Grüne Logistik ist das Modewort der Branche. Waren rund um den Globus zu transportieren und dabei gleichzeitig die Umwelt zu schonen - ist das nicht ein gewaltiger Widerspruch?
Wolfgang Stölzle:

Natürlich gibt es viele Spannungsfelder. Logistik hat häufig damit zu tun, Ressourcen in Anspruch zu nehmen und dabei auch die Umwelt zu belasten. Ohne Logistik wäre aber unser Wohlstand nicht denkbar. Für eine funktionierende Wirtschaft, brauchen wir eine leistungsfähige Logistik. Bei grüner Logistik geht es darum, diese beiden Seiten auszubalancieren. Das funktioniert dann, wenn nötige Dienstleistungen möglichst umweltschonend angeboten werden - und wenn wir auch diejenigen Dienstleistungen hinterfragen, auf die wir verzichten können.
 
Wie weit sind die Unternehmen in dieser Hinsicht?
Als insgesamt gesehen recht grosser Verursacher von CO2-Emissionen muss sich die Logistikbranche natürlich mit dem Thema Klimaschutz auseinandersetzen. Mehr oder weniger alle grossen und mittelständischen Logistikdienstleister haben sich das Thema grüne Logistik mittlerweile auf die Fahnen geschrieben. Eine andere Frage ist, was die Unternehmen darunter verstehen - und wie der jeweilige Umsetzungsstand ist.
 
Nicht alles, was ein grünes Etikett hat, ist auch wirklich umweltschonend.
Die Situation ist sicher differenziert zu beurteilen. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Logistikdienstleistern, die „grüne“ Massnahmen ergriffen haben, die sich wirtschaftlich noch gar nicht rechnen. Auf der anderen Seite gibt es auch solche Anbieter, die mehr oder weniger gar nichts machen - sich aber trotzdem als grüne Anbieter vermarkten. Der Grossteil der Unternehmen bewegt sich naturgemäss irgendwo dazwischen.
 
Weil grün nicht immer auch nachhaltig ist?
Nachhaltigkeit bezieht sich ja nicht nur auf die natürliche Umwelt, sondern hat auch ökonomische und soziale Aspekte. Wenn der Umweltschutz so teuer ist, dass er die Existenz eines Unternehmens gefährdet, kann man nicht von Nachhaltigkeit sprechen. Ich meine deshalb, dass der Nachhaltigkeitsbegriff als Anspruch für die Logistik sehr viel sinnvoller ist - weil er eben deutlich mehr Dimensionen abdeckt, auch die reine „Green"-Perspektive.
 
Gerade an Problemen bei der Wirtschaftlichkeit scheitern viele Projekte.
Es gibt zwei wesentliche Voraussetzungen, damit das sich das Thema Nachhaltigkeit in der Logistik durchsetzt: Erstens muss das Management der betroffenen Unternehmen, idealerweise auch die Eigentümer, dahinter stehen und von der Notwendigkeit überzeugt sein. Zweitens wären auch die Kunden gefordert, nachhaltige Logistikkonzepte zu verlangen und dafür auch eine gewisse Zahlungsbereitschaft zu zeigen.
 
Ohne Druck von aussen bewegt sich die Branche also nicht?
Druck klingt recht negativ, so würde ich es nicht formulieren. Ich würde sagen: Es geht um eine spürbare Wertschätzung, die die Kunden dem Kriterium Nachhaltigkeit entgegenbringen. Der Markt kann ja nicht funktionieren, wenn wir lauter überzeugte grüne Unternehmen haben, aber die Kunden keine ausreichende Zahlungsbereitschaft für grüne Logistik zeigen.
 
Woran krankt das System?
Es ist immer noch so, dass die Entscheidung bei der Dienstleisterwahl fast ausschliesslich über die Kriterien Preis, Service und Qualität bestimmt wird. Die ökologischen und sozialen Kriterien kommen zwar immer öfter in Ausschreibungen vor, aber so gut wie immer nur nachgeordnet. Das reicht nicht aus. Wenn die Verlader, also Industrie und Handel, nicht bereit sind, ihre eigene Nachhaltigkeitsstrategie auch angemessen in ihren Logistikausschreibungen abzubilden, dann braucht man den Dienstleistern keinen Vorwurf zu machen, wenn sie bezüglich der. Nachhaltigkeit etwas zögerlich agieren.
 
Was sollte sich ändern?
Es muss ein Umdenken stattfinden. Wie die Ausschreibungen gestaltet sind, entscheiden in der Regel die Einkäufer. Das bedeutet: Unternehmen, die Nachhaltigkeit auch umsetzen wollen, müssen das auch in den Zielvorgaben für ihre Einkäufer berücksichtigen.
 
Das klingt so als hätten Logistik-Dienstleister selbst gar keine Verantwortung in der Frage.
Doch, sie sind gefordert, Nachhaltigkeit nach einer gewonnenen Ausschreibung auch umzusetzen. Aber wer den Markt kennt, weiss dass die Margen oft knapp bemessen sind. Im normalen Geschäft ist es für mittlere und kleine Unternehmen schon schwierig, überhaupt zu überleben. Dass die Unternehmen dann nicht freiwillig vorauseilend Nachhaltigkeitsinvestitionen tätigen, wenn es kein Interesse und keine Zahlungsbereitschaft seitens der Verlader gibt, das kann ich gut verstehen.
 
Dass die Zahlungsbereitschaft der Verlader fehlt, liegt auch am mangelnden Interesse der Verbraucher.
Ja. Wenn man sich breite Bevölkerungsschichten anschaut, hat das nackte Preis-Leistungs-Verhältnis eigentlich immer Vorrang bei der Kaufentscheidung. Warum haben denn die Discounter - mittlerweile auch in der Schweiz - so hohen Zulauf? Weil es Waren zu attraktiven Preisen bei hoher Verfügbarkeit gibt. Aber die Distanzen, die bereits hinter den Produkten liegen, wenn sie im Regal landen, und die damit zusammenhängenden Klimabelastungen werden von den Konsumenten oft nicht hinterfragt
 
Die Logistik-Branche profitiert davon aber. Wenn jeder nur noch regionale Produkte kaufen würde, müssten die Dienstleister mit sehr viel geringeren Umsätzen klar kommen.
Diesbezüglich mache ich mir keine grossen Sorgen. Langlaufende Transporte werden wir auch in Zukunft benötigen, eine radikale Umkehr wird es nicht geben. Aber es ist ja durchaus möglich, auch auf langen Distanzen die Umweltbelastung zu verringern - beispielsweise, indem Luftfracht durch Seefracht ersetzt wird. Dennoch: Unternehmen und Endkunden werden sich in Zukunft deutlich öfter fragen müssen, bei welchen Produkten lange Transportwege wirklich Sinn machen. Das Wasser im Restaurant muss schliesslich nicht aus Südfrankreich kommen. Das Wasser aus der Schweiz schmeckt mindestens genauso gut.


Zur Person:
Prof. Dr. Wolfgang Stölzle leitet seit 2004 den Lehrstuhl für Logistikmanagement an der Universität St. Gallen und ist zudem Studiendirektor des berufsbegleitenden Weiterbildungs-Diplomstudiums Logistikmanagement. Er ist unter anderem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundeministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Lehrstuhl für Logistikmanagement erstellt zusammen mit der GS1 Schweiz jährlich die Logistikmarktstudie Schweiz.

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