Wir schauen bei Online-Werbung oft gar nicht mehr hin, sondern klicken weg. Wie kann gutes Marketing in Zukunft noch bestehen?
Stephan Sigrist*: Diese Tendenz wird sich zunächst mit der Einführung von automatisierten Marketing- und Kommunikationslösungen verschärfen. Die Verlockung, mit einem Knopfdruck immer mehr Menschen zu erreichen, ist zu gross. Es gibt aber keinen Königsweg, wie ein nachhaltiger Dialog mit Kunden funktioniert. Ein Element liegt in der Reduktion der Dichte und dem Mut, sich in der Aufmerksamkeitsökonomie mit weniger zu positionieren. Dabei können automatisierte Systeme durchaus einen Nutzen stiften, indem man sie so einsetzt, dass sie Kunden zielgerichtet verwenden und auf eigenständige Narrative setzten.
Facebook, Instagram und Co. zwängen die Marketingverantwortlichen in ein vorgegebenes Korsett. Wie kann man darin noch kreative Botschaften vermitteln?
Grundsätzlich kann Restriktion Kreativität ja befeuern. Tatsächlich führen die Vorgaben der Plattformen aber zu einer Vereinheitlichung. Auch hier gilt: Mehr ist nicht zwingend mehr. Und es braucht mehr Mut für andere visuelle Elemente, einen anderen Einsatz von bewegten Bildern. Generell stellt sich aber die Frage, ob es für jede Organisation überhaupt zwingend ist, in allen sozialen Medien präsent zu sein und konstant zu feuern. Es gibt aus unserer Sicht viele Kunden, die nicht zwingend via soziale Medien erreichbar sind. Den Aufwand, den man in das Bespielen von immer mehr Kanälen legt, könnte man in eigenständige Kommunikationskanäle übertragen. Das ist aber abhängig vom konkreten Fall. Es gilt darum, sich dem Zwang der Omnipräsenz zu entziehen und die Ressourcen dort einzusetzen, wo man Menschen auch tatsächlich erreicht. Die Skalierung hat diesbezüglich Grenzen.
Stichwort Bots gegen Bots: Findet in Zukunft ein Kampf der Bots statt – die einen streuen, die anderen nehmen weg? Wie kann das digitale Marketing den Aspekt «Mensch» in Zukunft miteinbeziehen?
Das ist eines der Szenarien, die sich ergeben, wenn mehr Social Bots eingesetzt werden. Kunden werden sich mithilfe von ebenfalls intelligenter Technologie schützen. Der Wettbewerb findet dann durch ein «Wettrüsten» der smarteren Bots statt. Bis heute definiert die technische Infrastruktur, wie Systeme gesteuert werden. Hier braucht es ein Umdenken, das von den menschlichen Eigenheiten ausgeht – die Systeme müssen um uns Menschen gebaut werden, nicht umgekehrt, indem wir uns an die digitalen Prozesse anpassen müssen.
Zunehmend müssen Marken ihre Botschaften und Werte an die User abgeben. Influencer und Kunden gestalten die Marke und nicht mehr die Marketeers des Unternehmens. Wie kann ein Unternehmen da trotzdem Einfluss nehmen?
Natürlich spielen Influencer heute eine zentrale Rolle. Dies aber auch, weil es viele Unternehmen verschlafen haben, eine inhaltliche Kompetenz über ihre eigene Produktewelt aufzubauen und mit generischen oder tendenziösen Marketingbotschaften ihre Glaubwürdigkeit unterlaufen haben. Es spricht nichts dagegen, Entscheidungsgrundlagen über ein Netzwerk von Botschaftern zu platzieren. Wenn diese aber keine neutralen Einschätzungen mehr vornehmen, werden sie ihre Glaubwürdigkeit einbüssen. Unternehmen müssen die Fähigkeit zurückerlangen, kompetent und objektiv über ihre Produkte und Leistungen zu berichten. Dies bedeutet, den Aufbau von inhaltlichen Kompetenzen, aber auch von Werten zu stärken.
«Unternehmen müssen die Fähigkeit zurückerlangen, kompetent und objektiv über ihre Produkte und Leistungen zu berichten.»
Gibt es in absehbarer Zukunft auch einen Richtungswechsel durch zunehmenden Datenschutz und zunehmende Überflutung? Die automatisierten Prozesse von heute sind ja ziemlich schlecht und weit weg von nutzbarer individualisierter Werbung. Wie können Marken da gutes Storytelling betreiben?
Indem das nicht wie bisher einfach breit und ungefragt gesendet wird, sondern indem ein Dialog mit Kunden aufgebaut wird. In diesem Fall lassen sich Kunden auch darauf ein. Insofern ist die Regulierung vielleicht auch eine Chance, die Unternehmen zwingt, sich ernsthafter mit den künftigen Erwartungen ihrer Kunden zu beschäftigten.
Plattformen sind Macht
Die starren Strukturen und Mechanismen von Plattformen wie Facebook bilden die Eckpunkte fürs künftige Marketing. Das eröffnet zwar Zugang zu einer weltweiten Zielgruppe, beschneidet jedoch den direkten Kundenkontakt und damit die Personalisierung der Botschaften.
Die vierte Dimension
Smartphones und zweidimensionale Screens treten in den Hintergrund. Der Fokus des technischen Fortschritts liegt in Spracherkennung oder IoT. Das schafft die Möglichkeit von virtuellen Umgebungen, ergänzend zur realen Welt.
Die Marke bin ich selbst
Durch den starken Wunsch nach Selbstinszenierung richten sich Marken immer stärker auf die Einzelperson aus. Inhalte und Produkte werden gemeinsam massgeschneidert, was die Hierarchie von Marke und Zielpublikum neu definiert.
Bots gegen Bots
Social Bots imitieren menschliche Interaktionen und können damit die Frequenz von Botschaften immer weiter erhöhen. Als Folge dieser Reizflut werden die Botschaften allerdings künftig ebenfalls von Bots auf Kundenseite abgefangen.
Das Zeitalter der Werte
Mit der weiteren Verbreitung von Social Media wird das klassische Marketing als Quelle für Produktinformation abgelöst. Anstelle von subtiler oder aktiver Beeinflussung stehen in Zukunft Entscheidungsgrundlagen und Glaubwürdigkeit im Zentrum von Marketingbotschaften.
Gegen das Rauschen
Die Überforderung durch automatisierte Prozesse, aber auch die Kritik an der Abhängigkeit von digitalen Geräten führt zu Marketinggrundlagen, die nicht auf Geschwindigkeit setzen, sondern auf eine Reduktion der Inhalte. Algorithmen, die lediglich Reichweite erzielen sollen, verlieren an Relevanz.
Das Gehirn macht den Unterschied
Marketing wird automatisiert. Aber der Mensch macht immer noch den Unterschied aus. Er passt die Ausrichtung von Algorithmen händisch an. Nur so kann die Qualität von Outputs gesteigert werden.
QUELLE: W. I. R. E, ZÜRICH
Welche neuen Methoden können im Marketing der Zukunft eingesetzt werden?
Die Schweiz hat, was die Digitalisierung anbelangt, zwar Fahrt aufgenommen. Es bestehen aber vielerorts noch immer Fast-Follower-Strategien. So gesehen ist es naheliegend, dass bislang kaum wirklich neue Ansätze aus der Schweiz gekommen sind. Wesentlich ist für das Marketing, die zentralen Tendenzen zu verstehen und darüber nachzudenken, wenn nun mit dem Internet der Dinge Alltagsgegenstände für den Kundendialog eingesetzt werden können – oder virtuelle Realitäten. Dafür braucht es Unternehmen, die Pilotprojekte lancieren und sich auf die Suche nach neuen Ideen machen, die den Kunden helfen und die Organisationen differenzieren. Zentral dabei ist, dass die vielen Einzellösungen, die immer wieder im Zentrum stehen, kaum Mehrwerte bringen. Ich kann zwar mit einer Aktion Rückmeldungen von Kunden einfacher einbinden. Wenn diese Daten nachher aber nicht genutzt werden, um Prozesse zu verändern, bleibt es eine Spielerei. Der Aufbau der Ökosysteme steht im Zentrum und damit verbunden die Gestaltung der Kundenschnittstellen.
«Die Herausforderung liegt in der Bespielung der unzähligen Kanäle.»
Welche neuen Orte für Marketing werden entstehen? Stichwort Smart Homes, Internet der Dinge?
Im Prinzip eröffnet sich mit dem Internet der Dinge eine dritte und mit der Virtualisierung eine vierte Dimension, in der eigentlich die gesamte Umwelt zu einer Schnittstelle für die Kunden wird. Die Herausforderung liegt in der Bespielung der unzähligen Kanäle. Dafür müssen Unternehmen die Schnittstellen genau identifizieren. Das kann Sprachsteuerung sein oder einfach ein Kundenberater, der schnell erreichbar ist und die spezifischen Anforderungen eines Menschen losgelöst von Datenbanken kennt.