Die Bandbreite der Einschätzungen von Ferdinand Hirsig ist gross: Sie reicht von «Hoffnungsträger mit Lädeli-Vision» bis zum «Totengräber der kleinen Lebensmitteldetaillisten». Doch solche Pauschalurteile werden dem Volg-Chef nicht gerecht.

Er sieht sich selber als Händler, der den Detailhandel im Blut hat. «Kaum bin ich 30 Sekunden in einem Laden, kann ich beurteilen, ob dieses Geschäft funktioniert so wie ein spezialisierter Ingenieur sofort eine Brücke einschätzen kann.»

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Seine Lieblingsmusik ist die «Kassenmusik». Der Detailhandel spielt sich an der Front ab, davon ist er überzeugt. Pro Jahr besucht er unangemeldet 100 Volg-Läden. Das habe bei ihm nichts mit Kontrolle zu tun. «Ich muss wissen, ob sich das, was wir am Schreibtisch verbrechen, auch in der Praxis umsetzen lässt.» Deshalb sind ihm diese Ladenbesuche auch so wichtig.

Hirsig fühlt sich nicht als Manager oder Financier. Er möchte Volg so führen, wie er ein eigenes Geschäft leiten würde. Von externen Beratern hält er gar nichts. Ein Beratungsunternehmen wie McKinsey würde er nie anstellen. «Das ist doch unsere Aufgabe. Vom Handel verstehen wir doch selber am meisten.» Höchstens im IT-Bereich oder in Rechtsfragen würde er Support von aussen akzeptieren.

Immer wieder loben

Bei seinen Ladenbesuchen würde er nie etwas kritisieren, sondern nur loben. Der Volg-Chef setzt auf die Kraft des positiven Denkens. «Aber das hat nichts mit Esoterik zu tun», betont er. «Ich sehe Möglichkeiten statt Schwierigkeiten und arbeite lösungsorientiert. Ein Unternehmensziel, das für alle Mitarbeitenden bei Volg gilt.» Die Erfahrungen, die er an der Front macht, diskutiert er später mit seinem Kader.

Die positive Haltung zieht sich durch seinen ganzen Führungsstil. Das bestätigen Mitarbeitende, die eng mit ihm zusammenarbeiten wie Erwin Stöckli, der Leiter Logistik, Informatik und Dienste, oder die Sekretärin Doris Elsässer.

Doch positives Denken bedeutet nicht, dass sich die Mitarbeitenden zurücklehnen können. Im Gegenteil: Stöckli und Elsässer erwähnen beide die anspruchsvolle Seite ihres Vorgesetzten: «Er fordert eine hohe Leistung, und der Termindruck ist gross. Er ist schnell», sagt Hirsigs Sekretärin Elsässer, und Kadermann Stöckli meint: «Er verfolgt seine Strategie pickelhart und duldet keine Halbheiten. Seine Taktvorgabe ist sehr schnell, und er kann auch ungeduldig werden.» Doch beide betonen, dass sie gerne unter diesem Druck arbeiten.

Hirsig setzt auf vertrauliche Einzelgespräche mit seinen Kaderleuten. Alle 14 Tage lädt er seine direkt Unterstellten zum Einzelgespräch ein. Dabei wird kein Protokoll geführt. Als Auftakt müssen seine Kadermänner immer etwas Positives melden, sei es aus dem geschäftlichen oder dem persönlichen Bereich. Themen wie Wetter und Konjunktur sind dabei Tabu.

Die Topkader müssen ihm auch mitteilen, wo sie sich auf der Skala zwischen 1 bis 10 befinden. Dabei ist 5 als Mittelwert verboten. «Der Schweizer gibt sich nie eine 10. Es ist ihm suspekt, ganz zufrieden zu sein.» Und wo steht Hirsig auf der Wohlfühlskala? «Zwischen 9 bis 10, je nach dem, wie der Artikel in der wird,» lacht er. Im Mitarbeitergespräch will Hirsig aber auch wissen, wo der Schuh drückt. Erst dann werden die geschäftlichen Traktanden behandelt. Der Chef lässt seinen Kaderleuten dann meist Zeit bis zum nächsten Treffen, um die Beschlüsse umzusetzen. «Das gibt Ruhe und vor allem auch die Möglichkeit, etwas an der Situation zu verbessern.»

Interne Information steht für Hirsig zuoberst auf der Prioritätenliste: Alle 14 Tage gibt es je eine Geschäftsleitungssitzung und eine Sitzung mit dem oberen Kader. Dabei herrscht für die rund 20 Kaderleute Teilnahmezwang. «Damit alle immer genau informiert sind.» Doch nicht nur seine Kaderleute, sondern alle Mitarbeitenden will er informieren. So werden im November jeweils alle Mitarbeitenden zu einem geselligen Abend eingeladen. Bei 1700 Beschäftigten verteilt sich das auf sechs verschiedene Veranstaltungen, die immer von Hirsig geleitet werden. Und für die er im November auch seine freien Samstage investiert. Hier orientiert er sie über das laufende Geschäftsjahr, aber auch über die Unternehmensziele. «Die Einladung soll auch meine Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden ausdrücken.»

Hirsigs unverblümte Kommunikation kann auch vor den Kopf stossen. Als er die über 1100 Lädelibesitzer nach dem Rückzug der deutschen Rewe zu Orientierungsanlässen einlud und bekannt gab, dass Volg nur an Selbstständigen interessiert sei, die einen bestimmten Abladewert beziehen, waren manche selbstständige Detaillisten schockiert. «Ich bin nicht der Retter des kleinflächigen Detailhandels und wollte klaren Wein einschenken.»

Bisher haben 193 Läden zu Volg gewechselt. Ein Drittel davon werden Volg-Läden, die anderen werden als Selbstständige von Volg beliefert. Bis Ende 2006 dürften es maximal 300 sein, glaubt Hirsig. Auch an solchen Anlässen tritt Hirsig immer selber auf: «Wichtige Auftritte kann ich nicht delegieren. Denn eine solche Akquisition macht Volg nicht alle Tage.»

Ein Chef zum Anfassen

Für Kadermann Stöckli ist Hirsig «ein Chef zum Anfassen». Die Tür zum Chefbüro steht für alle offen. Seine rund 150 Lehrlinge begrüsst Hirsig selber und feiert mit ihnen auch den Lehrabschluss. Trotzdem wahrt er Distanz. Privates gibt er selbst eng vertrauten Kadermännern kaum preis und eigene Schwächen lässt er nicht zu, wie Mitarbeitende erzählen.

Der Teamgeist im Kader wird speziell an vier zweitägigen Meetings pro Jahr gefördert. Die laufen jeweils unter einem bestimmten Thema: Da müssen seine Kaderleute beispielsweise den Detailhandel in zehn Jahren darstellen mit Holzklötzli, farbigem Papier und WC-Rollen wohlgemerkt. «Die stöhnen jeweils am Anfang, danach aber sind sie begeistert», erzählt er.

Hirsig hält sich hauptsächlich am Volg-Firmensitz in Winterthur auf, wo sich auch die Verteilzentrale befindet. Einen Tag pro Woche verbringt er im Mutterhaus Fenaco in Bern. Denn er sitzt auch in der Geschäftsleitung dieser für die Landwirtschaft wichtigen Unternehmensgruppe. Ab nächstem Jahr wird er zusätzlich zur Volg-Gruppe auch die von Fenaco neu geschaffene Division Detailhandel mit 3000 Mitarbeitenden managen: Ein weiterer Aufstieg für den anpackenden Händler.

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Ferdinand Hirsigs Führungsprinzipien

1. Vorbild sein.

2. Die 80-20 Regel. Eine Kultur pflegen, die auch Fehler zulässt. 80% sind gut, zu 20% können Fehler passieren.

3. Es braucht Querdenker, um weiterzukommen, auch das eigene Querdenken ist gefragt.

4. Offene und ehrliche Kommunikation.

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Zur Person

Ferdindand Hirsig (49) wuchs in einer Solothurner Detailhandelsfamilie auf. In seiner Kindheit drehte sich am Familientisch fast alles um Kunden, Öffnungszeiten und Reklamationen. Nach dem Tod seines Vaters und dem BWL-Studium übernahm er das Hirsig Spielwarengeschäft. Aus familienpolitischen Gründen wurde es verkauft. Hirsig wechselte zu Coop und wurde 2001 Chef der Volg-Gruppe. Seit 2004 gehört er auch der Geschäftsleitung der Muttergesellschaft Fenaco an. Er wohnt mit seiner Frau, die malt, und seinen beiden erwachsenen Kindern in Bellach SO.