St. Pelagiberg, 600 Meter oben auf einer Hügelkuppe mit Blick über die grün gewellte Landschaft des Thurgaus und des Toggenburgs bis hinunter zum Bodensee, ist ein Kur- und Wallfahrtsort. Täglich pilgern Gläubige zur Kirche Maria Geburt und zum verehrten heiligen Pelagius. Hinter der Kirche steht eine Wirtschaft, einst vom Sakristan geführt, heruntergekommen dann und heute schmuck herausgeputzt mit Schindeln, grünen Fensterläden und niedrigem Dach. Darin lebt und arbeitet eine andere Art Heiliger, ein heiliger Irrer oder irrer Heiliger der Kochtöpfe, Ruedi Brander mit Namen – Nomen est Omen –, gerade eben fünfzig geworden, seit mehr als zwanzig Jahren einer der wildesten, kreativsten, ehrgeizigsten und ruhelosesten Köche zwischen Vaduz und Schaffhausen. Eine Pilgerfahrt zu diesem vom Kochen Besessenen gehört ins Pflichtenheft jeden Liebhabers der grossen Küche.
An einem der letzten heissen Sommertage wird einem beim Betreten des intimen Lokals ein kühler Empfang bereitet. Nicht dass das an der Gastgeberin Dragica Brander läge. Sie wirkt so natürlich und herzlich, so unaufdringlich und besorgt, als wäre ihr einst das Wirten im fernen Pelagiberg als Bestimmung in die jugoslawische Wiege gelegt worden. Nein, eine effiziente Klimaanlage sorgt fürs Temperaturgefälle, unterstrichen vom kühl-lichten Design der beiden Stuben, ganz in Blau und Weiss mit moderner Glaskunst und aufwändiger Tischdekoration. Einzig die tiefe Holzdecke und der über eine steile Holztreppe erreichbare Keller, in dem zu vernünftigen Verkaufspreisen die schönsten Weine in allen Flaschenformaten lagern, lassen das frühere Heimetli erahnen.
Dragica serviert den ersten Gang. Dieser wie alle folgenden auf exklusiven Tellern kunstvoll angerichtet, ein opulenter Augenschmaus – vor drei Jahren haben die Branders den Schweizer Tischkulturpreis verliehen bekommen. Ein Start nach Mass: die perfekt ausgelöste Wachtel mit Eierschwämmen und Gäseleber auf Salat. Von überwältigender Intensität wie ein letzter mächtiger Sommergruss dann die klare Tomatensuppe mit Geflügelravioli. Die farblose Flüssigkeit ist die reine Essenz. Das gebratene Rotbarbenfilet, einziger Kritikpunkt, schimmert noch glasig, umso schmackhafter das Fenchelgemüse. Die ganze Kalbshaxe aus dem Ofenrohr veredelt ein subtiler Kräuterjus.
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Die zahlreichen Marktgemüse setzen dazu vielerlei Kontraste. Hier wird Ruedi Brander zum Botaniker und verfasst ein Lexikon der Ende August verfügbaren Gemüse. Ähnlich in seiner farbenfrohen Grosszügigkeit das verführerische Dessert: Sommerfrüchte und Sommerbeeren in reifer Aromenfülle, begleitet von einer süchtig machenden Joghurtglace.
Ruedi Brander ist ein kraftvoller Koch, der das Würzen nicht scheut, den Produkten ihren Eigengeschmack herauskitzelt und sie virtuos untereinander ins Gespräch bringt. Das jugendliche Ungestüm, das noch sein Wirbeln im «Branders Kulinarium» bestimmte, ist der relativen Abgeklärtheit gewichen. Abgeklärtheit heisst aber nicht Saturiertheit. Brander ist nach wie vor ein hungriger Koch, ungeduldig, wie unter Strom.
Er weiss um seine Qualitäten, er stellt sein Licht nicht unter den Scheffel. Er weiss aber auch um seine nur mässig ausgebildete Teamfähigkeit. Alleine, sporadisch von einer Küchenhilfe unterstützt, steht er am Herd – ein mittlerweile überzeugter Einzelkämpfer. Umso bewundernswerter Dragica, seine Frau, die den inspirierten Küchengeist in die Gaststube verlängert, ohne dabei ihre Ruhe und Gelassenheit zu verlieren. Wenn Brander brennt, dann löscht sie mit Geschick und Einfühlungsvermögen. Und die Gäste merken es nicht.
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