Kein Wealth Management Report, der Singapur nicht als Bankenplatz der Zukunft hochjubelt, kein Artikel über das Private Banking in der Schweiz, welcher der angeblich welkenden Schönheit des hiesigen Geschäfts nicht die blühende Pracht des fernöstlichen Finanzmarkts entgegenstellt. Manchmal gehen die Relationen verloren, deshalb ist ein etwas nüchterner Blick vonnöten.
Im Jahre 2003 wurden in Singapur Vermögen von 465,2 Mrd Dollar verwaltet, verglichen mit 2600 Mrd Dollar in der Schweiz. International gesehen gehört Singapur also noch nicht zu den grössten Finanzplätzen. Beeindruckend sind jedoch die Wachstumsraten. Das Private-Banking-Geschäft in Singapur nahm im Jahre 2003 um 122 Mrd Dollar oder 35% zu. Zum Vergleich: In der Schweiz hätte diese Zunahme einem Wachstum von knapp 5% entsprochen.
Politischer Wille und Taten
Was Singapur interessant macht, ist die politische Priorität, welche die Förderung des Vermögensverwaltungsgeschäfts geniesst. 1998 erliessen die Regierung und die Monetary Authority of Singapore verschiedene Massnahmen, so etwa ein staatliches Startkapital für die Entwicklung der Fondsindustrie, eine Senkung des Mindestkapitals für Fonds, Steuererleichterungen für ausländische Vermögensverwalter und eine transparente Regulierung. Im Jahre 2000 folgte eine zweite Initiative zur Förderung des Kapitalmarkts und des Börsenplatzes. Damit verbesserten sich die Rahmenbedingungen gegenüber den tradierten Finanzzentren. Bankenvertreter aus der Schweiz bestätigten, dass wegen der hiesigen Stempelsteuer Kunden nach Singapur gingen. Auch flossen als Folge der EU-Zahlstellensteuer Kundengelder von Europa nach Singapur, wie Presseberichte vermuteten.
Die weiteren Stärken sind die stabilen makroökonomischen Rahmenbedingungen, die relative politische Stabilität in einer politisch und wirtschaftlich nach wie vor sehr unsicheren Gegend sowie die geografische Lage und kulturelle Verbundenheit mit den grossen fernöstlichen Wachstumsmärkten. Hier sind klare Parallelen zur Schweiz zu erkennen, welche mit ähnlichen Faktoren ihr Erfolgsmodell aufbauen konnte.
Abhängigkeit und Instabilität
Der Stadtstaat hat auch Schwächen. Das Land ist bezüglich Energie-, Wasser- und Rohstoffversorgung stark von den umliegenden, politisch grösstenteils sehr instabilen Ländern abhängig. Politische Unruhen in Ostasien würden eher zu einem Vermögenstransfer nach Europa führen, als Singapur von einem «Safe haven»-Effekt profitieren zu lassen. Aber auch ohne Krisen ist die Entwicklung kein Selbstläufer: Mit Hongkong besteht ein grosser und wichtiger Finanzmarkt, der nahe am Wachstumsmarkt China liegt, und auch Kuala Lumpur will als aufstrebendes regionales Zentrum seine Kostenvorteile in die Waagschale werfen.
Das hoch interventionistische Modell Singapurs hat seine Feuertaufe noch nicht bestanden. Die Zukunft des Modells ist ungewiss viele sehen hier Parallelen zu Japan. Überdies ist es unsicher, ob der Finanzplatz sich bei einem Interessenskonflikt gegen andere Sektoren durchsetzen kann.
Lage und Know-how
Singapur kann auf hervorragende Kenntnisse der asiatischen Kapitalmärkte aufbauen. 75% der Aktieninvestitionen und 55% der Investitionen in Obligationen von diskretionär verwalteten Fonds fallen auf asiatische Gesellschaften und Schuldner. Dabei stammen nur 40% der investierten Vermögen aus der Region. Die institutionellen Anleger und Fondsgesellschaften aus Europa und den USA sind schon heute stark in bzw. über Singapur tätig. Dies wird in Zukunft noch vermehrt der Fall sein Finanzmarktexperten gehen davon aus, dass angesichts der demografischen Entwicklung in der Welt Investitionen in Aktien ostasiatischer Unternehmen besonders hohe Renditen abwerfen. Sie werden daher ein hohes Investitionsvolumen, vor allem aber auch den institutionellen Anleger anziehen. Wissen und Zugang zu diesen Märkten und in Zukunft zum noch geschlossenen indischen Markt werden ein wichtiges Plus für die Finanzmärkte der Region sein.
Die zweite Chance für den Finanzsektor des Stadtstaats ist das hohe technologische Niveau in den Bereichen Telekommunikation und biotechnologische Entwicklungen. Das Know-how dieser Sektoren wird für Prozesse und Sicherheitsfragen an Bedeutung gewinnen. Synergien zwischen dem Finanzsektor und diesen Sektoren können für die Wettbewerbsposition grosse Bedeutung haben.
Der Stadtstaat wird von den Regulatoren nicht übersehen
Will der Finanzplatz international mitreden können, muss er sich auch international positionieren. Zwar werden die Banken konsequent und strikt überwacht. Die vergleichende Studie von Marc Pieth und Gemma Aiolfi (A Comparative Analysis for Systems in Singapore, Switzerland, the UK and the USA, London 2004) zu den Geldwäschereiregelungen in ausgewählten Ländern zeigt Defizite in der Umsetzung der internationalen Empfehlungen auf. Die internationalen Organisationen und deren Wortführer haben gegenüber Singapur bislang eine «Benign neglect»-Haltung eingenommen. Mit dem Wachstum des Finanzplatzes wird auch Singapur stärker in den Fokus dieser Organisationen geraten. Sowohl die OECD als auch die EU werden Singapur nicht weiterhin übersehen können. Es ist kaum anzunehmen, dass die Schweiz und andere Drittländer in einer nächsten Verhandlungsrunde über die EU-Zahlstellensteuer akzeptieren, dass Singapur (oder Finanzzentren wie die Bahamas) unbehelligt bleiben. Vermögenswerte, welche aufgrund der wenig strikten Vorschriften in den Stadtstaat flossen, würden dann wieder abwandern.
Dr. Martin Maurer, Geschäftsführer des Verbandes der Auslandsbanken in der Schweiz, Zürich.
Singapur: SWOT-Analyse in der Übersicht
Stärken
- Kulturelle und geografische Nähe zu Wachstumsmärkten
- Hohes Ausbildungsniveau und Technologie
Chancen
- Nachfrage nach renditestarken Anlagen aus Europa
- Synergie mit Hightech-Sektor Indien
Schwächen
- Konkurrenz von Hongkong und Kuala Lumpur
- Wachstumsmarkt China unsicher
Risiken
- Unklare Zukunft des interventionistischen Modells
- One-Night-Stand-Vermögen sind mobil