Es ist Mittag in Crissier. In der Küche von Philippe Rochat senken sich die Wärmelampen über dem Pass. Der gross gewachsene, sportliche Mann befestigt ein Mikrofon am Revers seiner blütenweissen Kochbluse und tritt hinzu. Die 24 Köche, darunter drei Frauen, verstummen. Gewusel, Unruhe und das hektische Treiben, das vorher das Herrichten der Mise en place begleitete, weichen der Stille und der Konzentration. Gleichsam körperlich zu spüren ist die Energie, mit der sich die Köche ihrer Arbeit widmen.
Scharf und unmissverständlich kommen nun Rochats Befehle. Der Feldherr dirigiert seine Mannschaft. Mit der Präzision eines Uhrwerks verlassen die Teller die Küche – Philippe Rochat ist schliesslich in Le Sentier, in der Uhrmacherlandschaft des Vallée de Joux, aufgewachsen. Alle zwanzig Minuten trägt die Servicebrigade ein neues Gericht an die einzelnen Tische im voll besetzten Saal.
Zweimal am Tag läuft diese Maschine auf Hochtouren, zweimal wird von Grund auf alles neu zubereitet, und zweimal wären die Reinheit und Ausgewogenheit, die Eleganz und Präzision, ja die schiere Perfektion von Philippe Rochats Küche zu erleben – schade, dass man nur einmal essen kann.
Von einem Aufenthalt bei diesem Grossmeister der Haute Cuisine lässt sich lange zehren. Tagelang sieht man die Teller vor dem geistigen Auge, sinniert den verblüffenden Geschmackskombinationen nach, meint die Saucen noch auf der Zunge zu spüren. Ein Essen bei Rochat besitzt einen Abgang wie ein vollkommen gereifter Wein.
Dabei liest sich das Überraschungsmenü, das man sich deutsch aufschreiben lässt, reichlich spröd und beansprucht kulinarische Fantasie, um sich die Genüsse so auszumalen, dass sich die gebührende Vorfreude einstellt: Scherenmuscheln, Krabben und grüner Seeigel mit Osietra-Kaviar; zarte Hummerscheiben an einer leichten Zitrussauce; Kardonen aus Crissier mit schwarzen Trüffeln; Seezunge an Karottensauce, verfeinert mit Ingwer; Jakobsmuscheln mit Olivenöl aus Marsanne, begleitet von knackigen Gemüsen; Kalbsfilet mignon mit Artischocken und Spitzen grüner Spargeln; Auswahl an Käse; Crêpe soufflée mit exotischen Früchten; Eiscrèmes und Sorbets; Petits Fours. Nicht erwähnt sind die fantastischen Brote, die im Haus zweimal täglich frisch gebacken werden.
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Die trockene Sprache spricht nicht von den fein abgestimmten Gewürzen, den gleichsam mit der Pinzette hindrapierten Köstlichkeiten, dem Augenschmaus, den die Teller bieten. Sie lässt nicht erahnen, wie kompliziert Rochats Küche ist, unerhört aufwändig und aus vielen perfekten Details zusammengesetzt, um schliesslich beglückend schlicht zu wirken. Man muss sich den Begeisterungston selbst schaffen, und unvermittelt deutlich fällt einem dann der Unterschied auf zwischen einer sehr guten und einer wahrhaft grossen Küche.
Philippe Rochat verwaltet nicht einfach das Erbe des einmaligen Fredy Girardet, das er 1996 angetreten hat. Er entwickelt es weiter und vermehrt es. Der tragische Lawinentod seiner Frau Franziska Moser hat ihn zwar sichtlich mitgenommen, doch er therapiert sich mit seiner Arbeit, und hie und da huscht plötzlich wieder das alte, spitzbübische Lächeln über sein Gesicht.
Wer über Kochgeschick verfügt und Philippe Rochats Rezepte nachkochen will, greift zum eben erschienenen Kochbuch des Meisters. Das spektakuläre, bereits mehrfach preisgekrönte Werk ersetzt zwar nicht einen Besuch in Crissier, lässt aber erahnen, was einen dort erwartet: La Cuisine sublime (AT Verlag, Fr. 118.– ).