Das silbern glitzernde Hochhaus am Zürcher Limmatplatz gilt als kulturhistorisches Schutzobjekt. Und als architektonische Landmarke, die Eleganz mit Solidität vermählt. Seit 1981 ist der einundzwanzigstöckige Turm Hauptsitz des Migros-Konzerns. Er ist ein eigenes Universum: Im Untergeschoss stehen Pasta und Pasteten zum Verkauf, im Parterre lockt der Schnell-Imbiss, darüber liegen die Klubschule und die Chefbüros mit Sicht über die Stadt.
Bald ist es im achteckigen Prestige-Bau vorbei mit geschäftiger Normalität. Denn Fabrice Zumbrunnen, als Migros-Konzernchef auch der Herr des Turmes, plant radikal.
«Fast Forward» mit Sozialplan
Sein Plan heisst «Fast Forward». Es ist ein Restrukturierungsprogramm, das die genossenschaftlich organisierte Migros, grösste private Arbeitgeberin des Landes, noch nie gesehen hat. Dieses wird er am 28. Juni, einem Donnerstag, den Verwaltungsräten präsentieren, tags darauf werden Belegschaft und Öffentlichkeit informiert.
Der Migros-Chef, den die Medien gerne als charmanten Schöngeist belächeln, verschreibt dem Migros- Genossenschafts-Bund (MGB) eine Radikalkur. Gemäss «Handelszeitung»-Recherchen will er in der zentralen Verwaltung rund 120 Millionen Franken einsparen. Im Zuge dieser Vorgabe sollen knapp 300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Beim MGB, der Genossenschaftszentrale, die heute 2700 Mitarbeitende beschäftigt, würde jede neunte Stelle eliminiert.
Die Stellen sollen nicht einfach gestrichen werden. Die Zahl der Kündigungen soll durch Frühpensionierungen und natürliche Fluktuation möglichst tief gehalten werden, zudem wird ausgelagert. Die Migros will keine Stellung nehmen. Medienchef Luzi Weber schreibt: «Das Programm Fast Forward befindet sich noch in der Ausarbeitung, weshalb wir die genauen Massnahmen und Auswirkungen derzeit noch nicht kommunizieren können.» Anschliessend würden die Mitarbeitenden «transparent und aus erster Hand mit den korrekten Fakten» bedient, erst dann Medien und Öffentlichkeit. Dies würde bis Anfang Juli der Fall sein.
Marketing und IT-Services im Visier
Betroffen von den Massnahmen, ist im Hochhaus zu hören, seien vorab die Direktionen Marketing und IT-Services. Gerade im letzteren Bereich ist die Zahl der Mitarbeitenden innert kurzer Zeit auf 650 gestiegen. Nun sollen Doppelspurigkeiten eliminiert, Überkapazitäten abgebaut und die Effizienz gesteigert werden. Diesen Frühling hat Zumbrunnen bereits das Marketing-Budget um 30 Millionen auf rund 250 Millionen gekappt, zudem hat er IT-Projekte in zweistelliger Millionenhöhe gestoppt. Auch die Direktion Migros-Medien, Herausgeberin vom «Migros-Magazin», ist tangiert. Der Verlag wird mit der Direktion Kommunikation vereinigt und Konzernleitungsmitglied Sarah Kreienbühl unterstellt.
Alles ist für nächste Woche en détail vorbereitet. Das Arbeitsamt des Kantons Zürich ist über die Restrukturierung informiert, mit dem Kaufmännischen Verband hat man einen grosszügigen Sozialplan ausgearbeitet. Der Abbau soll über einen längeren Zeitraum gestreckt werden. Schliesslich will die Migros ihr Image als vorbildliche Arbeitgeberin nicht aufs Spiel setzen. Gleichwohl ist der Abbau ein Schock für den Migros-Konzern. Der letzte Kraftakt in der Genossenschafts-Zentrale – betroffen waren rund hundert Arbeitsplätze – liegt 14 Jahre zurück.
Der Handlungsbedarf ist riesig, die Zeit knapp. Das Jahresergebnis für 2017, das der frisch gekürte Chef Zumbrunnen diesen Februar präsentieren musste, war wenig berauschend. Der Gewinn brach zum Vorjahr um fast 40 Prozent ein, die Betriebsmarge liegt unter dem Zielkorridor.
Zweites Effizienzprogramm
Zumbrunnen hält dagegen, und zwar mit zwei Grossprojekten. Das eine ist Fast Forward. Das andere heisst ECM, was für «Exzellentes Category Managment» steht. Damit soll die Koordination zwischen der MGB-Verwaltung, der Industrie und den regionalen Genossenschaften besser synchronisiert werden. Im Herbst sollen die Ergebnisse des ECM-Projekts vorliegen. Gespart wird auch hier.
Solange die Umsätze stiegen und die Jahresgewinne gegen 1 Milliarde strebten, war hartes Kostenmanagement kein Thema. Die Arbeitsplätze galten so sicher wie beim Bund, die Pensionskasse war grosszügig ausgepolstert. Tempi passati.
Zumbrunnen trieb sein Fast-Forward-Programm unter höchster Geheimhaltung voran. Nur ein enger Kreis von Topmanagern hat den Überblick über die diversen Einzelprojekte, die durch Berater der Düsseldorfer Batten & Company begleitet wird. Sie unterstützen die Migros-Kerngruppe, zu der neben dem Konzernchef die Leiter der beiden grössten Genossenschaften, Jörg Blunschi, Chef der Migros Zürich, sowie Anton Gäumann, Chef der Migros Aare, gehören.
Zumbrunnen bindet Kritiker Blunschi ein
Pikant ist das Engagement von Blunschi. Im Frühling 2017 bewarb sich dieser für den Chefposten im Milliardenkonzern. Doch nicht der Favorit aus der mächtigen Genossenschaft Zürich machte das Rennen, sondern der wenig bekannte Zumbrunnen. Dass der Neuenburger ausgerechnet seinen unterlegenen Konkurrenten ins Fast-Forward-Kernteam holte, gilt als smarter Schachzug. Mit Blunschi hat er zudem den grössten Kritiker der MGB-Zentralverwaltung an Bord. In der Mitarbeiterzeitung «Viel Migros» aus seiner Genossenschaft schoss Blunschi letzten Herbst mit scharfer Munition aufs Migros-Hochhaus. Die Marktbearbeitung durch den MGB sei 2017 «äusserst dürftig» ausgefallen, schrieb er. Und: Die Fehlerhäufigkeit in der Ausführung sei «immens» gewesen.
Nun ist Remedur angesagt.