Es war wieder ein Prestigegewinn für Ringiers Chefpublizisten Frank A. Meyer: Das Foto, auf dem er mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, EU-Kommissar Günter Verheugen, Bundespräsident Samuel Schmid und Bundesrat Pascal Couchepin posiert, rauschte durch den internationalen Blätterwald. Nach 2003 war es Meyer bereits zum zweiten Mal gelungen, den deutschen Kanzler zum Filmfestival nach Locarno einzuladen.
Was die Kameras nicht sahen: Als Meyer am Abend seine illustre Gästeschar auf die Piazza an die VIP-Plätze begleitete, kam es zu einem Durcheinander, denn auf den Ehrenplätzen hatten sich bereits Tessiner Lokalgrössen niedergelassen. Unter den Augen des über 6000-köpfigen, amüsierten Publikums dauerte es eine Weile, bis diese umgesetzt waren und die Regierungschefs auf ihren Plätzen sassen. Dreimal musste Bundesrat Couchepin umplatziert werden, bis er den Film geniessen konnte. «Es war das reinste Chaos», sagt ein Platzanweiser. Dabei hat-ten die langjährigen Freunde Marco Solari als Festivalpräsident und Frank A. Meyer als Gastgeber den öffentlichen Auftritt des Bundeskanzlers minutiös geplant.
Unvorhergesehenes und leicht Chaotisches hat in Locarno Tradition, ebenso wie Frank A. Meyers illustres Dinner, das jeweils, von den Medien abgeschirmt, unter einem Zeltdach im Park des Fünfsternehotels Castello del Sole in Ascona stattfindet.
Ein Event, der dank dem anschliessenden öffentlichen Auftritt der illustren Gäste auf der Piazza dem zunehmend von Rucksacktouristen geprägten Festival etwas Glamour verleiht.
Den Auftakt zum bundesrätlichen Reigen in Locarno gab 1974 Willi Ritschard. Er kam auf Einladung von Frank A. Meyer, Mitgründer und damals Mitinhaber des Journalisten- und PR-Büros Cortesi in Biel, das im Auftrag von Verkehrsdirektor Solari Ideen ausheckte, um die Ferienregion Tessin besser zu verkaufen.
Bald folgten andere Bundesräte wie Arnold Koller, Pierre Aubert, Kaspar Villiger, Jean-Pascal Delamuraz, Adolf Ogi, Flavio Cotti sowie in den letzten Jahren auch lückenlos alle Bundespräsidenten. 1993 überraschte Frank A. Meyer gar mit Bundeskanzler Helmut Kohl. Moritz Suter, der zur blühenden Crossair-Zeit Kunden und Geschäftsfreunde nach Locarno einlud und sein Dinner auf einem Schiff feierte, erinnert sich sehr wohl an die inoffizielle Visite des Kanzlers, mit dem er über internationale Luftfahrtabkommen diskutierte.
Auch bekannte Wirtschaftsvertreter waren immer wieder unter den Gästen. Marcel Ospel etwa 2002, als er die Trennung von seiner Ehefrau bekannt gab. Joe Ackermann, damals Generaldirektionspräsident der SKA und heute Chef der Deutschen Bank, freute sich 1997 in Locarno «über Musse und Erfahrungen, die während einer schnurgeraden Bankierkarriere nicht drinliegen».
Eine organisatorische Panne erlebte im Jahr 2000 auch Novartis-Chef Daniel Vasella: Meyer führte ihn zur traditionellen Feier für Kulturministerin Ruth Dreifuss auf den Monte Verità. Als Meyer mit Vasella, Solari sowie Verleger Michael Ringier wie gewohnt als Letzter eintraf, sassen am Ehrentisch Dreifuss und der deutsche Innenminister Otto Schily samt Entourage. Auch der zweite Tisch im Saal war bereits okkupiert, unter anderem von den Fernsehmännern Roger Schawinski und Filippo Leutenegger sowie dem damaligen Nationalrat und heutigen Berner Stapi Alexander Tschäppät. Nicht ganz ohne Schadenfreude beobachteten sie, wie Meyer gute Miene zum bösen Spiel machte, als er sich mit Vasella, Solari und Ringier in einen Nebenraum verziehen musste. Böse Zungen behaupten gar, Ruth Dreifuss verschmitzt lachen gesehen zu haben.
Dass die Pannen meistens gerade dann passieren, wenn sich der Chef persönlich einschaltet, sorgt immer wieder für belustigenden Smalltalk. Etwa als 1997 die Regie beim feierlichen Einzug der illustren Gästeschar auf der Piazza durch Fussvolk aus dem Publikum vereitelt wurde. Als die Prominenz verspätet eintraf, drängten bereits rund 30 Personen auf die reservierten Plätze. In der Dunkelheit liessen sich VIP und Volk nicht mehr unterscheiden; etliche Gäste blieben verdattert stehen. Franz Steinegger, einer der treusten Gäste, nahm der damaligen US-Botschafterin Madeleine Kunin die Sicht. Die hatte ihren VIP-Platz rechtzeitig eingenommen und tadelte den damaligen FDP-Präsidenten entsprechend. Notgedrungen verschaffte Solari den unfreiwilligen Stehgästen Plätze in den Häusern rund um die Piazza.
Zu den Stammgästen zähl-ten lange Jahre auch alt Nationalratspräsident Ulrich Bremi, der inzwischen verstorbene Multiverwaltungsrat David de Pury sowie der Westschweizer Unternehmer André Kudelski. Auch die Migros ist traditionell stark vertreten: Jules Kyburz und Claude Hauser gaben sich mehrmals die Ehre; dieses Jahr war Anton Scherrer zugegen. Und natürlich Michael Ringier, der sich meist im Hintergrund hält. Am spektakulären Fest zum 60. Geburtstag von Frank A. Meyer in Berlin letztes Jahr soll der Verleger von seinem Freund gesagt haben: «FAM ist eine wandelnde Lunte, die immer in der Nähe des Kamins spaziert.»