Eine noch bis vor Kurzem gesunde Branche ist schwerkrank: Die Reisebranche. Die Zukunftsaussichten der Schweizer Reisebüros sind so düster wie noch nie, heisst es vom Schweizer Reise-Verband SRV. Das wird sich auch in den kommenden zwei Jahren nicht ändern. Besonders betroffen sind die 1300 Schweizer Reisebüros mit ihren rund 8000 Angestellten und einem Umsatz von rund 6 Milliarden Franken.
«Wir sind an einem absoluten Tiefpunkt angelangt», sagt Max Katz, Präsident des Schweizer Reise-Verbands an einer Veranstaltung am Donnerstag in Zürich. Die Situation sei dramatisch, die Nerven lägen blank, heisst es. «Wir haben keinen Einfluss mehr auf unser Geschäft und sind der Perspektivlosigkeit zum Opfer gefallen», sagt Katz.
Alarmstufe Rot
So schlecht stand es noch nie um die Reisebranche: Der Verband rechnet mit einem Umsatzrückgang von 70 Prozent für das laufende Jahr - und zwar mit fortgesetzter Kurzarbeit. Das geht aus einer Mitglieder-Umfrage für den Zeitraum bis Juni hervor. «Es herrscht Alarmstufe Rot. Es fehlt jegliche Perspektive, wir brauchen zwingend Unterstützungsmassnahmen», sagt Katz.
Der Verband rechnet vor: Aufgrund der volatilen Margensituation und der hohen Personalkosten braucht ein Reisebüro einen Umsatz von mindestens 900'000 Franken pro Vollzeitstelle. Daher bräcuhten die Reisebüros in den nächsten Wochen dringend Unterstützung, sagt Katz. Bei einem geschätzten Umsatzverlust von rund drei Milliarden Franken sind in der Schweiz damit mindestens 3000 Arbeitsplätze in der Reisebranche gefährdet.
Professor Christian Laesser von der Universität St.Gallen bringt die Krise auf den Punkt: «Das Hauptproblem der Reisebüros ist, dass keine Nachfrage besteht.» Wenn Reisen nicht konsumiert werden, ist diese Ausgabe für immer verloren und kann nicht nachgeholt werden, erklärt Laesser. Deshalb seien Kredite nur ein bedingt nützliches Instrument, da sie mit den schmalen Margen der Reisebüros kaum zurückbezahlt werden können.
In einer Branche, die dermassen dienstleistungsorientiert ist, kostet das Stellen. «Wenn die Umsätze weg brechen, braucht es keine Mitarbeiter mehr», sagt Laesser. Was zur Misere der Branche hinzukommt, ist die Planungsunsicherheit. «Wir können durch diese Unsicherheiten und Restriktionen unseren Job nicht mehr ausüben», sagt Verbandspräsident Katz.
Geld schon ausgegeben
Ein weiteres Problem ist die Rückabwicklung der Reisen, die durch die Reisebüros getätigt werden. Zahlreiche Reisen seien bereits 2019 geplant worden, Anfang 2020 wurden diese abgesagt und Gäste mussten zurückgeholt werden. «Wir hatten nicht nur einen Nullumsatz, sondern einen Negativ-Umsatz», betont Katz. «Der Einzige, der ins Reisebüro kam, war der Pöstler, der die Rechnungen brachte.» Trotz Kurzarbeit hätten die Mitarbeiter all die Stornierungen und Umbuchungen abwickeln müssen, so Katz.
Noch vor zwei Monaten glaubte die Reisebranche, sie könne sich mit dem Herbst- und Wintersaison das schlechte Jahr gewissermassen wettmachen. Durch den erneuten Anstieg der Infektionen sowie Reisewarnungen sind diese Pläne aber ebenfalls zunichte, sagt der Präsident.
Bis 90 Prozent weniger Umsatz
Der Umsatzrückgang in der Reisebranche wird nun laut neuster Einschätzung unter den Reisebüros auf 80 bis 90 Prozent prognostiziert. «Mit diesem Ausblick kann man kein Geschäft mehr betreiben», sagt Katz.
Die Vernichtung des Eigenkapitals der Reisebüros betrage zwischen 374 bis 523 Millionen Franken für dieses Jahr, rechnet Christian Laesser von der Universität St.Gallen vor. 40 Prozent der Reisebüros sind gefährdet und damit rund 3000 Arbeitsplätze.
Hoffnungsschimmer Vertrauen
Ein positives Signal gibt es dennoch, sagt Walter Kunz vom Schweizer Reise-Verband. Kunden, die früher im Netz gebucht hätten, verlassen sich jetzt wieder auf ein Reisebüro. «Wenn es einen Ausfall gibt, dann muss der Konsument nicht alles selber stornieren und das Geld zurückfordern», sagt Kunz. Bei Direktbuchungen über Booking.com oder bei der Airline sei die Ausgangslage anders.
Der Verband ruft den Bundesrat zur dringenden Hilfe auf: Man brauche eine Erwerbsentschädigung für diese KMU, fordert Präsident Katz. «Die Inhaber von Reisebüros haben jahrelang eingezahlt und jetzt erhalten sie nichts», sagt der Präsident. Er fordert eine Weiterführung der Kurzarbeit bis Ende 2021. Dazu benötige die Branche eine Rückzahlung der Covid-19-Kredite für mehr als zehn Jahre sowie weitere Überbrückungshilfen.