Am 3. Dezember 2004 war der Auftakt zum Prozess gegen den einst in der Schweiz aktiven Internetunternehmer Alexander Falk. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Betrug in besonders schwerem Fall, Kursmanipulation, Steuerhinterziehung und Beihilfe zur unrichtigen Darstellung der Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft vor. Der Prozess sorgt für Aufregung. Aber das Bekanntwerden, unter welch diffizilen Umständen das Beweismaterial in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangte, ist von noch grösserer Brisanz. Die Ankläger stützen sich mit ihren Vorwürfen auf Unterlagen, die der Schweizer Anwalt und Aktionärsschützer Johann-Christoph Rudin sichergestellt hat. Autorin Sandra Willmeroth hat in ihrem neuen Buch «Der 800-Millionen-Jackpot. Alexander Falk und der Fall Distefora» (siehe Artikel zum Thema «Nachfolgegerangel bei der CS: Startbereit») über Rudins Vorgehen geschrieben.
Es fing alles damit an, dass Rudin im Dezember 2002 in seiner Funktion als Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft der Investoren Schweiz (SIS) von wütenden Kleinaktionären zum alleinigen Verwaltungsrat der Distefora gewählt wurde. Als Rudin zum ersten Mal den Hauptsitz des Unternehmens in Zumikon inspizierte, fand er zu seinem Erstaunen fast nichts vor – nur Tisch, Stuhl, Telefon und Schrank. Darin standen Ordner mit alten Aktionärslisten. Die wesentlichen Akten waren in Sicherheit gebracht worden.
Rudin vermutete, dass die Unterlagen im Namen der deutschen Distefora-Tochtergesellschaft in einem Lagerhaus in Hamburg eingelagert waren. Diese Tochter sollte verkauft werden, sodass die Zeit für Rudin reichlich knapp wurde, um die Akten vor dem Besitzerwechsel einsehen zu können. Kurz bevor Rudins Mitarbeiter die Akten im Hamburger Lagerhaus auslösen wollten, wurde Rudin mitgeteilt, dass der Spediteur des Lagerhauses noch am gleichen Tag ein Fax von der Verkäuferpartei (vertreten durch Vertraute von Alexander Falk) erhalten solle. Darin werde die Aufforderung stehen, die Unterlagen ausschliesslich den Käufern auszuhändigen.
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Wäre die Faxmitteilung eingetroffen, wären die Ermittlungsarbeiten zu Ende gewesen. Es musste auf irgendeine Art und Weise verhindert werden, dass der Brief des Verkäufers beim Spediteur ankam. Wie von Geisterhand gesteuert, spuckte das Faxgerät des Hamburger Spediteurs an diesem Tag nur noch weisse Blätter aus. Ein Mitarbeiter Rudins rief in der Spedition an und erklärte, er wolle die ganze Zeit ein Fax senden, aber es gehe nicht. Der mittlerweile verzweifelte Spediteur teilte ihm mit, dass er noch ein zweites Faxgerät habe, und musste daraufhin mit ansehen, wie auch dieses Gerät wenig später am laufenden Band weisse Blätter auswarf.
Irgendwo in Deutschland sendeten zwei anonymisierte Faxgeräte an diesem Nachmittag unermüdlich eine Endlosschleife von vier sauber aneinander geklebten, blütenweissen DIN-A4-Blättern Richtung Hamburg.
So kam es, dass der Brief des Käufers an diesem Tag nicht durchkam und die Akten unangetastet blieben. Die Mitarbeiter Rudins fuhren noch am gleichen Tag in die Spedition, stellten rund 800 Aktenordner sicher und brachten diese in einer eigens angemieteten Wohnung unter.
Es stellte sich die Frage, wie die Akten auf Dauer gesichert werden konnten, weil der Verkauf der Firma noch immer die Herausgabe der Akten bedeutet hätte. Man ging unkonventionell zur Sache. Gegen 15 000 Euro willigte ein Kopierladenbesitzer ein, seinen kompletten Laden für ein ganzes Wochenende zu vermieten. Gleichzeitig wurden zwölf Studierende aus dem nahe gelegenen Studiensekretariat angeheuert. Zum Erstaunen der dortigen Sekretärin wurde ihr auf die Frage nach den notwendigen Qualifikationen der Hilfskräfte nur ein Kriterium genannt: Sie sollten der deutschen Sprache nicht mächtig sein. Generalstabsmässig eingeteilt in drei Schichten wurde gearbeitet. Während ein Trupp damit beschäftigt war, alle Papiere zu entklammern und aus ihrer Bindung zu befreien, kopierten andere einzelne Blätter.
Via Container wurden im Anschluss die Unterlagen nach Zürich zur wochenlangen Sichtung weitergeleitet. Dort fanden Rudins Leute das entscheidende Protokoll des «Kick-off-Meetings», in dem die Umsatzmanipulation durch Alexander Falk und Konsorten bei der Ision, einer Distefora-Tochter, dokumentiert waren. Dies führte
letztlich zur Verhaftung der Akteure.
Sandra Willmeroth: Der 800-Millionen-Jackpot.
Alexander Falk und der Fall Distefora.
Orell Füssli Verlag, um 180 Seiten, Fr. 34.80.
Erscheint Mitte Januar.