BILANZ: Klaus Hommels, am 18. Mai ging Facebook endlich an die Börse. Haben Sie eine Flasche Champagner aufgemacht?

Klaus Hommels: Nein. Es ist wie bei den Prüfungen während des Studiums: Man bereitet sich darauf vor, freut sich darauf, dass dann alles vorbei ist – und stellt danach fest, dass doch alles ist wie immer. Es ist schön, dass aus der Vision Wirklichkeit geworden ist, aber Adrenalin hat das bei mir nicht ausgeschüttet.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Sie haben vor drei Jahren investiert. Haben Sie Ihre Anteile nun verkauft?

Nein, das dürfte ich gar nicht. Meine Sperrfrist läuft noch bis November. Dann steige ich aus, ich bin nicht gerne in börsenkotierten Aktien.

Wie gross ist Ihr Anteil an Facebook?

Kein Kommentar.

Können Sie uns wenigstens eine Grössenordnung geben?

Sie werden mir dazu kein Wort entlocken.

Der Börsengang gilt als Flop. Was lief schief?

Ob es wirklich ein Flop ist, wissen wir erst viel später. Erst einmal ist es die übliche mediale Polarisierung zwischen «Hosianna!» und «Kreuzigt ihn!». Da sind jetzt viele Emotionen dabei. Aber das IPO ist im Leben einer Firma nur ein sehr kleiner Zeitabschnitt. Wenn die Aktie nächstes Jahr bei 200 Dollar steht, ist alles vergessen. Wenn sie bei 17 steht, ist alles noch viel schlimmer, und dann hat es rückblickend schon beim Börsengang angefangen.

Kein anderer US-Börsengang im Milliardenbereich seit 2007 ist so schlecht gelaufen wie Facebook. Noch einmal: Was lief schief?

Es kam so viel Aussergewöhnliches zusammen. Die Dysfunktionalität an der Börse, als stundenlang nicht richtig gehandelt werden konnte. Oder dass vor der ersten Preisbildung so viel Volumen zusammengeführt wurde, wie ganz Europa an Börsenkapitalisierung von Internetfirmen hat – über 3,5 Milliarden Dollar. Und vor allem die Festsetzung des Ausgabepreises: Die grossen institutionellen Investoren waren bereit, 32 bis 33 Dollar zu zahlen, viele Privatinvestoren boten über 40. Dann haben Facebook-Finanzchef David Ebermann und Michael Grimes von Morgan Stanley «par ordre du Mufti» entschieden, dass es 38 werden. Das ist ein seltsames Vorgehen. Leider passiert das nicht zum ersten Mal.

Inwiefern?

Groupon und der Musikdienst Pandora wurden ebenfalls seltsam gepriced und sind später an der Börse abgeschmiert. Da muss man sich ernsthaft fragen, ob wir überhaupt in der Lage sind, so einen Börsengang richtig zu pricen.

War die Gier zu gross?

Schwer zu sagen. Es gibt viele Stakeholder in diesem Prozess, und alle versuchen, sich kurzfristig zu optimieren. Für Externe fehlt die Transparenz. Investoren wie Accel, Tiger oder Peter Thiel haben beim Börsengang für meinen Geschmack zu viel verkauft: Immer wenn Altinvestoren früh viel verkaufen, ist das ein komisches Zeichen. Das war bei Groupon das Gleiche. Happy kann eigentlich nur Facebook sein. Denn seinen eigentlichen Zweck, das Unternehmen mit Eigenkapital zu versorgen, hat der Börsengang erfüllt. Das hat die Firma auch ziemlich ausgereizt.

Ausgereizt oder überreizt?

Facebook hat das Maximum an Eigenkapital geholt. Für das Unternehmen ist es gut. Aber was ich schlimm finde: Eigentlich hätte eine ganze Industrie einen unglaublich positiven Spin bekommen können, wenn sich da nicht ein paar Leute selbst bedient hätten. Denn die Story ist ja an sich toll: Ein Unternehmen, das es vor acht Jahren noch nicht gab, bewegt heute so viel. Und ob es momentan 85, 95 oder 105 Milliarden wert ist, ist vollkommen egal. Stattdessen ist jetzt eine richtige Untergangsstimmung entstanden, was sich an der Börse ja auch auf andere Internetwerte überträgt wie etwa Zynga.

Nun wird untersucht, ob seitens der Banken sogar kriminelle Machenschaften im Spiel waren, indem institutionelle Anleger besser informiert wurden als Kleinanleger. Soll man als Privatmensch überhaupt beim IPO noch Aktien zeichnen?

Es gibt ja genug Bestrebungen der Regulatoren, solch eine Ungleichbehandlung zu vermeiden. Kann man das am Ende des Tages vermeiden? Ich weiss es nicht.

Überlegen Sie sich als Geschädigter juristische Konsequenzen?

Ich fühle mich nicht als Geschädigter. Der Preis wurde zwar falsch angesetzt, aber was soll ich mich darüber aufregen? Da bin ich nur ein Dackel, der am Fusse des Mount Everest kläfft.

Wie nachhaltig ist das Geschäftsmodell von Facebook?

Sehr nachhaltig. Es etabliert sich gerade als Betriebssystem im Internet – als Basis für viele andere Anwendungen. Jedes Start-up integriert heute Facebook Connect zur Benutzeranmeldung und Facebook Credits zur Abrechnung. Deshalb ist es auch sehr schwierig, Facebook in eine Schublade zu stecken für die Bewertung. Es gibt kaum Firmen, die ein Betriebssystem etablieren konnten.

Microsoft ist es gelungen.

Ja, aber viele andere Firmen fallen uns beiden jetzt auch nicht ein.

Würden Sie Kleinanlegern beim jetzigen Kurs den Einstieg in Facebook noch empfehlen?

Wenn sich Facebook als Betriebssystem etabliert, wird die Firma deutlich mehr als 100 Milliarden wert sein. Und wenn die das nicht hinbekommen, dann wüsste ich nicht, wer es sonst schaffen sollte. Auch wenn das vielleicht drei oder vier Jahre dauert. Wenn man einen solchen Anklagehorizont hat, könnte sich ein Einstieg also durchaus lohnen. Und dann gibt es sicher auch noch viele, welche die Aktie zur Identifikation mit der Marke oder als Statussymbol kaufen, ähnlich wie bei Apple. Und warum auch nicht? Es gibt schliesslich dümmere Sachen, die man mit seinem Geld machen kann.

Auch Zynga und Groupon sind abgestürzt. Zerplatzt gerade eine neue Internetblase?

Die Frage wird momentan gerne gestellt, weil es so einfach ist, Parallelen zu ziehen zur Dotcom-Blase beim Jahrtausendwechsel. Aber ich sehe derzeit keine übertriebenen Bewertungen. Und die Korrekturen, von denen Sie sprechen, liegen in der Grössenordnung von 30 Prozent. Das ist nicht dramatisch, wenn man es mit der Internetblase vergleicht. Vor allem haben diese Firmen alle ein substanzielles Geschäft mit teilweise hohen Umsätzen und Gewinnen. Da war im Jahr 2000 viel mehr Luft drin.

Also keine Blase?

Ich sehe keine. In der New Economy ist die Blase von Kleinanlegern getrieben worden. Diesmal sind es die Profis, die auf SharesPost und SecondMarket den Wert von Facebook hochgepusht haben. Es ist nicht wie damals, als einem jeder Taxifahrer erzählte, welche Internetaktie er gerade gekauft habe.

Sie haben unmittelbar vor dem Platzen der Dotcom-Blase als Investor begonnen. Welches waren die Lehren?

Dass niemand erfolgreich ist, der sich nicht wahnsinnig durchgebissen hat. Ich bin nach dem Platzen der Blase drei Jahre ins Büro gegangen und habe gewartet, dass es wieder anzieht – ich konnte gar nicht investieren, weil der Markt nicht mehr existierte. Aber ich wusste auch: Wenn ich jetzt etwas anderes mache, dann bin ich zu spät, wenn der Markt wieder anspringt. Leidenschaft und Durchhaltewillen sind vonnöten, um irgendwo hinzukommen. Das erhöht auch meine Glaubwürdigkeit, wenn ich dasselbe den Gründern predige.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob Sie investieren?

Ich entscheide alles aus dem Bauch heraus. Meine Entscheidungen sind zum jeweiligen Zeitpunkt für die wenigsten nachvollziehbar. Bei Skype etwa haben mich alle für bescheuert erklärt. Aber diese nonkonformistischen Entscheidungen haben den Unterschied gemacht. 2006 habe ich mich ja zwischenzeitlich anstellen lassen von Benchmark Capital. Dort hatte ich ein interdisziplinäres Team; die Entscheidungen waren quasi demokratisch. Das ist ein Extremismusvermeidungsmodell. Damit verhindert man ungewöhnliche Entscheidungen. Damit verhindert man aber auch ungewöhnliche Erfolge.

Ausser Skype schaffen es europäische Start-ups kaum, sich weltweit durchzusetzen. Warum?

Das ist eine Funktion des Reifegrades des Ökosystems. Da sind wir den USA 10 bis 15 Jahre hinterher. Wir haben weniger Entrepreneurs, die schon mal eine Firma gegründet haben. Beim zweiten Mal gehen die ganz anders an die Sache heran, haben eine ganz andere Verbindung zu Kapitalgebern, eine ganz andere, globalere Sicht. Lange Zeit haben wir nur Start-ups für Länder gemacht – ging es gut, war man danach vielleicht Marktführer in Deutschland. Wenn jemand das Gleiche in den USA tat, hatte er nach der gleichen Zeit einen vier Mal so grossen Markt und entsprechend niedrigere Grenzkosten.

Was hindert eine Firma denn daran, gleich den gesamten europäischen Markt anzuvisieren? Der ist doch in etwa gleich gross.

Das funktioniert nicht, das hat noch kein einziges Start-up geschafft. Entweder hat man ein Businessmodell wie Skype, das global skalierbar ist – dann macht man es auch von Anfang an global. Alles andere ist mit physischer Präsenz verbunden. Dann braucht man eine Niederlassung in Deutschland, in Frankreich, in England usw. Das hat noch keiner geschafft. Selbst eine Erfolgsgeschichte wie der Online-Shopping-Club Vente-privee.com ist nur in Frankreich stark.

Warum?

Für eine Präsenz in Europa braucht man mehr Geld als in einem einzelnen Land wie den USA. Das Geld bekommt man nur, wenn die Firmen auch höher bewertet werden. Damit tun sich die Kapitalgeber aber unheimlich schwer, denn es gibt in Europa kaum grosse Exits: keine spektakulären Börsengänge wie bei Facebook, keinen Verkauf an ein Grossunternehmen oder Ähnliches. Wer in Europa kann denn heute einfach mal 300, 400 Millionen für ein Start-up ausgeben? Niemand. Der Mangel an Exit-Möglichkeiten ist für mich das grösste Manko hier.

Wie bewerten Sie die Schweizer Start-up-Szene?

Die Schweiz hat das Pech, dass sie den kleinsten Heimmarkt hat, den man sich vorstellen kann. Es gibt auch kaum Venture Capitalists hier. Gleichzeitig hat es sehr viele talentierte Techniker im Umfeld der ETH. Die muss man noch besser mit den wenigen Kapitalgebern hier verknüpfen, damit aus den technischen Ideen Firmenvisionen werden. Bisher sind aber noch keine grösseren Firmen daraus entstanden.

Woran liegt das?

Auch daran, dass die Banken so viel zahlen. Da lohnt es sich kaum, das Risiko der Selbständigkeit einzugehen. Für einen hungrigen Bulgaren, Polen oder Esten ist der Unterschied gigantisch, ob er angestellt ist oder auch nur mittelmässig erfolgreich als Unternehmer. Hier aber fällt das Manna vom Himmel. Da muss man als Unternehmer schon spektakulär erfolgreich sein, um mit einem Angestellten finanziell gleichzuziehen.

Dann krankt die Schweizer Internetszene daran, dass der Rest der Wirtschaft zu gut ist?

Der Leidensdruck ist hier nicht gross genug. Und es fehlt der Vorbildcharakter.

Wo sind die Hebel, bei denen man ansetzen kann?

Die Internetindustrie hat sich in den Agglomerationen entwickelt – im Silicon Valley, in Tel Aviv, in London, in Berlin. Da befruchtet man sich gegenseitig. Man bekommt bessere Inspirationen, man findet schneller die Leute, die einem bei der Problemlösung helfen können. Das ist also ein Wirtschaftsraumthema. Und ein solcher ist nicht leicht zu schaffen.

Welches sind für Sie die heissesten Firmen hier?

DeinDeal und FashionFriends sind klasse.

In beiden waren Sie investiert, da sind Sie befangen.

Stimmt. Aber auch aus der Helikopterperspektive sind die beiden am interessantesten. Doodle hat von sich reden gemacht, oder Dominik Grolimund mit Wuala, die er an LaCie verkauft hat, die nun zum Milliardenkonzern Seagate gehört. Das zeigt, dass es möglich ist.

Seit dem Debakel mit dem New Market sind IPO von Internetfirmen in der Schweiz fast unvorstellbar.

Das müssen wir ändern, wenn wir die Industrie hier behalten wollen. Wenn der Exit nicht über die Börse erfolgt, sondern über einen Verkauf an einen US-Konzern, dann geht das Entscheidungszentrum woandershin, und auch die Fachkompetenz – letztlich exportiert man die ganze Industrie. Und genau das ist in den letzten Jahren passiert.

Wie kann man das ändern?

Das ist die 100 000-Dollar-Frage, mit der ich mich auch dauernd auseinandersetze. Die Investoren zu überzeugen, dass man hier gute IPO hinbekommt, ist schwierig. Und würde ein Unternehmer eine geringere Bewertung akzeptieren, wenn er sich in Europa kotieren liesse? Kaum. Und selbst wenn: Internetfirmen, die im deutschsprachigen Raum gelistet sind, wie etwa Xing oder TomorrowFocus haben in der Regel einen geringen Freeflow. Da kommt auch nur wenig Leben in die Aktie. Es gibt viele Hürden.

Reizt es Sie, mal selber ein Internet-Start-up aufzubauen?

Dazu bin ich zu schlecht. Ich kann mich nicht disziplinieren, wenn ich etwas Neues, Spannendes sehe. Ich bin zu neugierig. Man muss wissen, was man kann und was nicht.

Einzelkämpfer
20 000 D-Mark von der Oma waren sein Startkapital, als er noch zur Schule ging: Er verfünffachte es beim Börsengang von Puma. Heute ist Klaus Hommels (45) einer der erfolgreichsten Internetinvestoren der Schweiz. Der gebürtige Westfale studierte in Fribourg, lebt in Zollikon ZH und hat seine Büros in Zürich. Er war unter anderem an Skype, Xing und DeinDeal beteiligt, derzeit besitzt er unter anderem Anteile von Facebook und Spotify. Hommels ist ein Einzelkämpfer, selektiv lädt er auch Drittparteien zu Investments ein.