Es besteht ein Unterschied zwischen den Erwartungen der Öffentlichkeit an den Prüfer und den effektiven Aufgaben der Wirtschaftsprüfung sowie deren Umsetzung. Die Differenz von Erwartung und Realität ist bei verschiedenen Gruppen allerdings unterschiedlich ausgeprägt. Verwaltungsräte, Geschäftsleitung, Banken, Rating-Agenturen, Regulatoren und Gesetzgeber, die am Berichterstattungsprozess der Firmen an die Finanzmärkte beteiligt sind, haben durch ihre praktische Arbeit ein differenzierteres Bild. Kleinaktionäre hingegen, die an Generalversammlungen teilnehmen und die Tagespresse interessiert lesen, haben oft den Eindruck, dass der Prüfer mit seinem Testat nicht nur die Richtigkeit der Jahresrechnung bestätigt. Vielmehr gehen sie davon aus, dass die Geschäftsführung, die Überwachung des Management durch den Verwaltungsrat und die Richtigkeit der Unternehmensstrategie geprüft werden und letztlich sogar die Verhinderung des Konkurses sicherstellt wird. Kommt es zum Konkurs oder zu schweren Veruntreuungen, stellen sich sofort die Fragen: Wo war die Revisionsstelle? Warum hat sie nicht rechtzeitig gewarnt?
Das vermeintliche Versagen des Prüfers lässt sich bildlich mit dem Scheitern beim Hochsprung vergleichen; dabei kann entweder die Latte zu hoch aufgelegt worden sein, oder der Sprung war effektiv nicht hoch (gut) genug. Aus unserer Sicht ist beides richtig. Die bestehende Lücke muss daher von beiden Seiten geschlossen werden.
Laufende Reformen
Die Aufgaben der Wirtschaftsprüfung sind im Rahmen der gesamten Berichterstattungskette der Unternehmen zu sehen. Die Branche stellt ein wichtiges Sicherungselement in der Kommunikation zwischen Firmen und Finanzmärkten dar. Ihre Funktion beschränkt sich aber auf die Prüfung der finanziellen Berichterstattung. Nur durch die professionelle Ausführung der Aufgaben aller Teilnehmer sowie das Zusammenspiel der einzelnen Elemente in der Berichterstattungskette kann das Vertrauen in die Verlässlichkeit der finanziellen Berichterstattung und die Qualität der Überwachungsorgane wieder hergestellt werden. Die Steigerung der Qualität der finanziellen Berichterstattung und der Wirtschaftsprüfung ist daher ein Kernelement der laufenden Reformen auf internationaler Ebene und in der Schweiz. Die Einführung von Corporate-Governance-Richtlinien und deren Offenlegung in der Berichterstattung, der Ausbau und die Harmonisierung von Rechnungslegungs- und Prüfungsstandards, der Aufbau von Aufsichtsgremien des Staates und der Regulatoren für die Einhaltung der entsprechenden Standards stellen gewichtige Fortschritte dar.
In der laufenden Revision der gesetzlichen Grundlagen für die Wirtschaftsprüfung in der Schweiz werden die Aufgaben präzisiert und ausgedehnt. Künftig muss das Unternehmen den Nachweis eines funktionierenden internen Kontrollsystems erbringen und eine Risikobeurteilung vornehmen. Der Wirtschaftsprüfer hat dies sodann zu prüfen. Dadurch wird die Latte für den Hochspringer zwar nochmals höher aufgelegt, andererseits zielen gerade diese zusätzlichen Prüfungsbereiche darauf ab, die Qualität der Berichterstattung der Firmen zu erhöhen und die Wirkung der Wirtschaftsprüfung zu verstärken.
Neue Herausforderungen
Es ist unbestritten, dass die Qualität der Wirtschaftsprüfung weiter verbessert werden kann. Die Komplexität der Aufgaben hat im letzten Jahrzehnt parallel mit den stark gestiegenen Anforderungen an die Unternehmen zugenommen. Im Umfeld einer zusehends globalisierten Wirtschaft und eines raschen technologischen Wandels müssen die Firmen neue Strategien, Geschäftsmodelle und Finanzierungsarten entwickeln. Der andauernde Ausbau der Rechnungslegungsstandards, wie die International Financial Reporting Standards (IFRS), und deren Anwendung bei den Unternehmen führt zu neuen Herausforderungen in der Zusammenarbeit von Firmen und Wirtschaftsprüfern. Auf der anderen Seite führte der Kostendruck bei vielen Unternehmen dazu, die Wirtschaftsprüfung dort zu beziehen, wo sie am kostengünstigsten angeboten wurde.
Der schweizerische Berufsstand als Gesamtes hat es zu wenig verstanden, die Notwendigkeit und den damit zu erzielenden Mehrwert einer umfassenden und qualitativ hochstehenden Prüfung zu kommunizieren und in den Ausschreibungen am Markt durchzusetzen. Verfolgt man die Auswirkung der laufenden Reformen in den USA (Sarbanes-Oxley Act), so zeichnet sich klar ein erhöhter zeitlicher Einsatz der Wirtschaftsprüfer und somit steigende Revisionshonorare ab. Die Bereitschaft der Schweizer Wirtschaft, den finanziellen Mehraufwand zu tragen, ist erst im Entstehen.
Die Branche hat auf die neuen Gegebenheiten reagiert. Die überarbeitete Unabhängigkeitsrichtlinie umschreibt die Regeln, wie Objektivität und Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfung zu wahren sind, beispielsweise durch die Rotation des verantwortlichen Mandatsleiters. Weiter hat die Treuhand-Kammer die neuen Schweizer Prüfungsstandards (PS) in Übereinstimmung mit den International Standards on Auditing (ISA) erlassen. Die Weiterbildung für Wirtschaftsprüfer wird den neuen Anforderungen beispielsweise durch Kammerseminare über die neuen PS angepasst.
Die Massnahmen des Berufstandes, hier und auf internationaler Ebene, sind im Rahmen einer Vielzahl von ähnlichen Projekten anderer Marktteilnehmer wie etwa des Verhaltenskodexes für Rating- Agenturen oder Finanzanalysten zu sehen. Im Weiteren haben die einzelnen Revisionsgesellschaften ihre internen Prozesse der Qualitätssicherung und -überwachung ausgebaut und die betriebliche Weiterbildung beispielsweise hinsichtlich Rechnungslegungsstandards, Interne Kontrollen und Prüfungsvorgehen intensiviert. Die Branche begrüsst, dass die Selbstregulierung der Branche durch eine staatliche Oberaufsicht und Anpassungen im gesetzlichen Rahmen ergänzt wird. Die Schaffung einer staatlichen Aufsichtsbehörde dient der Durchsetzung von Prüfungsstandards und der Einhaltung der Unabhängigkeit und unterstützt letztlich die Qualität einer hochstehenden Wirtschaftsprüfung.
Soll der nächste Hochsprung gelingen und die Latte liegen bleiben, müssen alle Beteiligten das Ziel einer qualitativ hoch stehenden Berichterstattung der Unternehmen und Wirtschaftsprüfung gemeinsam verfolgen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass die «neue» Corporate Governance in den Unternehmen umgesetzt und gelebt wird.
Für die Wirtschaftsprüfung kommt dem Audit Committee eine wichtige Stellung zu. Dieses hat die Aufgabe, die Qualität der finanziellen Berichterstattung des eigenen Unternehmens inhaltlich zu überwachen; sie ist aber auch die zuständige Instanz, die Qualität und Unabhängigkeit des Prüfers zu beurteilen. So überprüft das Audit Committee die Zulässigkeit von Non-Audit-Dienstleistungen der Revisionsgesellschaft, um die Balance zwischen vorhandenen Synergien (etwa beim Kundenkenntnis des Prüfers) und der Wahrung der Unabhängigkeit (z.B. keine Prüfung von eigener Arbeit) zu finden. Im Weiteren obliegt es dem Audit Committee zusammen mit dem Management, die Angemessenheit des Prüfungsumfanges zu bestätigen und die damit verbundenen Kosten der Wirtschaftsprüfung zu genehmigen.
Mut zur Diskussion
Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben sind die zeitlichen und fachlichen Voraussetzungen zu schaffen sowie ein klares Verständnis der Aufgaben des Audit Committee zu entwickeln. Der Wirtschaftsprüfer muss künftig in der praktischen Zusammenarbeit mit CEO und CFO als faktische Ersteller der Jahresrechnung und dem Audit Committee als Aufsichtsgremium seine Beurteilung zu allen Prüfungsbereichen klar und deutlich kommunizieren. Nur mit Mut zu offener Diskussion kritischer Punkte in der Rechnungslegung, Interner Kontrolle und Risiko-Management zwischen Geschäftsleitung, Audit Committee und Wirtschaftsprüfer kommt der Nutzen der Wirtschaftsprüfung für die Qualität der Corporate Governance und Berichterstattung voll zum Tragen.
Jede wirtschaftliche Tätigkeit ist in einem marktwirtschaftlichen System mit Risiken verbunden. Unternehmenszusammenbrüche haben vielfältige Gründe wie Strategiefehler oder spezielle Konkurrenzsituationen. Es wird sie immer wieder geben. Der Wirtschaftsprüfer wird sie nicht verhindern können, aber er kann sicherstellen, dass aufkommende wirtschaftliche Schwierigkeiten rechtzeitig in der Berichterstattung transparent und korrekt dargestellt werden.
Es bleibt daher eine Herausforderung für den Berufsstand, das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge und die unterschiedlichen Rollen im Corporate- Governance-Prozess bei Unternehmen in der breiten Öffentlichkeit zu wecken und über den gesellschaftlichen Wert und die Grenzen der Wirtschaftsprüfung für das Funktionieren der Finanzmärkte in unserer Marktwirtschaft zu informieren.
Stephan A.J. Bachmann, Leiter des Geschäftsbereiches Wirtschaftsprüfung, und Rodolfo Gerber, Partner des Geschäftsbereiches Wirtschaftsprüfung, beide PricewaterhouseCoopers Schweiz, Zürich.