Sie sind die Methusalems der Firmenwelt: Familienunternehmen wie der japanische Tempelbauer Kongo Gumi, das französische Weingut Château de Goulaine oder der italienische Glasbläser Barovier & Toso. Zum Teil über 1000 Jahre alt, werden sie heute in der zwanzigsten, dreissigsten, ja vierzigsten Generation geführt. Ihre Namen finden sich auf der Liste der 100 ältesten Familienunternehmen der Welt, die das US-Magazin «Family Business» unlängst veröffentlicht hat.

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In dieser Aufstellung vertreten sind auch zwei Schweizer Unternehmen. Die Genfer Privatbank Lombard Odier wurde 1798 gegründet und belegt damit Rang 97 unter den weltweit ältesten Gesellschaften. Allerdings hat sich das noble Geldhaus inzwischen in die Grösse geflüchtet und mit dem einstigen Konkurrenten Darier Hentsch zur LODH fusioniert. Der im Jahr 1552 gegründete Weinproduzent Fonjallaz aus Epesses zählt sogar zu den 20 ältesten Familienunternehmen (siehe Artikel zum Thema «Das älteste Unternehmen der Schweiz: 452 Jahre Wein»).

Meist sind es kleinere Unternehmen, die auf eine so lange Geschichte zurückblicken, darunter viele Weingüter oder handwerkliche Betriebe wie Goldschmiede oder Glasbläser. Ihren Chefs gelang es über Generationen, die für Familienbetriebe typischen Probleme etwa bei der Nachfolge zu lösen. «Der Vater erstellts, der Sohn erhälts, den Enkeln zerfällts» – dieses Sprichwort gilt weder für den italienischen Waffenbauer Beretta noch für die in Hamburg ansässige Berenberg Bank, die vor 414 Jahren gegründet wurde. «Eine solch lange Lebensdauer ist nicht nur für Familienunternehmen, sondern für Unternehmen allgemein höchst unwahrscheinlich», urteilt Professor Fritz B. Simon von der Universität Witten/Herdecke. Im Schnitt würden Firmen nur 30 Jahre alt. Das älteste Unternehmen der Welt, die japanische Kongo Gumi, hat dagegen das 48fache Alter auf dem Buckel.

Kongo kam übers Meer, ein reisender Schreiner aus dem koreanischen Königreich Paekche. Der Buddhismus war gerade in Japan angekommen, und Shigemitsu Kongo baute in Osaka einen der ersten Tempel. Das war im Jahr 578. Kongo blieb. Siebenmal wurde der Shitenno-Ji-Tempel seitdem zerstört, fiel immer wieder dem Feuer, dem Krieg und den Taifunen zum Opfer, und jedes Mal halfen die Nachfahren des Handwerkers beim Wiederaufbau. Der Tempel wurde zu einem Symbol des Buddhismus in Japan – und der Handwerksbetrieb Kongo zur ältesten Firma der Welt.

50 Meter vom Seiteneingang des Tempels steht ein Zweckbau mit braun gekachelter Fassade. Im Foyer liegt eine Spitzendecke im Plastik-Schutzbezug auf dem Tisch. Zierdecken gelten in Japan als vornehm. An der Wand hängt eine Stechuhr. Das Zimmer des Chefs liegt im Erdgeschoss, neben der Marketingabteilung, wo die Luft nach kaltem Zigarettenrauch riecht. Das Büro ist mit dunklem Holz getäfelt, kein Sonnenstrahl fällt durch das Milchglasfenster. Eine Grafik mit handgemalten Umsatzprognosen hängt an der Wand. Das Kongo-Gumi-Hauptquartier – ein Ort der Verwaltung, nicht der Geschichte.

Masakazu Kongo ist ein schlaksiger Mann von 55 Jahren. Er trägt einen Nadelstreifenanzug und eine grosse, randlose Brille. Er ist der vierzigste Präsident der Firma, die seine Vorfahren vor 1426 Jahren gegründet haben und die seitdem ununterbrochen der gleichen Familie gehört. Kongo lächelt. «Es gibt gar keinen besonderen Grund, warum unser Unternehmen so alt werden konnte», sagt er. Kongo ist Kaufmann, sucht Erklärungen in Zahlen und nicht in der Philosophie. «Aber wir haben uns immer auf unser Kerngeschäft konzentriert und nie Golfplätze oder so gebaut.» Kongo Gumi sollte nie an die Börse, plante keine internationale Expansion und hat noch nie einen Konkurrenten übernommen. Sie haben einfach immer weitergemacht wie gewohnt. Vielleicht ist Bescheidenheit das Erfolgsrezept.

Am Stadtrand liegt die Fabrik, eine schlichte Halle aus Stahlträgern und Wellblech. Seit Anfang Mai sitzt hier auch die Designabteilung, die in die Tochterfirma Kongo Gumi Engineering ausgegliedert wurde. Die Theorien von schlankem Management und schlanker Produktion sind inzwischen auch bei der ältesten Firma der Welt angekommen. In der Produktionshalle liegt gestapeltes Zypressenholz aus Laos. Es ist so still, dass man das Knistern der Neonröhren hören kann. Jedes Bauteil wird zunächst am Schreibtisch gezeichnet. Dann malen die Arbeiter eine Holzschablone in Originalgrösse und schnitzen nach der Vorlage die dicken Baumstämme zu Säulen, Stützbalken, Gauben. «Die Technik des Tempelbaus ist über die Jahrtausende die gleiche geblieben», sagt Geschäftsführer Tooru Miura, der vor 37 Jahren als Arbeiter bei Kongo Gumi angefangen hat. Die meisten Bauteile werden im Werk für jeden Tempel speziell vorgefertigt und müssen auf der Baustelle nur noch zusammengesteckt werden. Eine Bauweise, bei der kaum Nägel verwendet werden.

Masanori Yamauchi schnitzt eine Dachverzierung für die Renovierung des Tokurin-Ji-Tempels in der Präfektur Tottri. Im vergangenen Jahr hat der 27-Jährige einen Preis gewonnen. Bei einem landesweiten Schreinerwettbewerb schaffte er es, von einer amerikanischen Gelbzeder ein zwei Meter langes Stück Hobelspan zu ziehen. Es war nur sechs Mikrometer dick. Doch Kunstfertigkeit allein zählt nicht mehr, und inzwischen spürt auch die älteste Firma der Welt die Krisenzyklen der Wirtschaft. Früher spendeten die Menschen umso mehr Geld, je schlechter die Zeiten waren, und die japanischen Tempel und Schreine hatten prall gefüllte Kassen. «Inzwischen sparen die Leute um jeden Preis», sagt Kongo. Er will nicht verbittert klingen. Aber heute zählen weder Geschichte noch persönliche Beziehungen. «Wir gelten heute als ein einfaches Bauunternehmen ohne Charakter», sagt Kongo. Seine Stimme klingt jetzt sehr leise. Es ist die Diktatur der Zahlen. Zweimal stand die Firma am Abgrund. Zuerst vor dem Zweiten Weltkrieg, als Kriegsschiffe wichtiger waren als Orte von Religion und Spiritualität. Aber dann zerstörte ein Sturm die fünfstöckige Pagode im Shitenno-Ji-Tempel, und es wurden wieder erfahrene Schreiner gebraucht. «Damals hat uns der Taifun gerettet», sagt Kongo. Während des Krieges ordnete Kongos Grossmutter den Bau von Särgen an, was der Firma zumindest ein sicheres Auskommen bot. Sie war die einzige Frau, die bisher am Steuer des traditionsreichen Familienbetriebs stand. «Sie gehört zu den Helden der Familie», sagt Kongo.

Er ist kein schwacher Mann, aber 14 Jahrhunderte Familien- und Firmentradition drücken auf seine Schultern. «Manchmal wünsche ich mir, die Firma wäre nicht so alt. Dann stünde ich nicht so unter Druck», sagt er. Er war der einzige Sohn der Familie. Damit stand immer fest, dass er später die Firma führen müsse, dass eines Tages sein Name auf der langen Schriftrolle stehen wird, auf der seit Jahrhunderten die Oberhäupter der Kongo-Familie aufgeschrieben werden. Jeder blieb durchschnittlich 35 Jahre im Amt. Anders als bei den meisten Familienunternehmen in Japan wählt der Betrieb stets den besten Sohn aus und gibt das Amt nicht einfach an den Erstgeborenen weiter.

Kongo träumte von einem anderen Leben. Als er zehn Jahre alt war und Japan sich vom Weltkrieg erholte, fuhr sein Onkel auf Geschäftsreise nach Deutschland. «Was soll ich dir mitbringen?», fragte er. «Eine Modelleisenbahn», antwortete der Junge. Der Onkel kam mit einem Fleischmann-Set zurück und erfüllte dem kleinen Kongo einen Traum. Kongo liebte Eisenbahnen. Lokomotivführer konnte er aber nicht werden. Als Jugendlicher wollte er den Himmel erobern: Fallschirmspringen. «Zu gefährlich», sagten die Eltern. «Du darfst nicht jung sterben!» Jemand musste die Firma führen. Kongo lebte die Jugend eines Thronfolgers. Seine Eltern schickten ihn nach Kalifornien, zum Studium der Architektur und Ökonomie. Er kehrte nach acht Jahren zurück. Es war ein Samstag. Zwei Tage später war sein erster Arbeitstag. Der Vater hatte entschieden, Kongo

müsse als Arbeiter anfangen. Er sammelte den Müll auf und grub Löcher, ohne sich zu beschweren. Trotzdem eine Erfahrung, die er seinen beiden Töchtern Miwa (20) und Mizuki (16) ersparen möchte. Eine von ihnen soll das Geschäft fortführen, vielleicht auch beide. Vor zwei Jahren übernahm er die Firmenleitung, mitten in der zweiten grossen Krise. 2003 betrug der Umsatz nur noch 102 Millionen Franken; seit 1998 sind 35 Prozent des Geschäfts weggebrochen. Japans Wirtschaft strauchelt, das Bedürfnis der Japaner nach Spiritualität ist geschwunden. Es werden nur noch wenige neue Tempel und Schreine gebaut.

Kongo weiss noch nicht genau, wie er die Firma retten kann. «Japaner mögen Markennamen», sagt Kongo, «wir wollen so was wie Gucci für Tempel werden.» Die Mönche sollen stolz darauf sein, einen Tempel von Kongo Gumi erbaut zu bekommen. Am vergangenen Neujahrstag besuchte Kongo den Tenmangu-Schrein, den sein Ururgrossvater gebaut hatte. Er kaufte ein Glückstäfelchen aus Holz, das er an die Bittwand an der Seite des Gebäudes hängte. «Der Firma viel Glück», so die Inschrift.