Euphorie brach aus, als im Mai die bilateralen Verträge mit der EU politisch endlich besiegelt werden konnten. Die Medien feierten den Abschluss als durchschlagenden Erfolg für den Finanzplatz Schweiz, in Bundesbern wollte das gegenseitige Schulterklopfen kein Ende nehmen. Bundespräsident Joseph Deiss sah eine «neue Qualität der gegenseitigen Beziehungen» zwischen der EU und der Schweiz aufziehen, die Schweizerische Bankiervereinigung wusste nun das Bankgeheimnis «in allen wichtigen Dossiers dauerhaft» gewahrt. Ihr Präsident, der Genfer Bankier Pierre Mirabaud, wagte in einem Interview gar die Aussage, dass «das Bankgeheimnis mindestens für die nächsten 15 Jahre betoniert» worden sei.
Eine erschreckende Vision. Denn die Schweizer Banken ducken sich schon viel zu lange hinter das Bankgeheimnis, ja sind in seinem Schutz mollig und träge geworden. Das hat auch Hans J. Bär erkannt. In seiner Autobiografie schreibt er: «Das Bankgeheimnis ist ein defensives Instrument, das die Schweiz vom allgemeinen Wettbewerb verschont und das uns, um ein Churchill-Wort aufzunehmen, ‹fett, aber impotent› macht» (siehe auch BILANZ 3/2004). Von solchen Ansichten will die Geldbranche nichts wissen. Für seine mutigen Worte bezog der Doyen der Privatbankiers massig verbale Haue, sogar aus dem eigenen Haus.
Bekanntlich belebt Konkurrenz das Geschäft – und eine solche Belebung hätte manche Schweizer Bank durchaus nötig. Auf den ersten Blick scheint alles bestens bestellt zu sein: Noch immer fliessen, wenn auch nicht mehr so üppig wie einst, neue Gelder in Helvetiens Bankentresore. Schätzungsweise 3800 Milliarden Franken sind den Instituten zu wertvermehrender Verwaltung anvertraut. Alleine die UBS hält 2133 Milliarden und ist damit der Welt grösster Vermögensverwalter. Überaus stattlich aber auch die 1181 Milliarden, welche die Credit Suisse betreut. Knapp 30 Prozent aller grenzüberschreitenden Anlagegelder liegen hier, womit die Schweiz der wichtigste Finanzplatz ist für die Vermögensverwaltung, etwas nobler Private Banking genannt. In der Königsdisziplin des Bankings haben es die Schweizer zu meisterlicher Fähigkeit gebracht.
Zumindest war das einst so. Denn eine Studie des Swiss Banking Institute der Universität Zürich zeigt auf, dass Schweizer Geldhäuser ausgerechnet in ihrem Kerngeschäft, dem Private Banking, in den letzten Jahre an Boden verloren haben (siehe «Der Ruf ist schnell ruiniert»). Die Untersuchung hat zu Tage gefördert, dass ausländische Häuser oft nicht nur ihre Kosten besser im Griff haben oder höhere Renditen erwirtschaften, sondern mittelfristig auch eine bessere Performance erreichen.
Die Studie löste in der Bankenbranche Entrüstung aus. Geärgert hat sich mancher Bankier ob der vom Institut errechneten Rendite, welche die Schweizer Banken im Durchschnitt über fünf Jahre erzielt haben sollen: Mit magersten 0,5 Prozent erreichten diese gerade mal ein Fünftel jener Performance, die von US-Instituten abgeliefert wurde. Der Unmut ist deshalb so gross, weil die einzelnen Banken ihre Performancezahlen strikt unter Verschluss halten. Zwar wurden bereits 1997 die so genannten Swiss Performance Presentation Standards (SPPS) eingeführt und von der Bankiervereinigung für eine «vollständige Offenlegung und faire Präsentation der Performance» wärmstens empfohlen. Die SPPS haben sich im institutionellen Geschäft durchgesetzt: Kein Institutioneller gibt einer Bank heute noch Geld in die Hand, ohne vorher ihre Leistungsdaten gesehen zu haben. Im Privatkundengeschäft dagegen herrscht immer noch eisernes Schweigen.
«Wir haben uns lange den Kopf zerbrochen, wie wir die Performance messen wollen», sagt Teodoro Cocca, der für die Studie verantwortlich zeichnet. Am Ende wurden die Renditen der von den Banken angebotenen Anlagefonds verglichen. «Die von einer Bank definierte Anlagestrategie wird firmenweit angewandt, also nicht nur für Vermögensverwaltungskunden, sondern auch im Fondsgeschäft», begründet Cocca. Doch bei den Banken ist diese Messart auf heftige Kritik gestossen. «Fonds sind ein schlechter Gradmesser für die Performance im Private Banking», kritisiert etwa Thomas Sutter, Leiter Kommunikation der Schweizerischen Bankiervereinigung.
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Ein erstaunlicher Einwand. Denn wenn ein Geldhaus dem Publikum neue Fonds zum Kauf anbietet, tönt es ganz anders; dann ist die Rede vom grossen Know-how, von Kompetenz im Anlagegeschäft und anderem mehr. Doch auch der Vergleich der DWS lässt die Qualität mancher Anlagefonds schweizerischen Zuschnitts in einem trüben Licht erscheinen: Die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank hat die drei bedeutendsten Fonds-Ratings in einem neuen Rating zusammengefasst und damit die Fonds einem Gesundheitscheck unterzogen. Erneut sind die Papiere der Schweizer Anbieter nicht auf den Spitzenrängen zu finden.
Einen eigenen Weg in der Performancemessung ist die Bank Vontobel gegangen. In ihrer Studie «Schweizer Vermögensverwalter vor neuen Herausforderungen» wurden die verwalteten Vermögen der einzelnen Banken um die Neugeldzuflüsse bereinigt und danach die Veränderungen gemessen. Allerdings handelt es sich dabei um ein Heimspiel, weshalb sich kein Vergleich zur internationalen Konkurrenz anstellen lässt. Interessant ist der Einbruch im Jahr 2002 um 18,2 Prozent; dieser ist weitaus kräftiger ausgefallen als das Minus von 4,6 Prozent, das vom Swiss Banking Institute in demselben Jahr bei den Anlagefonds gemessen wurde.
Performance sei nicht alles, eine hochwertige Dienstleistung sei mindestens so wichtig, wehren sich die Banken, auf ihre mittelmässigen Leistungen angesprochen. Teodoro Cocca vom Bankeninstitut merkt zwar an, dass die Auslandbanken auch bei der Qualität der Dienstleistungen aufholten. Dennoch wiesen insbesondere US-Geldhäuser einen weiterhin hohen Nachholbedarf aus. «In diesem Punkt sind die amerikanischen Banken immer noch etwa fünf Jahre hinter den Schweizer Instituten zurück», meint Cocca.
Bei den Vermögensverwaltungskunden, gerade bei jüngeren, findet jedoch ein Umdenken statt. Waren früher Bankgeheimnis, politische Stabilität oder perfekte Dienstleistungen ausschlaggebend für die Eröffnung eines Kontos in der Schweiz, ist immer mehr eine überdurchschnittliche Performance gesucht. Thomas Sutter von der Bankiervereinigung: «Neues Geld hat heute andere Bedürfnisse als altes Geld. Für die neue Generation ausländischer Investoren haben Vertrauen und Diskretion zwar einen hohen Stellenwert, doch ebenso wichtig ist die Performance.»
Die Schweizer Banken müssen umdenken. Ihre bekannt vorsichtige Anlagepolitik zahlt sich aus in Zeiten, wo es an den Finanzmärkten nicht rund läuft. «In solchen Phasen liefern Schweizer Banken bessere Resultate als ihre aggressiven Konkurrenten», erläutert Edouard Cuendet, stellvertretender Geschäftsführer der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers. Das zeigt sich auch im internationalen Performancevergleich des Jahres 2002 (siehe «Performance 2002» auf Seite 70). Die Kehrseite der Medaille: Sind die Börsen auf Hausse gestimmt und ist Anlage-Know-how gar nicht gross gefragt, hinken die Schweizer mit ihrer Performance der internationalen Konkurrenz hintennach. Die Psychologie des Anlegers allerdings ist so beschaffen, dass er weitaus mehr entgangenen Gewinnen hinterhertrauert als (minimierten) Verlusten.
Nicht der Schweizer Finanzplatz, sondern einige heimische Banken haben ein Imageproblem. Denn für die Auslandbanken hat der Finanzplatz – und da insbesondere das Private Banking – in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen. Grössere Häuser bauen ihre Stellung laufend aus, auch durch Übernahmen von kleinen Schweizer Privatbanken. Alleine in den letzten zwei Jahren wechselten neun Banken für gegen zwei Milliarden Franken den Besitzer, weitere Einkäufe dürften folgen. So ist Louis Bazire, neuer CEO von BNP Paribas Schweiz, «auf der Suche nach einer Akquisition im Private Banking», wie er in einem Interview mit «Finanz und Wirtschaft» sagt.
Um Citibank, JP Morgan und Deutsche Bank ranken sich Gerüchte, dass auch sie auf Brautschau seien. Im Visier haben sie dabei die kleinen, dafür edlen Häuser mit handverlesener Vermögensverwaltungs-Kundschaft. Dazu Claudia Meier, Analystin der Bank Vontobel und Mitverfasserin der Studie über die Schweizer Vermögensverwalter: «Für die nächsten Jahre erwarte ich keine Akquisitionen im grossen Stil. Eher ist mit Übernahmen von Private-Banking-Boutiquen zu rechnen.»
Martin Maurer, Geschäftsführer des Verbandes der Auslandbanken in der Schweiz, wundert sich nicht ob des Akquisitionshungers ausländischer Geldhäuser. «Das Private Banking bietet höhere Margen als das Retail-Banking, weil die Risiken geringer sind.» Maurer macht zwar klar, dass im Schweizer Private Banking keine grossen Wachstumsraten mehr winken. Dennoch können die ausländischen Banken in diesem Segment weit überdurchschnittliche Zuwächse ausweisen. Martin Maurer liefert den Grund: «Im klassischen Private Banking schweizerischen Zuschnitts sind die ausländischen Banken inzwischen besser positioniert als die Schweizer Institute selbst. Denn die Ausländer sind beweglicher und innovativer als
ihre inländische Konkurrenz.»
Immer mehr unter Druck geraten die Schweizer Banken auch von der Kostenseite her. Alleine schon der Standort bringt einen im Vergleich zu den umliegenden Ländern massiv höheren Kostenblock mit sich; daran hat man sich mittlerweile gewöhnt. Zunehmend Sorgen bereiten der Branche dagegen die um sich greifende Regulierungswut rund um den Finanzplatz. Bei Berner Ämtern und parlamentarischen Stellen liegen Dutzende von Dossiers herum, die allesamt neue Regeln zum Inhalt haben. Gemäss einer Umfrage der Eidgenössischen Bankenkommission stellt sich der Aufwand der Banken für interne und externe Revision sowie für andere bei der Einhaltung der Vorschriften anfallenden Kosten auf 1,1 Prozent des Aufwandes, entsprechend 416 Millionen Franken jährlich. Für Grossbanken ein tragbarer Posten; die kleineren Institute jedoch ächzen unter dieser Last, die bei ihnen bis auf fünf Prozent des Gesamtaufwands steigen kann.
Ein Ende der Regulations- und damit Kostenwelle ist nicht abzusehen. Urs Roth, Geschäftsleitungsvorsitzender der Schweizerischen Bankiervereinigung, warnt vor einer drohenden «Überregulierung des Finanzplatzes Schweiz». Dem widerspricht Peter Friedli, CEO der Friedli Corporate Finance. «Der Finanzplatz ist nicht über-, sondern falsch reguliert.» Der Pionier des Schweizer Wagniskapitalgeschäfts weiter: «Zwar tragen uns die Regulierungen hohe Kosten ein, doch bringen sie nicht den vollen Effekt eines effizienten Finanzplatzes. Denn die Regeln werden von einigen wenigen gemacht und nicht von allen Marktteilnehmern.»
Einen drückenden Fixkostenblock buckeln viele Banken auch in einem anderen Bereich. Claudia Meier von der Bank Vontobel: «Eine grosse Herausforderung im Private Banking ist die Informationstechnologie. Viele kleine, aber auch einige mittelgrosse Institute sind da auf Kooperationen angewiesen.» Wo es langgeht, hat die Kooperation der Bank Vontobel mit den Raiffeisen-Banken aufgezeigt. Die Zürcher Privatbank übernimmt für die Raiffeisen-Gruppe das Produkt- und das Portfolio-Management im Anlagegeschäft. Später soll die gesamte Abwicklung über die Infrastruktur der Vontobel laufen. Die Raiffeisen-Institute beteiligen sich im Gegenzug mit 12,5 Prozent an Vontobel.
Die Liaison hat in der Branche für Kopfschütteln gesorgt. Hier die distinguierte Vontobel mit ihren Vermögensverwaltungskunden, dort die Raiffeisen-Banken, die am Schalter Hypotheken und Sparbücher verkaufen. Nur ist diese Notgemeinschaft zukunftsweisend. Dieser Tage wurde bereits eine weitere Kooperation angekündigt: Die kleine, aber piekfeine Privatbank Maerki Baumann, die sich den Ruf als innovativer IT-Entwickler erworben hat, übernahm auf Anfang Juni von der Zuger Kantonalbank deren Wertschriftenverarbeitung. Gleichzeitig führt sie für die Zuger Wertpapiertransaktionen durch und besorgt Aktivitäten im Portfoliomanagement. Die Branche hat sich an Kooperationen ungleicher Partner zu gewöhnen, Outsourcing liegt im Trend. Nur über Zweckbündnisse können sich mittelgrosse Institute im härter werdenden Kampf um Kundengelder behaupten.
«Das Schweizer Private Banking geniesst immer noch hohes Ansehen. Wir müssen deshalb erst recht für unsere Standortvorteile kämpfen», gibt Edouard Cuendet von der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers die Strategie vor. Was Cuendet übersieht: Die Standortvorteile, die den heimischen Banken über Jahrzehnte Wohlstand beschert haben, sind am Erodieren. Den berühmten «safe heaven» braucht es immer weniger, je mehr sich die Welt demokratisiert. Auch das Argument der politischen Stabilität verliert an Zugkraft. Sogar der Glanz des Schweizerfrankens ist angesichts eines starken Euro am Verblassen.
Vorderhand Bestand hat das Bankgeheimnis. Bis dieses endgültig auf der Strecke bleibt – und dies könnte rascher geschehen, als Bankier Pierre Mirabaud meint –, haben die Schweizer Banken eine Feuerpause erhalten. Nun gilt es, in der Vermögensverwaltung zu alter Stärke zurückzufinden. Die Schlacht wird zunehmend ausserhalb der Schweiz geschlagen. «Das Private Banking bleibt ein Wachstumsmarkt. Allerdings zeigt das Offshoregeschäft mehr Wachstum als das Private Banking im Inland», sagt Thomas Sutter von der Bankiervereinigung. Vor allem Asien lockt mit hohen Zuwächsen. UBS und Credit Suisse, aber auch mittlere Institute wollen sich in dieser Region einen grossen Bissen vom Private-Banking-Kuchen holen. Nur geniessen die Schweizer Häuser dort nicht den Artenschutz, der ihnen im Heimmarkt zuteil wird.
Bis im Jahr 2010, so besagt eine Studie von Accenture, werden zwölf Prozent der Banken vom Markt verschwunden sein, und zwar nicht nur in den Bereichen Regionalbanken und Sparkassen, sondern auch im Private Banking. Der internationale Druck wird zunehmen, die Kosten weiter steigen, die Margen schrumpfen. Für künftige Prosperität reicht Volumenwachstum alleine nicht mehr aus. Neben Performance und Dienstleistungsqualität wird «die Produktinnovation im Banking entscheidend sein», meinte Stefan Hoffmann, volkswirtschaftlicher Berater der Schweizerischen Bankiervereinigung, an einem Anlass zur Zukunft des Finanzplatzes Schweiz. Allerdings stimme ihn gerade dieser Punkt nachdenklich: «Im Banking gelten wir Schweizer zwar als grundsolide. Doch in Sachen Produktinnovation zählen wir nicht zu den Weltmeistern.»