten seines Fachs ist er zu laut, zu aufgeschlossen, zu locker. Etwa wenn er sich traut, in einem BILANZ-Interview daran zu zweifeln, ob die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug noch zeitgemäss sei. Diese Schweizer Finesse stösst im Ausland zunehmend auf Kritik. Das Statement hat für Aufregung gesorgt. Erstens, weil es Sarasin war, der sich äusserte. Zweitens, weil er es mit einer eigenen Meinung tat, die drittens von jener der Bankiervereinigung abweicht. Die Rüge, die er dafür kassierte, hat ihn zwar getroffen, ändern wird sie ihn nicht: «Ich will zu dem stehen, was ich sage und tue, und sagen und tun, wozu ich stehen kann.» Der Satz sitzt, Eric Sarasin lehnt sich zufrieden zurück.
Da sitzt einer, der Erwartungen nicht erfüllt, sondern Erwartungen weckt, weil er zwar mit Leib und Seele Privatbankier ist, aber eben anders. Ein kleiner Unterschied: Sarasin geht nicht joggen, sondern «go seggle». Ein grosser Unterschied: Sarasin sagt zu potenziellen Kunden Dinge wie «Geben Sie uns eine Chance!» und «Testen Sie uns!». Ausserhalb des konservativen Zirkels kommt er mit seiner Art gut an. «Sarasin steht für eine offene Schweiz», sagt ein Geschäftspartner. «Eric ist ein Bankier, der weit mehr im Kopf hat als seine Bank und Geld», sagt ein Jugendfreund.
Mehr im Kopf – das sind Engagements wie diese: Sarasin sitzt im Vorstand des Swiss-American Advisory Board, ist Präsident der Handelskammer Deutschland–Schweiz. Er ist Rotarier und Zünftler, engagiert sich aber auch in der Stiftung Henri Dunant sowie in der Stiftung Philias, die sich dem Thema der sozialen Verantwortung von Unternehmen verschrieben hat. Wie es sich für ein Mitglied des Basler Daigs ziemt, engagiert er sich fürs Gemeinwohl der Stadt: Sarasin sitzt in der Finanzkommission des Basler Zoos und im Verwaltungsrat der GGG Breite in Basel, einer Liegenschaften-AG mit «ausschliesslich gemeinnützigem Zweck» (Handelsregister).
Eric Sarasin hat sich einen Namen gemacht als Bankier, der Chancen sieht. Eine davon hiess Genf. Dort wollte er einen Standort. Unbedingt. Und er liess nicht locker – bis er vor sechseinhalb Jahren endlich grünes Licht erhielt: Er konnte von einer englischen Bank eine achtköpfige Equipe übernehmen und gründete eine Vermögensverwaltung. Vor drei Jahren erhielt Sarasin Genf Bankenstatus und damit neuen Schub. Genf galt als Speerspitze für das internationale Geschäft, für das Sarasin verantwortlich war. Um die vielen Mitarbeiter, die aus allen möglichen Finanzhäusern rekrutiert worden sind, Bank-Sarasin-kompatibel zu trimmen, liess sich Eric Sarasin an den Lac Léman versetzen. Heute ist das Bankhaus in Genf mit 100 Mitarbeitern im Finanzestablishment ein Begriff. Dieser Erfolg gilt als Sarasins Gesellenstück. Er hat sich damit für die Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung qualifiziert. Sarasin ist zufrieden: «Ich trage jetzt zwar mehr Verantwortung», sagt er, «habe aber auch mehr Einfluss.» Und: Eric Sarasin ist nun in der Poleposition, um dereinst die Nachfolge von CEO Peter Merian anzutreten.
Damit hat er es unendlich viel weitergebracht, als sein Vater dies vor 30 Jahren wohl zu hoffen wagte: Damals warf Eric Sarasin ein Jahr vor der Matur das Handtuch und verliess das Internat Schloss Glarisegg am Bodensee. Er kehrte nach Basel zurück und schrieb sich an der Handelsschule ein. Sein Vater liess ihn gewähren, zog aber andere Saiten auf, etwa indem er das Taschengeld strich: «Mein Vater war hart, aber fair», sagt Sarasin.
Als 22-Jähriger landete Eric Sarasin dann doch im Bankfach. Dank seiner französischen Mutter zweisprachig aufgewachsen, fand er einen Assistentenjob bei der Genfer Privatbank Pictet. Anschliessend besserte er in der Business School Babson in Boston seinen Schulsack auf und arbeitete dann vier Jahre lang bei der Citibank in New York. «Nabelschnur abschneiden und mich beweisen», antwortet Sarasin auf die Frage, was es mit seiner Zeit in den USA auf sich hatte. 1988 trat er schliesslich in die Bank seines Vaters ein. Er stieg auf zum Chef Institutionelle Kunden, wurde Partner, bekam die Verantwortung für das internationale Private Banking und schliesslich als Geschäftsleitungsmitglied die Verantwortung für das Private Banking der Sitze Basel, Genf und Lugano.
Die Bank seiner Vorväter steckt in einer tief greifenden Veränderung: Aus der altehrwürdigen Bank Sarasin soll eine Privatbank neuzeitlichen Zuschnitts werden. «Wir wollen eine der führenden Privatbanken Europas werden», sagt Eric Sarasin.
Dafür die Voraussetzungen zu schaffen, hat Kraft und Geld gekostet. Vor zwei Jahren haben die Teilhaber der Bank Sarasin entschieden, mit der holländischen Rabobank eine Partnerschaft einzugehen. Die Vorstellungen beider Seiten passen gut zusammen: Die Rabobank will vorwärts kommen im Private Banking, und die Bank Sarasin will vorwärts kommen im Ausland. Seit Juni 2002 besitzen die Holländer 28 Prozent am Kapital der Bank Sarasin und 16 Prozent der Stimmen. Die Basler ihrerseits sind dank diesem Handel über Nacht zu Niederlassungen in Luxemburg, Singapur und Hongkong gekommen. 300 Millionen Franken hat diese «strategische Allianz» verschlungen. Gekostet hat sie die zwölf Teilhaber, zu denen unter anderem Präsident Georg Krayer, CEO Peter Merian und auch Eric Sarasin gehören, aber bedeutend mehr. Die Zusage nämlich, den Holländern die Bank Sarasin zu überlassen, falls diese das wünschen. Die Teilhaber haben ihre Anteile in der Eichbaum Holding gebündelt und kommen auf 52 Prozent der Stimmen und 18 Prozent des Kapitals. Die Holländer können dies alles übernehmen, wenn sie wollen. Das Angebot gilt bis 2009.
In der Bank Sarasin herrscht ein neuer Geist. Relationen verschieben sich: Waren einst 80 Prozent der Kunden Schweizer, sind es heute nur noch 50 Prozent. Ziemte es sich früher nicht, Kunden aktiv zu akquirieren, ist es heute das Gebot der Stunde. Die Bank Sarasin will die rund 50 Milliarden Franken Vermögen, die sie derzeit verwaltet, auf 100 Milliarden Franken verdoppeln. Dank neuen Kunden, aber auch über Zukäufe. Letztes Jahr übernahm sie die DAB Schweiz, Anbieter in der Fondsabwicklung und -kontoführung, und kaufte in Paris die Expertise Asset Management zu. Im März 2004 akquirierte sie zudem Chiswell Asset Management und damit eine Schar von reichen britischen Privatkunden.
Von 50 auf 100 Milliarden Franken – Eric Sarsin gefällt die Vorstellung, kommt sie doch der Aufforderung gleich, das Geschäft neu anzupacken. Die Stossrichtungen heissen: erstens die bestehende Kundschaft besser pflegen, um Abflüsse zu stoppen, und zweitens in der Schweiz wie im Ausland neue Kunden gewinnen. Dieses Jahr startet Sarasin via Mailing eine entsprechende Offensive und setzt ein Zeichen. «Ich möchte, dass wir an der Front sind», sagt er. Das heisst: mehr System, mehr Bewegung, mehr angelsächsisches Temperament in der Kundengelderakquisition. Und weniger Standesdünkel.
Auch Vermögen zwischen 100 000 und 500 000 Franken hat er im Visier. «Ein Segment mit grossem Potenzial», sagt er, seine Stimme klingt allerdings ein wenig, als müsste er sich davon selbst noch überzeugen. Sicher, zur optimalen Auslastung von IT-Plattformen und Fondsabteilungen sind solche Summen wie geschaffen. Sie sind gross genug, um mit standardisierten Dienstleistungen und Produkten profitabel bewirtschaftet werden zu können – ein Treatment, das im Falle der wirklich Reichen nie in Frage käme. Sie sind und bleiben die VIPs im Portefeuille der Bank und werden auch in Zukunft nach alter Väter Sitte gehegt und gepflegt. Eric Sarasin nennt das «Massschneider sein». Diese Rolle ist ihm auf den Leib geschrieben. Sarasin gilt als personifizierte Kontaktfreudigkeit. «Ich kann mit allen möglichen Leuten umgehen», beantwortet Sarasin die Frage, was er besonders gut könne – es ist übrigens auch die Antwort auf die Frage, was ihm in seinem Job am meisten Freude mache.
Das Ziel, aus der Bank Sarasin eine führende Privatbank in Europa zu machen, ist fern, die Reise dorthin lang. Sie wird fünf, eher zehn Jahre dauern. In zehn Jahren wird er 56 sein. Sehr gut möglich, dass er dann noch immer bei der Bank Sarasin ist und deren CEO. Schliesslich fliesst hier sein Herzblut. Aber was, wenn nicht? Das hat sich Eric Sarasin, wie es scheint, auch schon gefragt. Die Antwort kommt schnell: «Wenn ich einmal nicht mehr bei der Bank bin, arbeite ich für eine wohltätige Institution. Oder im sportlichen Bereich.» Zum Beispiel beim FC Basel. Sarasin ist einer seiner ganz grossen Fans.