Kritiker von Serono behaupten, Ihre Pipeline sei zu wenig voll und zu wenig diversifiziert. Wie stellen Sie sich dazu?

Ernesto Bertarelli: Wer das heute noch behauptet, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. In den letzten zwei Jahren hat Serono stark in die Diversifizierung der Produktpipeline investiert. Heute sind wir in unterschiedlichen Bereichen tätig. Wir haben eine volle Pipeline mit vielversprechenden Produkten.

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Was genau steckt in der Produktepipeline?

Bertarelli: Derzeit haben wir etwa 30 Projekte in der Produktentwicklung, darunter mehrere im fortgeschrittenen Stadium. Wir erwarten Resultate aus vier Phase-III-Studien und aus drei Phase-II-Studien, unter anderem für HuMax-CD4, adecatumumab und TACI-Ig.

Planen Sie Akquisitionen?

Bertarelli: Ja, wir werden sowohl über Akquisitionen als auch über unsere eigene Forschung wachsen. Wir wollen unsere Produktepalette mittels Partnerschaften ergänzen. Wir werden keine Firmen kaufen, sondern Produktlizenzen übernehmen oder einzelne Produkte im Entwicklungsstadium, insbesondere im Bereich Autoimmunkrankheiten oder Onkologie, kaufen. Wir verfügen über genügend liquide Mittel, um unsere Produktepipeline über Akquisitionen weiter zu stärken.

Ist es denkbar, dass Serono mit einem grossen Partner wie Roche, Novartis oder Pfizer zusamengeht?

Bertarelli: Seit einigen Jahren schon ist es Teil unserer Strategie, mit verschiedenen, meist kleineren Biotech-Unternehmen zu kooperieren, um Produkte in der klinischen Entwicklung einzulizenzieren. Diese Strategie der Produktlizenzierung werden wir auch in Zukunft verfolgen.

Rebif ist das wichtigste Produkt von Serono: Wie wirkt sich der Marktrückzug von Tysabri, dem bedeutendsten Konkurrenzprodukt von Rebif, aus?

Bertarelli: Seit Tysabri zu Beginn diesen Jahres vom Markt genommen wurde, haben wir einen signifikanten Zuwachs des Wachstumstempos bei Rebif in den USA verzeichnet.

Wie weit sind Sie in Hinblick auf das Ziel, globaler Marktführer für MS-Medikamente zu werden?

Bertarelli: In den USA nehmen die Umsätze bei Rebif um rund 33% zu. Angesichts des starken Wachstums in den USA sind wir auf dem besten Wege, weltweiter Marktführer bei den MS-Medikamenten zu werden. Rebif hat noch sehr viel Wachstumspotenzial.

Welches wird der nächste Blockbuster von Serono?

Bertarelli: Der Fusionsprotein-Hemmer TACI-Ig hat meines Erachtens das Potenzial, ein Blockbuster zu werden; ein weiteres Präparat mit hohem Potenzial ist das orale Cladribine. Wir sind daran, unsere Produktepalette weiter zu diversifzieren. Mir sind Blockbuster, aber auch mehrere Produkte, die einmal 250 Mio Dollar Umsatz machen, recht. Da sind wir auf einem guten Weg, dies zu erreichen.

Wie werden Sie dies erreichen?

Bertarelli: Einerseits möchten wir mit den bestehenden Produkten wachsen. Wir wollen auf dem Gebiet der Behandlung von Unfruchtbarkeit sowie in den Bereichen Neurologie, Metabolismus und Dermatologie expandieren. Da streben wir eine Führungsposition an.

Zusätzlich zur Ausweitung bestehender Geschäftsbereiche versuchen Sie, neue Therapiegebiete zu erschliessen: Wo sehen Sie das grösste Potenzial?

Bertarelli: Grosse Erwartungen haben wir für unser orales Cladribine, das erste oral zu verabreichende Medikament zur Behandlung der Multiplen Sklerose. Grosses Potenzial sehe ich auch bei TACI-Ig, einem Fusionsprotein-Hemmer, der die Aktivierung von B-Zellen hemmt und einen neuartigern Therapieansatz für die Behandlung von Autoimmunkrankheiten darstellt. Neue Wachstumschancen sehen wir für Serono in der Onkologie, wo wir eine grosse Anzahl an Präparaten in der Entwicklung haben.

Doch gerade in der Onkologie erlitten Sie einen Rückschlag: Serono und CancerVax kündigten an, dass sie die Phase III-Entwicklung für Canvaxin nicht fortführen.

Bertarelli: Wir sind enttäuscht, doch negative Folgen daraus gibt es nicht. Wir haben viele andere Produkte in der Pipeline.

Serono hatte im 3. Quartal Einnahmen von 638,3 Mio Dollar und einen Reingewinn von 142,4 Mio Dollar ausgewiesen. Wie laufen die Geschäfte?

Bertarelli: Unsere Geschäfte laufen sehr gut. Wir sind sehr zufrieden. Wir kommen operativ gut voran.

Können Sie Ihre Gewinnziele für 2005 bestätigen?

Bertarelli: Ja, ganz klar. Der bereinigte Reingewinn 2005 wird sich exklusiv der Zahlungen für Transaktionen zur Geschäftsentwicklung und anderer einmaliger Zahlungen zwischen 520 und 540 Mio Dollar bewegen, wobei wir mit einem Wert am oberen Ende rechnen.

Das heisst, wir sprechen von einem Reingewinn von 535 bis 540 Mio Dollar?

Bertarelli: Wenn wir die Zahlungen für Transaktionen zur Geschäftsentwicklung sowie andere einmalige Zahlungen ausklammern, dürfte sich der bereinigte Reingewinn in dieser Grössenordnung bewegen. Wenn wir diese Zahlungen allerdings berücksichtigen, erwarten wir einen Nettoverlust in der Grössenordnung von 117 bis 137 Mio Dollar; eher am unteren Ende dieser Grössenordnung, das heisst um die 117 Mio Dollar.

Besteht das Risiko negativer Überraschungen?

Bertarelli: Nein, wir sind gut auf Kurs. Es gibt keinen Anlass, das Gewinnziel erneut zu ändern. Negative Überraschungen sehen wir derzeit keine.

Die Bruttomarge von Serono erhöhte sich im 3. Quartal auf 88,6%: Werden Sie die Bruttomarge weiter steigern?

Bertarelli: Seronos Bruttomarge ist bereits heutzutage «best-in-class», aber es kann weitere Verbesserungen geben. Neben den fortdauernden Verbesserungen in der Herstellungsproduktivität werden wir auch die operativen Kosten weiter reduzieren.

Als Folge der Klage zur Geschäftspraxis beim Vertrieb von Serostim hat Serono einer Vergleichszahlung von 704 Mio Dollar zugestimmt: Ist der Fall damit definitiv erle-digt?

Bertarelli: Ja, Serono hat Rückstellungen in Höhe von 725 Mio Dollar gebildet. Damit können die Kosten aus dem Vergleich voll gedeckt werden. Weitere Kosten sind nicht zu erwarten. Die dem Vergleich zugrunde liegenden Aktivitäten bezogen sich auf eine Geschäftseinheit in der US-Filiale. Serono nimmt Compliance-Probleme sehr ernst und verfügt über einen weltweiten Verhaltenskodex, um sicherzustellen, dass unsere Mitarbeiter höchste ethische Standards erfüllen.

Serono hat im 3. Quartal die Umsatzerwartungen verfehlt. Ist Serono daran, dies aufzuholen?

Bertarelli: Bei Gonal-f verzeichneten wir einen Rückgang aufgrund des Preisdrucks durch einen Wettbewerber in den USA. Unsere Zusammenarbeit mit Priority Healthcare wird uns aber ermöglichen, diesen Trend umzukehren. Rebif hingegen zeigte auf der ganzen Linie ein exzellentes Wachstum. Auf Basis der Wirksamkeitsdaten von Rebif gehe ich davon aus, dass wir dieses ausgezeichnete Wachstum auch künftig halten.

Was können die Aktionäre von Serono erwarten?

Bertarelli: Die Aktionäre können von uns ein Wachstum erwarten, das deutlich über dem Marktdurchschnitt liegt. Angesichts unserer Wachstumsperspektiven ist die Marktkapitalisierung von Serono noch zu tief.

Sind Sie der Meinung, dass Ihre Aktie unterbewertet ist?

Bertarelli: Ja, die Serono-Aktie ist unterbewertet. Das grosse Potenzial, welches unsere neuen Produkte beinhalten, wird von den Finanzmärkten zu wenig berücksichtigt. Serono hat sich stark weiterentwickelt und ist nicht mehr von wenigen Produkten abhängig. Unsere Stärken werden noch nicht vollumfänglich wahrgenommen.

Wo sehen Sie eine faire Bewertung für die Serono-Titel?

Bertarelli: Ein fairer Wert sollte über 1000 Fr. liegen.

Bleibt die Dividende unverändert?

Bertarelli: Serono hatte in der Vergangenheit eine konstante Dividendenpolitik, und man kann davon ausgehen, dass es hier keineVeränderungen geben wird.

Wird Serono 2005 ein neues Aktienrückkaufprogramm lancieren?

Bertarelli: Nein, das ist derzeit kein Thema. Unsere erste Priorität ist es, in unser Wachstum zu investieren.

Ist es möglich, dass 2006 das Thema nochmals aufgegriffen wird?

Bertarelli: Für 2006 schliessen wir ein neues Aktienrückkaufprogramm nicht aus.

Wie wichtig ist für Sie die Schweiz?

Bertarelli: Ich sehe Serono als eine Schweizer Firma genauso wie Alinghi ein Schweizer Team ist.

Was verbindet Serono und die Alinghi-Erfolgsstory sonst noch?

Bertarelli: Es sind beides Unternehmen, die Risiken beinhalten. Der internationale Konkurrenzkampf und wie man sich dabei erfolgreich behauptet, sind ebenfalls Parallelen. Serono und Alinghi verbindet aber auch der Wille zu gewinnen.

Voraussetzung für den Sieg ist ein starker Teamgeist: Wie nutzen Sie diese Erfahrung bei Serono?

Bertarelli: Auch bei Serono haben wir ein starkes Managementteam und fördern den Teamgeist. Dennoch ist klar: Es ist ein grosser Unterschied, eine börsenkotierte Firma oder ein Segelteam zu führen. Bei Serono geht es Jahre, bis man den Erfolg aus der Forschung sieht. Segelsport ist für mich eine Freizeitbeschäftigung.

Immerhin kann der Erfolg von Alinghi auch Serono nützen.

Bertarelli: Ja, aber vom guten Alin-ghi-Brand profitieren in erster Linie die Sponsoren. Alinghi und Serono sind verschiedene Dinge.

Die Vorbereitungsarbeiten für den America's Cup 2007 in Barcelona laufen bereits auf Hochtouren: Welchen Beitrag leisten Sie?

Bertarelli: Ich hatte für Alinghi in den letzten Monaten nicht viel Zeit. Meine Aufgabe bei Serono hat Priorität. Ich habe bei Alinghi ein kompetentes Managementteam, das die Vorbereitungsarbeiten gut im Griff hat. Wir wollen wieder siegen. Wir werden alles unternehmen, damit wir den America's Cup 2007 gewinnen werden.

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Übernahmephantasien «No comment»

Die Serono S.A. hatte am 8. November 2005 nach Medienberichten bestätigt, dass sie Goldman Sachs beauftragt habe, verschiedene strategische Alternativen für das Unternehmen zu untersuchen. Dieses Interview mit Ernesto Bertarelli wurde noch vor dieser Bekanntmachung geführt, aber erst am 21. November 2005 definitiv von Serono freigegeben. Auf Fragen, ob das Unternehmen verkauft wird oder worin die Alternativen bestehen, wollten weder Ernesto Bertarelli noch das Unternehmen Stellung nehmen. Allerdings betont Serono, dass trotz des Mandates an Goldman Sachs nicht versichert werden könne, dass eine Transaktion vollzogen wird. Nach der Veröffentlichung des Auftrags an die US-Investment-Bank stieg der Aktienkurs von Serono gleichentags 12%. Bertarelli kontrolliert zusammen mit der Familie 75,8% der Stimmen und 62% des Kapitals.

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Unternehmer und Segler: Steckbrief

Name: Ernesto Bertarelli

Funktion: CEO und Vizepräsident des Verwaltungsrates von Serono

Geboren: 22.9.1965 in Rom

Wohnort: Am Genfersee

Familie: Verheiratet

Ausbildung: Bachelor of Science, Babson College, Boston, und MBA Harvard Business School

Karriere

1985-1990 Bei Serono S.A. in verschiedenen Positionen tätig

1991-1995 stv. CEO und stv. Vize-Präsident des Verwaltungsrates, Serono S.A.

Seit 1996 CEO, Serono S.A.

Mandate: VR-Präsident bei Bertarelli & Cie., Kedge Capital Partners Ltd., Alinghi Holdings Ltd. und Team Alinghi SA.

Verwaltungsrat bei: UBS, PhRMA, BIO, European Federation of Pharmaceutical Industries & Associations und Bertarelli Foundation