Nicht ganz 13 000 Einwohner zählt Eisenstadt, Hauptstadt des Burgenlandes, des östlichsten österreichischen Bundeslandes an der Grenze zu Ungarn und der Slowakei. Ein imposantes Barockbauwerk überragt die kleine Stadt: Schloss Esterházy. Das wirtschaftliche Zentrum der Region residiert allerdings einige Schritte entfernt vom Schlossplatz in den früheren Pferdestallungen des einst regierenden Fürstengeschlechts: «Esterházy Betriebe GmbH» steht da schnörkellos und ganz bürgerlich auf einem Türschild.
Wer den Eingangsbereich der jahrhundertealten Gemäuer passiert, kommt unvermittelt in der Moderne an. Hohe Glasfronten geben den Blick frei in den Innenhof der Wirtschaftsgebäude. In den lichtdurchfluteten Büroräumen arbeiten ein paar Dutzend Angestellte – zum Beispiel an einem neuen Nachhaltigkeitsbericht. «Die Wahrheit der Gegenwart für eine Geschichte der Zukunft», versprach die familiäre Fürstenfirma, als die Geschäftsleitung 2007 erstmals in der gegen 400 Jahre langen Geschichte der Esterházys einen Tätigkeitsbericht präsentierte. Der Titel: «Das wahre Märchen eines Fürstenhauses».
Die 140-seitige Publikation, geschrieben vom Schriftsteller Folke Tegetthoff und von einem Team von Fachleuten der Nachhaltigkeit, gebunden in weisses Leinen, trägt auch die Handschrift des gebürtigen Schweizers Stefan Ottrubay. Der promovierte Jurist mit ungarischen Wurzeln und Schweizer Bürgerrecht («Ich bin schweizerisch-ungarischer Doppelbürger und habe es bis zum Oberleutnant der Schweizer Armee gebracht») ist seit genau zehn Jahren Mitglied der Esterházy-Stiftungen im Burgenland und leitet als Generaldirektor deren Tochterfirmen. In der Nachfolge der «Fürstlichen Domänenverwaltung» – wie der Grossgrundbesitz bis zur Jahrtausendwende leicht antiquiert hiess – errichteten Ottrubay und ein Team von Topberatern ein ganz normales Unternehmen, eben jene Esterházy Betriebe GmbH. Knapp 300 Mitarbeitende beschäftigt die Gruppe in den Bereichen Wald- (22 350 Hektaren) und Landwirtschaft (5590 Hektaren) sowie in der Verwaltung des Immobilienbesitzes mit den Millionen verschlingenden «historischen Grossanlagen» wie dem Eisenstädter Stammhaus, der Burg Forchtenstein oder dem Schloss Lackenbach, alle im Burgenland gelegen. Gegen 15 000 Hektaren verteilen sich gemäss Katasterplan auf gleichermassen wenig einträglichen Grund und Boden: «Naturschutzgebiete, Wasserflächen, Schilf und Hutweiden».
International zunehmend gefeiert werden indessen die Erträge aus gerade einmal 65 Hektaren in Nachbarschaft des Neusiedler Sees, den legendären Weingärten des Fürstenhauses. Mit Rotwein als Teil seines Honorars liess sich schon der weltberühmte Kapellmeister und Komponist Joseph Haydn während seiner fast 30-jährigen künstlerischen Arbeit in Diensten der Esterházys bezahlen. Doch so wie die Gemäuer im Musiktheater Haydns mit rund 600 Plätzen im Schloss zu Eisenstadt langsam zerbröselten, nagte der Zahn der Zeit auch unaufhaltsam am historischen Weinkeller.
Durchgestartet. Das stellte eine erste Herausforderung dar, als Ottrubay zur Jahrtausendwende in Eisenstadt über die Bücher ging. «Gegen 35 Hektaren eigene Weingärten» fand er beim Dienstantritt vor. Für eine Winzerfamilie mag diese Grössenordnung eine auskömmliche Geschäftsgrundlage sein. Da jedoch nach Einschätzung des neuen Generaldirektors entweder der Rückzug aus dem Weinanbau oder aber die Errichtung einer komplett neuen Produktionsstätte erforderlich war, liess er das Umfeld sondieren. Da etliche Miniwinzer im nördlichen Burgenland zwischen Rust und Trausdorf für sich keine Zukunft sahen und zusätzlich Brachland aktiviert werden konnte, wuchs die Rebfläche durch Zukäufe schliesslich auf 65 Hektaren.
Sieben Millionen Euro investierte die Esterházy Betriebe GmbH in «eine einzigartige Produktionsstätte auf allerhöchstem architektonischem und technischem Niveau». Fernsehzuschauer in Österreich und Deutschland können sich von der Baukunst überzeugen. Denn Harald Krassnitzer (50), einer der bekanntesten Schauspieler Österreichs und auch in der legendären Krimi-Dauerserie «Tatort» als Kommissar Moritz Eisner im Einsatz, präsentiert sich in der Kulisse des Weinguts Esterházy als «Der Winzerkönig». Das spektakuläre Barriquelager mit ungefähr 650 Fässern, die Produktionsfläche für Rot- und Weisswein und das Lager, ausgelegt für 350 000 Flaschen, sind in der Tat Hingucker. Gegen eine halbe Million Flaschen, mehrheitlich Rotwein, füllt Kellermeister Josef Pusch in guten Jahren ab. Die edelsten Tropfen, in der Schweiz auch von Mövenpick feilgeboten, tragen die Namen Estoras (lateinisch für Esterházy) und Tesoro (Schatz) auf dem Etikett.
Die Schweiz spielt aber nicht nur als Verkaufsmarkt für exquisiten Rebensaft eine Rolle. Sie bot dem damals regierenden Fürsten Paul V. Esterházy 1956 Asyl bei seiner Flucht vor den Kommunisten in Ungarn. Die kommunistischen Machthaber in Budapest hatten ihn 1948 wegen eines (angeblich läppischen) Devisenvergehens zugunsten der Kirche in einem Schauprozess zu 15 Jahren Einzelhaft eingekerkert und fürstliche Latifundien in der kaum vorstellbaren Grösse von einer halben Million Hektaren beschlagnahmt – obschon sich das Oberhaupt der Esterházys während und auch noch nach Ende des Zweiten Weltkriegs klar zu Ungarn bekannte.
Gegen acht Jahre sass der Fürst im Gefängnis, ehe Esterházy-Mitarbeiter aus Eisenstadt ihn 1956 in den Wirren des ungarischen Volksaufstands befreien und gemeinsam mit seiner Gattin Melinda vor den anrückenden sowjetischen Panzern über die Grenze nach Österreich bringen konnten. Wirklich in Sicherheit wähnte sich das kinderlose Fürstenpaar dort aber offensichtlich nie, emigrierte es doch schon nach kurzer Zeit in die Schweiz.
Fürst Paul hatte 1943 seine grosse Liebe, Melinda Ottrubay, die damalige Primaballerina am Opernhaus in Budapest, in einem Luftschutzkeller kennen gelernt. Am 3. August 1946 hatte er sie vor den Traualtar geführt.
In der Schweiz war bereits Josef Ottrubay, der Bruder der Fürstin und Vater des heutigen Topmanagers Stefan Ottrubay, mit Ehefrau Magdolna. Josef Ottrubay war am Ende des Krieges in die Zentralschweiz gezogen, gründete dort das Zentralschweizerische Technikum in Luzern und leitete dieses fast 30 Jahre als Direktor. Sohn Stefan, heute oberster Stiftungsverwalter, besuchte Volksschule und Gymnasium in Luzern, studierte Rechtswissenschaften in Freiburg und Zürich und reichte mit 25 Jahren seine Promotion ein. Anderthalb Jahrzehnte machte Ottrubay bei Banken (CS) und Versicherungen Karriere, um 1989 über Prag nach Budapest zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Er heiratete die Diplomkauffrau Agnes Ottrubay. Die beiden haben drei Kinder.
1989, nach dem Tod von Paul V., dem letzten Fürsten Esterházy, übernahm dessen Gattin Melinda Ottrubay die Verwaltung des Vermögens. Die Grande Dame konsultierte als «Alleinerbin des historischen Besitzes» in allen Fragen ihren Bruder. Gemeinsam überlegten sie, in welcher Form der bedeutende Kultur- und Wirtschaftsbesitz «für die zukünftigen Generationen mit Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Erfolg weiterzuführen» sei. Die Lösung wurde 1991 mit dem neu geschaffenen Instrument der österreichischen Privatstiftung gefunden. 2002 zog sich die Stifterin und Wohltäterin in den Ruhestand zurück.
Einige Assets entpuppten sich bei näherer Betrachtung als verlustreich, andere wurden erfolgreich weiterentwickelt. Fantastische Zahlen über ein märchenhaftes Milliardenvermögen relativiert der Generaldirektor. Ottrubay beziffert den Wert überschlagsmässig auf «600 bis 700 Millionen Euro». Tendenz steigend. Denn allein in den vergangenen fünf Jahren konnte die Stiftung sowohl eine Verdoppelung des geschäftlichen Umsatzes als auch des Betriebsergebnisses melden.
Riesige Altlasten. Im selben Atemzug nennt der oberste fürstliche Vermögensverwalter allerdings auch Altlasten, wie die anstehende Sanierung des imposanten Schlosses in Eisenstadt. «Mindestens 70 Millionen Euro» kalkuliert Stefan Ottrubay, wenn der Palast nach allen Regeln des Denkmalschutzes renoviert wird, und weitere 50 bis 70 Millionen für das Umfeld. Zum Beispiel residierte beinahe vier Jahrzehnte lang die staatliche Verwaltung des Burgenlandes in den historischen Gemäuern – mit allen möglichen Umbauten. In die einst prächtige Gartenanlage wurde ein Fussballstadion für den FC Eisenstadt geklotzt, eine Kickertruppe, die bereits wieder pleite ist. Die Bautrümmer darf jetzt der Eigentümer Esterházy entsorgen.
Pläne hat der an Architektur sehr interessierte Ottrubay einige. Er könnte es sich zum Beispiel vorstellen, den weitläufigen Schlosspark wieder als hochwertigen Besuchermagneten zu etablieren. Oder quasi als Seitenflügel der Barockanlage ein Fünfsternhotel einzurichten. «Wir haben etliche Projekte in der Pipeline», versichert er, redet jedoch lieber über bereits realisierte Investitionen.
Mehr als 60 Millionen Euro hat die Esterházy Betriebe GmbH in den vergangenen fünf Jahren investiert, etwa für die Übernahme von 12 000 Hektar Wald in Rumänien. Der Waldbesitz trägt traditionell rund 50 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Unter Federführung von Ottrubay wuchs diese Sparte zu einem anerkannten «Forst- und Naturmanagement»-Unternehmen. Die Firma Esterházy ist unter anderem bedeutende Mitbetreiberin von zehn Heiz- und Stromkraftwerken und leistet dadurch einen erheblichen Beitrag zu dem ehrgeizigen Ziel des Burgenlands, bis zum Jahr 2020 vollständige Energieautarkie zu erreichen.
Doch Stefan Ottrubays höchste Priorität lautet: «Wichtig ist es, Eisenstadt als bedeutende Kulturstadt auf die Landkarte zu bringen.»