Peter Spuhler, der Industrielle Michael Pieper …
Peter Spuhler: … ein geschätzter Geschäftspartner und enger Freund …
Herr Pieper sagte kürzlich: «Früher war der Kunde bei den Banken die Nummer eins – Dienen stand vor dem Verdienen. Heute ist es leider umgekehrt.» Hat Ihr Geschäftspartner und Freund recht?
Sergio Ermotti: Ich respektiere andere Meinungen, würde aber schon noch differenzieren wollen. Spuhler: Sicher wurde vor der Finanzkrise übertrieben. Man hat politisch und regulatorisch massiv korrigiert, für meinen Begriff im übertriebenen Mass. Zu Ihrer Ausgangsfrage: Ich widerspreche meinem Freund Michael Pieper ungern, aber wir dürfen zufrieden sein mit unseren Banken, die einen wesentlichen Beitrag zu unserem Bruttoinlandprodukt leisten. Ermotti: Ich kann nur für unsere Bank und für mich sprechen: Da stehen die Interessen der Kunden, Aktionäre und Mitarbeitenden im Gleichgewicht. Nur wenn dieses Gleichgewicht funktioniert, kann man nachhaltig Geschäfte entwickeln. Wenn einer der drei übermässig profitiert, resultiert daraus keine Nachhaltigkeit.
Gilt das auch für die KMU?
Ermotti: Wir haben in der Schweiz einen starken KMU-Fokus. UBS ist für KMU – übrigens auch für Grossunternehmen – die führende Bank im Cash Management, im Zahlungsverkehr, im Fremdwährungsgeschäft sowie bei Handels- und Exportfinanzierungen. Wir wollen unserer Kundschaft die richtigen Dienstleistungen zum richtigen Preis offerieren, das heisst: zu einem Preis, bei dem beide glücklich sind. Mit dem Ziel, gemeinsam zu wachsen. Keine andere Bank betreut heute so viele Schweizer Unternehmen wie wir. Wir vergeben jährlich neue Kredite in der Höhe von einer halben Milliarde Franken, darunter an viele KMU.
Das Verhältnis zwischen Werkplatz und Finanzplatz hat sich also wieder auf Normalmass entspannt? Kein Fluchen mehr wie vor drei oder vier Jahren?
Spuhler: Das Fluchen hat sicher abgenommen und die Akzeptanz des Finanzplatzes ist wieder gestiegen. Alle hatten weltweit die grosse Party gefeiert, die Investoren, die Sparer, die Pensionskassen, einfach alle – bis die Blase platzte. Es wurden sicher Risiken unterschätzt und man hat hochriskante Hypothekarpapiere mit sicheren Papieren auf den Markt geworfen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die beiden staatlichen Institute Fanny Mae und Freddie Mac am Ursprung des Desasters standen.
Tempi passati?
Ermotti: Wir sind heute eine ganz andere Bank. Eine mit klarem Kundenfokus und Kapitalstärke.
Spuhler: Ich war als Nationalrat immer der Verfechter des Werkplatzes Schweiz und habe mich für dessen Interessen stark eingesetzt. Mir war aber auch klar, dass der Finanzplatz mit seiner Bedeutung auch den politischen Support braucht.
Sie tönen ja wie ein Bankenlobbyist?
Spuhler: Ich bin ein kritischer Begleiter der Finanzbranche und betone immer wieder, dass die Banken eine grosse Verantwortung tragen. Sie müssen den Werkplatz weiter fördern und bei Familienfirmen helfen, den Generationenwechsel zu vollziehen.
Sie reden aus eigener Erfahrung?
Spuhler: Ich stamme aus einfachen Verhältnissen und habe keine Firma mit auf den Weg bekommen. Mit 29 Jahren erhielt ich einen 100-prozentigen Kredit ohne Sicherheit für die Übernahme von Stadler. Allerdings nicht von der UBS, sondern von der Thurgauer Kantonalbank. Ich fürchte, ich könnte heute nicht mehr auf dieselbe Art Unternehmer werden.
Wieso nicht?
Spuhler: Heute müssen Sie bei Firmenübernahmen mindestens einen Drittel als Eigenkapital mitbringen. Daran sind die Banken nicht alleine schuld, sondern auch die Regulatoren mit hohen Anforderungen an die Eigenkapitalunterlegung.
Peter Spuhler würden Sie finanziell unterstützen?
Ermotti: Zweifellos.
Weshalb?
Ermotti: Mir sind die Erfahrungen, wie sie Peter schildert, bekannt, weil ich mit vielen Unternehmern im Austausch bin. Fakt ist, dass die Banken wichtig sind für die Versorgung der Unternehmen und insbesondere KMU in der Schweiz. Denn anders als beispielsweise in den USA können sich kleinere Unternehmen hierzulande kaum ihre Investitionen direkt über den Kapitalmarkt finanzieren. Es ist klar: Eine Bank ohne funktionierende Wirtschaft kann nicht gedeihen, also helfen wir Schweizer Unternehmen, erfolgreich zu sein.
Das Umfeld ist geprägt derzeit von Negativzinsen. Sie, Herr Ermotti, sind kritisch.
Ermotti: Die Negativzinsen haben Auswirkungen auf unsere Erträge und Profite. Und: Wir brauchen Profite, um zum Beispiel Firmenkredite anbieten zu können. Daneben gibt es natürlich auch negative Auswirkungen für Sparer und Pensionskassen.
Spuhler: Allen war klar, dass die Untergrenze irgendwann fallen würde. Ich habe die Art kritisiert, wie die SNB am 15. Januar 2015 den Stecker zog – und damit eine zweite grosse Welle auslöste. Das hätte man eleganter machen können. Und es war eine ärgerliche Terminierung. Den Schritt vom Januar 2015 hätte man bereits im Herbst 2014 machen können, als die Budgetierung für 2015 noch nicht beschlossen war. Zudem hätte ich mir ein schrittweises Vorgehen gewünscht, wie dies eine Zentralbank mit den Zinsen tut. Man hätte von 1,20 auf 1,15 oder 1,10 runtergehen können. Statt einen eleganten und verträglichen Weg zu wählen, hat man den Hammer auf die Exportindustrie niedergehen lassen.
Und heute?
Spuhler: Das Ziel der SNB sind stabile Preise. Die Höhe der Bilanz und des Gewinns ist sekundärer Natur. Aus dieser Sicht macht die SNB eine gute Politik.
Das Risiko ist nicht wirklich entschärft. Siehe Griechenland, Italien.
Ermotti: Wir hatten in den letzten Jahren einen schönen Wachstumszyklus. Da ist es fast schon zyklisch normal, dass wir eine unruhigere Zeit vor uns haben. Und wenn ich mich geopolitisch umschaue, dann sehe ich den Brexit, ich sehe Italien, Frankreich, Spanien, sogar in Deutschland macht sich Unsicherheit breit. Kurzum: Die Welt ist weniger berechenbar. Wir müssen uns damit anfreunden, dass die nächsten Jahre schwieriger werden.
Ein Zyklus läuft aus?
Ermotti: Ja, aber das heisst nicht, dass daraus eine Krise oder gar eine Rezession entstehen muss. Aber es könnte sein, dass wir eine Abschwächung erleben. Also, man sollte keine Panik machen oder Angst verbreiten, aber wir sollten nicht so tun, als ginge alles so weiter wie bisher und nur bergauf.
Sieht auch der Industrielle Wolken aufziehen?
Spuhler: Wir haben als Exportunternehmer gelernt, mit Krisen und Einbrüchen zu leben. Die erste Währungsverwerfung im November 2011 hat uns extrem hart getroffen, unvorbereitet. Es machte wusch – und schon waren wir 30 Prozent teurer als die Konkurrenz im Ausland. Ich erinnere daran: Wir haben über 3000 Mitarbeitende in der Schweiz und 50 Prozent der Produktionsleistung Schweiz geht in den Export. Das sagt alles.
Ein Schock – und dann eine Abkühlung?
Spuhler: Wir müssen damit leben, dass irgendwann eine nächste Krise eintrifft. Wenn eine solche Situation eintritt, müssen wir schnell und hart reagieren, um den Kurs halten zu können. Wir haben in unserer Industrie zum Glück sehr langfristige Zyklen. Was wir heute an Aufträgen gewinnen, sorgt drei, vier Jahre später für Umsatz. Wir sehen also Jahre im Voraus, wo der Umsatz zu liegen kommt, und können die Margen hochrechnen. Wenn es kriselt, kann man flexibler reagieren. Zudem haben wir im Moment einen hohen Auftragsbestand.
Ermotti: Ich bin kein Industrieller, aber global sehe ich strukturelle Defizite in der Infrastruktur. Wenn die Konjunktur gut läuft, profitieren Unternehmen in dieser Branche, und wenn sie sich abschwächt, versucht die Politik, Wachstum durch Investitionen in Infrastruktur zu stabilisieren.
Spuhler: Langfristig sind wir sicher gut positioniert. Die Zahl der Megacities verdoppelt sich innerhalb von 15 Jahren. Der Verkehrskollaps in diesen Metropolen ist allgegenwärtig, weshalb der ÖV ausgebaut werden muss. Dadurch können wir wachsen.
Nur die Banken haben wenig davon, weil Stadler Rail keine Bankkredite benötigt.
Spuhler: Ja, das kann man so sagen. Wir haben gerade einmal 5 Prozent Fremdkapital in der Bilanz. Das Wachstum haben wir in der Vergangenheit aus eigener Kraft gestemmt. Was wir hingegen von den Banken brauchen, sind Bürgschaften. Wir kriegen Anzahlungen von Kunden, bei rund der Hälfte davon müssen wir Bankgarantien für die Anzahlungen leisten.
Stadler Rail ist an einem Readyness-Check, um allenfalls an die Börse zu gehen. Wie ready sind Sie?
Spuhler: Ich erzähle seit zehn Jahren immer dasselbe: Ein IPO ist für Stadler Rail eine Option. Wir wären recht gut vorbereitet bis auf die Publizitätsrichtlinien, die wir als nicht kotiertes Unternehmen bewusst tief gehalten haben.
Der Nachwuchs ist in der Firma, richtig?
Spuhler: Ja, der älteste Sohn ist in der Firma.
Herr Ermotti, haben Sie bedauert, dass Peter Spuhler nicht als Ständerat ins Parlament zurückkehrt?
Ermotti: Das wäre sicher gut für die Wirtschaft und unser Land, aber ob es auch gut für Peter wäre, muss er selber entscheiden. Tatsächlich hat sich im Parlament das Gewicht von den Unternehmern weg in Richtung Anwälte und vor allem Profipolitiker verschoben. Ich kritisiere dies nicht und sehe den grossen Aufwand, den die Politik abfordert. Deshalb habe ich Verständnis, dass sich ein Unternehmer, der heute rund um die Uhr gefordert ist, keine Zeit findet für ein Mandat in Bern. Aber ich bedaure es natürlich, dass jemand wie Peter mit seiner Erfahrung nicht im Ständerat sitzt.
Sie legen damit Ihre Politkarriere definitiv ad acta?
Spuhler: Ja. Der Entscheid fiel mir schwer. Man muss sehen, dass es nur 46 Ständeräte gibt, doch die Anzahl der Dossiers ist gleich gross wie im Nationalrat. Nur sitzen dort viermal mehr Parlamentarier. Das heisst, für jeden Ständerat gibt es viermal mehr Dossiers zu bewältigen und man sitzt in vier bis fünf Kommissionen. Das bedeutet, man ist jede Woche zwei, drei Tage auch zwischen den Sessionen in Bern beschäftigt. Da stellte sich mir die Grundsatzfrage: Bin ich mehr Unternehmer oder mehr Politiker?
Sie sehen sich offenkundig als Unternehmer.
Spuhler: Ja, absolut! Und dann sehe ich, was sich in unserer Branche alles für Herausforderungen stellen: Da haben wir die Fusion von Siemens und Alstom, dann die Chinesen, die versuchen, in Europa Fuss zu fassen. Dann habe ich namhafte Beteiligungen und unternehmerische Mitverantwortung beim Fahrzeugbauer Aebi Schmidt, beim Automobilzulieferer Autoneum, am Spinnereimaschinenhersteller Rieter. Für ein neues Politamt hätte ich massiv Mandate aufgeben müssen, doch das wollte ich nicht. Das waren die Gründe, weshalb ich meine Karriere als Politiker an den berühmten Nagel hänge. Aber ich habe die Zeit im Nationalrat genossen, auch die Fights in den Kommissionen.
Ermotti: Ich kann das nachvollziehen. Aber es müssten mehr Unternehmer in Bern ihre Erfahrungen einbringen. Allenfalls müsste man vielleicht ihre administrative Unterstützung ausbauen, damit sie wenigstens in dieser Hinsicht entlastet werden. Ihre Erfahrung ist enorm wichtig für das Land. Spuhler: Der Milizgedanke muss in der Schweiz unbedingt hochgehalten werden. Damit fliesst viel Erfahrung aus der Praxis in den politischen Prozess ein. Wir brauchen aber auch Unternehmer und Gewerbetreibende, die nach Bern gehen. Wir dürfen die Verantwortung nicht allein den Wirtschaftsverbänden und den Lobbyisten überlassen.
Ermotti: Das Engagement erfolgreicher und erprobter Unternehmer wäre enorm wichtig. Ich sehe schon beträchtlichen Handlungsbedarf. So zeigen die Studien des WEF zur Wettbewerbsfähigkeit, dass die Schweiz Plätze verliert. Oder nehmen wir den Ease of Doing Business Index der Weltbank. Da sind wir auf Rang 38 abgerutscht und mittlerweile hinter Ländern wie Georgien, Mazedonien oder Malaysia. Eine andere Zahl, die mir Sorge bereitet: Die Zahl der Neuansiedlungen von Firmen in der Schweiz hat sich seit 2008 fast halbiert. Es gibt also diverse Trends, die eine rote Warnlampe aktivieren müssten. Wir brauchen starke Antworten der Politik, Antworten, die vielleicht ausserhalb der offiziellen Parteimeinung stehen.
Sie möchten nicht in die Politik? Etwas mehr Banker-Know-how könnte in Bern nicht schaden.
Ermotti: Ich bin auch schon fast sechzig – wie Peter Spuhler (lacht).
Spuhler: Ich sehe es wie Sergio. Wir machen heute zu viel Parteipolitik und haben das Wohl des Landes und damit auch der Wirtschaft vielfach aus den Augen verloren. Wenn ich die letzten Initiativen – von links wie rechts – anschaue, dann sehe ich, dass wir das Land so nicht weiterbringen
Auch aus dem rechten Lager.
Spuhler: Absolut, jetzt kommt schon die nächste Volksabstimmung, die Begrenzungsinitiative. Da werde ich klar Nein sagen müssen.
Lanciert ist sie von der SVP, Ihrer Partei.
Spuhler: Die Wirtschaft braucht Rechtssicherheit. Die Initiative nimmt die Kündigung der Personenfreizügigkeit in Kauf. Das ist Gift für die Exportindustrie. Dies wäre damit vergleichbar, wenn unsere Bauern der Abschaffung von Direktzahlungen zustimmen würden. Stadler investiert 86 Millionen Franken in St. Margrethen in ein Werk für tausend Mitarbeitende. Wir haben im Verwaltungsrat lange darüber diskutiert, ob wir die Begrenzungsinitiative abwarten sollen. Trotz dieser Initiative haben wir uns für den risikoreicheren Weg entschieden und Ja gesagt.
Und dann droht die Konzernverantwortungsinitiative.
Spuhler: So kommt eine Initiative nach der anderen. Die Unsicherheit für Investitionen nimmt laufend zu. Wer investiert, muss darauf vertrauen können, dass die Rahmenbedingungen kalkulier- und voraussehbar bleiben.
Ermotti: Genau! Die Schweiz muss aufpassen, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzt. Einige dieser Initiativen schaden dem Image unseres Landes. Die Initiative ist ein wichtiges Rechtsmittel für das Volk. Man sollte es aber nicht missbrauchen.
Die Begrenzungsinitiative würde das Ende der Personenfreizügigkeit bedeuten. Sie aber sind auf Spezialisten angewiesen, gerade in der IT.
Ermotti: Absolut. Wir müssen weiter die Möglichkeit haben, die besten Leute weltweit ins Land zu bringen. Ich kann aber auch verstehen, dass ein Teil der Bevölkerung die Zuwanderung mit einiger Skepsis verfolgt.
Trotzdem spricht die Demografie eine klare Sprache. Es fehlen längerfristig jüngere Spezialisten.
Ermotti: Technologie hilft uns, durch Produktivitätsfortschritte einen Teil des demografischen Wandels abzufedern. Aber es muss gewährleistet sein, dass wir an jene Experten kommen, deren neue Jobprofile nicht oder nur beschränkt in der Schweiz vorhanden sind. Wir können nicht warten, bis der eigene Nachwuchs in 20, 25 Jahren eine qualifizierte IT-Ausbildung absolviert hat, die unseren sehr hohen Ansprüchen genügt. Es gibt einen internationalen Konkurrenzkampf um die besten Talente.
Spuhler: Man muss akzeptieren, dass nicht alle Bürger Globalisierungsgewinner sind und dass sie sich teilweise überfordert fühlen. Wir sind uns auch einig, dass jedes Jahr eine Nettozuwanderung allein aus der EU in der Höhe von 80 000 Personen nicht tragbar ist. Wir können nicht jedes Jahr Menschen in der Grössenordnung der Stadt St. Gallen in der Schweiz integrieren. Mein Ansatz war deshalb schon früher: Ab einer gewissen Zuwanderung und Arbeitslosigkeit müssen wir Stopps oder Kontingente einführen, und zwar einseitig. Das würde zwar einen Aufschrei geben und wäre nicht eine optimale Lösung, aber es würde nach meiner Einschätzung nicht allzu viel passieren. Zudem müssten wir unsere Gesetzgebung anpassen und Hürden einbauen – damit die Zuwanderung in unsere Sozialwerke nicht mehr so einfach wäre. Wir könnten vieles tun gegen die Sogwirkung der Schweiz.
Sie meinen: Wir müssen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und die Bilateralen opfern?
Spuhler: Wenn wir die Personenfreizügigkeit aufkündigen, fallen alle weiteren sechs Pakete im bilateralen Vertragswerk dahin. Alle, die glauben, wir könnten einen besseren Vertrag aushandeln als das jetzige Paket, sind blauäugig. Grossbritannien lässt grüssen! Ermotti: Sehen Sie, ich habe noch niemanden gesehen, der wichtige Verhandlungen via Medien führt, vor allem nicht, wenn ein Abschluss auf Messers Schneide ist. Da wird viel zu viel geredet. Mal ist es eine rote Linie, dann ein «point of no return», dann gibt es einen Zeitdruck. Schliesslich ist man in der Regierung zerstritten und kann die Differenzen anderntags im Detail in der Presse nachlesen. So kann man keine Verhandlungen führen.
Das müssen Sie Ignazio Cassis sagen.
Ermotti: Das ist nicht nur eine Aufgabe für Ignazio Cassis, sondern für den gesamten Bundesrat. Abgesehen davon hat er ohnehin den schwierigsten Job aller Bundesräte. Dass er als Amtsjüngster diesen Posten übernommen hat, zeigt ja nur, dass niemand diesen Job wollte (lacht).
Die UBS setzt stark auf China. Beim Joint Venture UBS Securities wollen Sie Ihren Anteil von 25 Prozent auf 51 Prozent erhöhen. Kommt das gut?
Ermotti: Ja, gerade letzte Woche wurde bekannt, dass wir unseren Anteil auf 51 Prozent erhöhen können. In China sind viele Vermögen enorm gewachsen. Aber auch in der Breite sind Vermögen kreiert worden. Wir sehen für uns in der Zukunft grosse Möglichkeiten, weil die Vermögen weiter steigen und die Kapitalmärkte noch nicht voll entwickelt sind. Dann wird sich die Diversifikation, also wie und wo Geld investiert wird, stark verändern. Dieses Jahr sind 5 Prozent chinesische Firmen in den MSCI-Sammelindex integriert worden. Dieser Anteil wird sich gegen 20 Prozent erhöhen. Doch das Geld wird nicht nur nach China fliessen, sondern irgendwann auch in die andere Richtung. Wir sind bestens positioniert, hier unserer Kundschaft Hand zu bieten, um weiterzuwachsen.
Das gilt nicht für die Bahnindustrie, für Sie lauert die Gefahr im Osten.
Spuhler: China ist für uns eine von mehreren Herausforderungen. Wir haben aber auch unsere Pfeile im Köcher und halten dagegen.
Die Preise können es nicht sein.
Spuhler: China ist ein riesiger Bahnmarkt. Für westeuropäische Schienenfahrzeughersteller ist er nicht zugänglich. Wir müssen gar nicht erst Angebote eingeben. Das europäische Bahnsystem hingegen ist historisch gewachsen. Es gibt länderspezifische Spezifikationen – zum Beispiel unterschiedliche Stromsysteme und Lichtraumprofile – und Zulassungsprozesse. In diesem heterogenen Umfeld werden sich die Chinesen schwertun. Es liegt in unserer Hand, den technologischen Vorsprung aufrechtzuerhalten.
Die Chinesen rollen den Markt auf, in den USA, in Europa, sogar die Deutsche Bahn hat Loks von ihnen gekauft.
Spuhler: So würde ich es nicht nennen. In Europa kenne ich zwei Länder, in denen sie Aufträge gewonnen haben: In Mazedonien vier oder fünf Züge, in Tschechien drei. Und in Deutschland haben sie zwei Lokomotiven praktisch verschenkt. Aber in den Schwellen- und Entwicklungsländern merkt man ihren Druck natürlich schon. Speziell, wenn sie Finanzierungen zu null Prozent anbieten können.
Sie waren daran, Iran U-Bahn-Züge zu verkaufen. Daraus wurde nichts, wegen Donald Trump.
Spuhler: In Iran waren wir unterschriftsbereit für 960 U-Bahn-Wagen. Alles war vorbereitet, auch die Finanzierung und die Absicherung durch die Schweizerische Exportrisikoversicherung (Serv).
Und dann kam Trump?
Spuhler: Und verhängte Sanktionen. Deshalb mussten wir das Projekt zum zweiten Mal aufgeben. Und wer kam stattdessen rein? Die Chinesen. Dabei könnten wir liefern, denn Schienenfahrzeuge sind nicht sanktioniert, hingegen sind die Finanzströme gekappt. Sobald eine Bank im Dollar-Clearing ist, wäre es für sie tödlich, wenn sie eine Finanztransaktion aus Iran abwickeln würde. Das heisst für Stadler: Liefern ja, aber ohne Bezahlung! Wir haben ebenfalls US-Aktivitäten und haben immer gesagt: Wenn Sanktionen oder Embargos verhängt werden, wird sich Stadler Rail zu 100 Prozent immer daran halten.
Trump führt gegen die Chinesen einen Handelskrieg – und am Schluss profitieren die Chinesen. Nicht absurd?
Spuhler: Doch, das versteht keiner. Die Amerikaner sperren die Europäer aus – und die Chinesen, mit denen ein Handelskrieg geführt wird, springen in die Lücke. Und was in meinen Augen gar nicht geht: Dass chinesische Firmen unsere Technologiefirmen kaufen und wir vom chinesischen Markt faktisch ausgeschlossen werden. Ich bin für internationalen Handel, aber wir sollten den Chinesen schon gelegentlich die rote Linie aufzeigen. Es kann nicht sein, dass die Chinesen halb Afrika zusammenkaufen und mit Dumpingpreisen und Protektionismus Marktanteile an sich reissen. Da bin ich auf der Linie von US-Präsident Trump.
Ermotti: In einem Handelskrieg gewinnt letztlich keiner. Ich hoffe, dass die USA und China zusammen eine Lösung finden, um die Handelsspannungen zu entschärfen. Am G20-Gipfel ist dies ja teilweise gelungen. Ich befürchte aber, dass es noch schlimmer werden könnte, bevor es besser wird.
Und wie wäre es mit einem Handelsabkommen mit den USA?
Ermotti: Wir sind dafür, weil unsere Kundinnen und Kunden davon profitieren. Umgekehrt wäre es ganz schlecht, wenn die EU ein Handelsabkommen abschliessen würde und wir nicht. Es ist so, wie ich am Anfang betonte: Es ist in unserem Interesse, dass die Firmen in der Schweiz florieren und sich weiterentwickeln. Da kann ein Freihandelsabkommen mit den USA nur helfen.
Spuhler: Der US-Markt entwickelt sich für Stadler immer besser, ein Freihandelsabkommen würden wir sehr begrüssen. Das wäre auch ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der EU. Es freut mich, dass sich der US-Botschafter in Bern, Edward McMullen, sehr dafür einsetzt. Er hat uns auch in offenen Fragen wie zu Zöllen auf Aluminium, den Iran-Sanktionen und weiteren Exportfragen sehr unterstützt. Ich hoffe, dass dieses Freihandelsabkommen nicht am Widerstand unserer Bauern scheitern wird. Ich erwarte eine gewisse Konzessionsbereitschaft, die eventuell durch weitere Abgeltungen kompensiert werden müssten. Ich bin der Letzte, der unsere Bauern ans Messer liefern will. Aber es kann auch nicht sein, dass die Exportwirtschaft zurückgepfiffen wird.
Wenn Sie Peter Spuhler zuhören: Keine Lust, die Freiheiten eines Unternehmers zu geniessen?
Ermotti: Jeder hat seine Berufung. Mir macht es grossen Spass im Banking und mit erfolgreichen Unternehmern zu diskutieren und sie zu beraten und ihnen beizustehen. Und ich finde es belebend zu sehen, wie auch andere Leute bei null angefangen haben und ein Geschäft positiv entwickeln.