Die orangen Päckli von Temu sieht man vor vielen Schweizer Hauseingängen liegen. Nun hat der EU-Konsumentenschutz am gestrigen Donnerstag Beschwerde gegen den chinesischen Onlineriesen eingereicht. Allein in Europa zählt Temu rund 75 Millionen Nutzer. Aber immer mehr Organisationen kritisieren den spottbilligen Onlineshop.
Der EU-Konsumentenschutz kritisiert einerseits, dass Verbraucher praktisch keine Informationen zu den Verkäufern erhielten. Deshalb sei oft nicht klar, ob die Produkte den EU-Produktsicherheitsanforderungen entsprechen. Andererseits nutze Temu manipulative Praktiken – sogenannte Dark Patterns –, um die Kundschaft zum Kauf zu bewegen. Beides verstösst gegen das EU-Gesetz über digitale Dienste.
Insgesamt haben sich 17 Konsumentengruppen aus 15 EU-Ländern beschwert. Sie fordern nun eine Untersuchung der Behörden. Die deutsche Verbraucherzentrale wurde bereits im März aktiv.
«Schweizer Behörden warten ab»
Auch in der Schweiz hat sich der Detailhändler-Verband Swiss Retail Federation im April beschwert und die Politik wegen Temu zum Handeln aufgefordert. «Unser Eindruck ist, dass die Behörden lieber zuerst abwarten, was in der EU passiert, statt proaktiv zu handeln», so Dagmar Jenni (56), Direktorin der Swiss Retail Federation, gegenüber Handelszeitung.
Aktuell gibt es in der Schweiz zwei Interpellationen zu Temu. Tiana Moser (45), Ständerätin der Grünliberalen, forderte «gleich lange Spiesse bei Online-Marktplätzen». Diese Fragestellung hat der Bundesrat bereits beantwortet. Er argumentiert, dass der Schweizer Marktüberwachungsbehörden nicht möglich sei, gegen ausländische Onlineshops vorzugehen, die Produkte direkt an Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten liefern. Das ist den Schweizer Detailhändlern und Onlineshops schon lange ein Dorn im Auge.
Bei der zweiten Interpellation fragt Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit (61), was der Bundesrat gegen den Import von Spielzeugen mit schlechter Qualität unternimmt. Der Schweizer Spielwarenverband hat bereits mit mehreren Tests bewiesen, dass viele Spielwaren von Temu schädliche Stoffe in zu hohen Konzentrationen erhalten. Beim letzten Test 2023 fielen 15 von 18 Spielzeuge durch. Schmuck für Kinder enthielten beispielsweise viel zu viel toxische Schwermetalle.
Temu drückt Mehrwertsteuer
«Ich finde es erstaunlich, wie wenig aktiv der Schweizer Konsumentenschutz ist», so Jenni weiter. Aktuell stellt der Detailhandelsverband deshalb Forderungen zusammen, so auch Beschwerden wegen unlauterer Geschäftspraktiken, die er beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eingeben will. «Wir vermuten einen unlauteren Wettbewerb. Wir scheuen den Wettbewerb nicht – fordern aber, dass die gleichen Regelungen für alle gelten.»
Auch bei den Preisen halte sich Temu nicht an das Schweizer Gesetz. Wird ein Rabatt beworben, muss auch ersichtlich sein, was das Produkt ursprünglich gekostet hat. Das ist bei Temu häufig nicht der Fall. Zudem umgeht der Onlineriese die Mehrwertsteuer, indem die Lieferanten die Sendungen in Kleinpakete aufteilen. Damit drücke Temu die Preise nochmals künstlich. «Wenn der Zoll und die Post nicht nachkommen mit den Stichproben, braucht es vielleicht eine Senkung der Bagatellgrenze auf 0 Franken – dann muss auf alle Pakete eine Mehrwertsteuer bezahlt werden», so Jenni. Das Beratungsunternehmen Carpathia schätzt den Umsatz 2023 von Temu in der Schweiz auf 350 Millionen Franken.
Schweizer Kunden bemängeln Qualität
Beim Seco sind noch keine Beschwerden gegen Temu eingegangen. Gemäss Jenni sei es in vielen Fällen schwieriger, gegen einen ausländischen Onlineshop vorzugehen.
Dafür erhält der Schweizer Konsumentenschutz Beschwerden zu Temu – auch wenn nicht auffällig viele. «Es wird vor allem die Qualität bemängelt. Die Verkäufer sind sehr intransparent», sagt Sara Stalder (57), Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes.
Sie begrüsst, dass der EU-Konsumentenschutz nun aktiv geworden ist. «Die EU hat ein deutlich grösseres Gewicht gegenüber Weltkonzernen als wir allein aus der kleinen Schweiz.»