Kirsty Bertarellis Geschenk lief am 2. März in Plymouth vom Stapel. 96 Meter lang, sechs Decks hoch, Pool mit regulierbarer Tiefe, Kinosaal, Fitnesscenter. 144 Millionen Franken war ihrem Mann, Ernesto Bertarelli, das Riesenschiff wert. «Vava II» heisst die grösste je in England gebaute Yacht. Anfang März nahm sie Kurs auf die karibischen Antillen, bei Redaktionsschluss lag sie im spanischen Tarragona an der Mittelmeerküste vor Anker. Das 47 Meter lange Vorgängerschiff hat ausgedient.
Am 24. April tauchte der Name Bertarelli erneut in den Zeitungsspalten auf. Nicht im Sport- oder im Klatschteil, diesmal im Wirtschaftsbund. Die Zeilen drehten sich nicht um den adretten America’s-Cup-Sieger. Dieses Mal ging es um den Unternehmer Ernesto Bertarelli. Jener Bertarelli, dessen Name auch sechs Jahre nach dem Verkauf des Genfer Biotechkonzerns Serono an Merck an das Unternehmen geknüpft ist (siehe Nebenartikel «Erkaltete Liebe»). Nun verabschiedet sich Merck Serono aus Genf. 1250 Stellen werden gestrichen oder verlegt.
Traurig und überrascht. Eine Ära geht zu Ende. Und was sagt der, welcher diese Ära massgeblich geprägt hat? Traurig über das Schicksal der Mitarbeiter in Genf sei er und überrascht über den «einzig von ökonomischen Gesichtspunkten» motivierten Entscheid («Le Temps»). Und wie steht es mit der Verantwortung des ehemaligen Besitzers? Die habe er bei Serono nicht mehr, meinte er schmallippig. Selbst die Klatschblätter, die Bertarelli und seine singende Frau Kirsty gerne umgarnen, fanden dessen Deklaration «un peu légère». Serono und Bertarelli: Das ist noch immer eine schlagzeilenträchtige Kombination – im Gegensatz zu seinen Businessaktivitäten. Was Bertarelli mit den Milliarden aus dem Serono-Verkauf anstellt, weiss niemand so recht. Er finanzierte mit Alinghi ein Team, das die prestigeträchtigste Segeltrophäe nach Europa holte. Dafür heimste er grosse Bewunderung ein, was ihn öfters auf den roten Teppich katapulierte. Doch was macht der Glamourboy geschäftlich? Die Familie Bertarelli wird mit einem Vermögen von zehn bis elf Milliarden Franken auf Rang vier der reichsten Schweizer geführt. Schon Serono war eine Blackbox, Bertarellis Family Business ist eine noch grössere.
Einstieg ins Immobiliengeschäft. London, 1–3 Berkeley Street, im Dezember 2011: Im exklusiven Stadtteil Mayfair, einen Steinwurf vom Londoner West End entfernt, wechseln 17 000 Quadratmeter Büroräume, ein 195-Zimmer-Hotel und fünf Ladenlokale den Besitzer. Gekauft hat Crosstree, eine Private-Equity-Gesellschaft für Immobilien. Kostenpunkt: 155 Millionen Pfund, finanziert mit Bertarellis Kapital. Letzten August ist er erstmals ins internationale Immobilienbusiness eingestiegen. (In der Schweiz besitzt Schwester Dona bereits das Grand Hotel Park in Gstaad, den Familienwohnsitz.) 500 Millionen Pfund steckte Bertarelli in Crosstree, ein Start-up mit bekannten Firmengründern. Nick Lyle, ehemaliger UK-Blackstone-Chef, und Sean Arnold, Ex-Europachef der Starwood Capital Group, leiten das auf der Insel agierende Unternehmen. Was an der Berkeley Street dereinst entstehen soll, ist noch nicht definiert.
Vertraut hat er auch der Merck-Spitze, die laut Bertarelli versprochen habe, den Genfer Sitz aufrechtzuerhalten. Doch die Deutschen urteilten ökonomisch. Zehn Tage nach Mercks Ankündigung, den Genfer Standort dichtzumachen, liess sich Bertarelli etwas mehr entlocken: «Niemand versteht das. Die deutschen Manager haben den Entscheid noch immer nicht erklärt», sagte er gegenüber «Le Matin». Etwas pointiertere Aussagen hätte man vom ehemaligen Eigentümer und CEO erwarten dürfen. Bertarellis grundsätzlich positivem Image sei das nicht abträglich, glaubt der 34-jährige Genfer Stadtpräsident Pierre Maudet. «Er hätte an der aktuellen Situation auch nichts mehr ändern können», sagt der Freisinnige. Trotzdem klingen Bertarellis Aussagen im Zusammenhang mit dem Serono-Verkauf im Nachgang merkwürdig: «Als ich die Verträge unterzeichnete, überkam mich ein tiefes Gefühl der Traurigkeit, wie ich es seit dem Tod meines Vaters nicht mehr erlebt hatte», sagte er 2008 gegenüber der BILANZ.
So sieht, wer heute Bertarelli sagt, erst den Segler, dann den smarten Typ auf dem roten Teppich, assistiert von Gattin und Ex-Miss-UK Kirsty. Der Unternehmer Bertarelli geht darob vergessen. Doch der 47-Jährige ist heute Chef eines verästelten KMU mit mehr als 100 Angestellten. Ende Januar hat er sein Imperium reorganisiert. Er habe die Strukturen vereinfachen wollen, heisst es.
Unter dem Dach der neu geschaffenen Waypoint Holdings firmieren deren wichtigste Teile: Bemido (vor allem Backoffice-Tätigkeiten), Ares Life Sciences (Beteiligungen im Life-Science-Bereich) und Kedge Capital, domiziliert auf der Kanalinsel Jersey und Verwalterin des Familienvermögens. Parallel dazu laufen die Segelaktivitäten über das Team Alinghi sowie die Familienstiftung. Daneben fungiert Bertarelli etwa als Verwaltungsratspräsident von Kirstys Musikverlag KB Recordings.
Bertarelli hat mit seinen Beteiligungsvehikeln ambitionierte Ziele – und holt dazu renommierte Leute. An die Spitze des Ende 2010 gegründeten Vermögensverwalters Northill Capital –quasi einer Tochter des Family Office Kedge Capital – beorderte er den Amerikaner Jon Little. Der Topbanker leitete zuvor das Asset Management der BNY Mellon mit 3500 Mitarbeitern und verwalteten Vermögen von 1,2 Billionen Dollar. Mit Little «soll substanzielles, neues Kapital gewonnen werden», sagte Bertarelli beim Engagement des Topshots. Nun sitzt Little mit rund zehn Mitarbeitern in seinem Büro direkt am Hyde Park in London und hat tausendmal weniger Kapital zur Verfügung als bei seinem früheren Arbeitgeber. Wie Geldgeber Bertarelli legt er die Messlatte hoch. 12 Prozent Rendite strebt er jährlich an, durchschnittlich 10,35 Prozent sind es seit der Lancierung im November 2010, schreibt «Financial News». Mithelfen soll auch die bisher grösste, nämlich seine fünfte Akquisition. Mitte April kauften Little und sein Team eine Mehrheitsbeteiligung bei Securis Investment Partners, einem britischen Manager von verbrieften Versicherungsrisiken.
Zentrum von Bertarellis Finanzaktivitäten ist Kedge Capital. Dort setzt er neu auf ein unbekanntes Gesicht. Im Juli 2011 holte er vom deutschen Familien- und Mischkonzern Haniel dessen Finanzchef, den 45-jährigen Schweizer Stefan Meister, ins Team und machte ihn zum operativen Chef. Meister studierte in Basel und startete seine Karriere bei Novartis. «Seine Erfahrung mit Familienstrukturen, seine analytischen Fähigkeiten und seine Urteilskraft sind sehr wichtig», kommentierte Bertarelli. Meisters Berufung ist eine zukunftsgerichtete Wahl. CEO Denis Mirlesse, ehemaliger Chef des Vermögensverwalters GAM, gab Ende November 2011 das Amt ab, nach zehn Jahren an der Spitze von Kedge Capital. Er hat aber weiterhin einen Sitz in der neu gegründeten Waypoint Holdings. CIO François-Serge Lhabitant rückte nach und amtet nun auch als CEO von Kedge Capital.
Sponsor der Wissenschaft. Tritt Bertarelli auf der einen Seite als Investor auf, agiert er auf der anderen als Philanthrop. Er stellte an der ETH Lausanne (EPFL) just an dem Tag die Ergebnisse des von ihm unterstützten Forschungsprogrammes vor, als in Genf die Kunde vom Abschied Seronos die Runde machte. Über die Familienstiftung finanzieren Bertarellis im Zentrum für Neuroprothesen zwei Lehrstühle für je fünf Millionen Franken. Ausserdem sitzt Bertarelli im Advisory Board der EPFL. «Er ist ein Technologie- und Bildungsfreak», sagt EPFL-Präsident Patrick Aebischer, er nehme an jeder der jährlich drei Sitzungen teil und sei immer erreichbar. «Ich kann ihn jederzeit anrufen.»
Bertarelli, nach der erfolgreichen Ausrichtung des America’s Cup in Valencia vom ehemaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac zum Ritter der Légion d’Honneur und von Carlo Ciampi, Ex-Staatspräsident Italiens, zum Cavaliere di Gran Croce geschlagen, wird geachtet und bewundert – ob erfolgreich oder nicht. Sportler, Unternehmer, Society-Mann: Bertarelli hat viele Gesichter, aber erstaunlich wenige Neider. So kann er die Tanks seiner Yacht für sagenhafte 360 000 Franken füllen, Richtung Karibik davonschippern, und keiner nimmt es ihm übel. Das ist bloss wenigen vergönnt.