Paulina Grnarova lächelt, wenn die üblichen Klischees kommen. Ja, die Leute seien überrascht, wenn sie sage, sie habe Computer Science studiert. Ja, bei Google sei sie eine der wenigen Frauen auf weiter Flur gewesen. Und nein, sie sei kein Nerd, «ich möchte Frauen für Tech begeistern und als Vorbild dienen», sagt Grnarova.

Diese Vorbildrolle kann Paulina Grnarova jetzt mit einer international anerkannten Auszeichnung schmücken. Die Mitgründerin und Chefin des Zürcher Legaltech Deepjudge ist Teil der prestigeträchtigen Liste «30 under 30», die vom deutschsprachigen Ableger des US-amerikanischen Magazins «Forbes» alljährlich veröffentlicht wird.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Nicht mehr coden, sondern führen

Deepjudge kann juristische Dokumente lesen und nach relevanten Informationen filtern. Das erspart Anwälten das Durchforsten von Tausenden von Seiten oder gar Ordnern voller Papier. Zwölf Köpfe zählt das Startup von Grnarova, die aus Nordmazedonien stammt, ihren Master an der ETH Zürich und der EPFL in Lausanne abgeschlossen und mehrere Jahre für Google AI Language gearbeitet hat.

Deepjudge gilt als erstes Spin-off des AI-Centers der ETH Zürich. Für Grnarova sind jetzt unternehmerische Belange prioritär: «Ich code nicht mehr selbst, da ich jetzt als CEO eine andere Rolle einnehme», sagt die 30-jährige Tech-Frau.

10 Frauen unter den 30 Talenten

Grnarova reiht sich ein in eine Schweizer «Forbes»-30-under-30-Liste, die stark von Tech-Enterpreneurs geprägt ist, etwa den Mitgründern des KI-basierten Softwarebeschaffungsunternehmens Archlet, der CEO des Cleantechs Enerdrape oder dem erst 21-jährigen Kryptohändler Dadvan Yousuf.

Insgesamt 10 Frauen und 20 Männer stehen auf der Liste, die offenbar selbst für Profis einiges an Überraschungspotenzial bietet: «Obwohl ich wahrscheinlich 70 Prozent der neuen Schweizer Tech-Startups schon mal unterrichtet, gecoacht oder juriert habe, kenne ich auf der aktuellen 30-under-30-Liste nur zwei Namen oberflächlich», sagt Nicolas Berg, zwölffacher Schweizer Startup-Gründer (Borsalino), Investor (Xing), Startup-Coach und Kenner der Schweizer Jungunternehmerszene.

Tennis, Tiktok, Tonkünstler

Neben jungen Unternehmerinnen und Unternehmern tauchen aber auch Köpfe in der Liste auf, die sich weniger mit Bits, Bytes und Businessplänen beschäftigen. Tennis-Crack Belinda Bencic etwa, der Tiktoker Adrian Vogt, Musikproduzent Ozan Yildirim und die Rollstuhlsportlerin Catherine Debrunner.

Diese ungeahnte thematische Breite lässt Schweizer Profis, die sich auf die Sichtung von jungen Gamechangers im Feld der Schweizer Wirtschaft verstehen, etwas ratlos zurück.

«Zufällig und zusammengewürfelt»

«Weil sich auf die Schnelle nicht in Erfahrung bringen lässt, welche harten Kriterien bei der Auflistung eine Rolle spielen, hat die Liste auch etwas Zufälliges und Zusammengewürfeltes», sagt Beat Schillig, Gründer von IFJ Institut für Jungunternehmen und Venturelab sowie Initiant der nationalen Startup-Förderprogramme Venture Kick und Top 100 Swiss Startups Awards. 

Aber, fügt Schillig an, «eine Nennung bei den ‹30 under 30› ist für junge Schweizer Gründerinnen und Gründer sicher eine coole Sache und kann in individuellen Fällen eine Menge auslösen und bringen». Es erhöhe zweifelsohne die globale Visibilität, «was möglicherweise den einen oder anderen Zufallstreffer bei Investoren bringen kann. Immerhin ist ‹Forbes› eine starke und international wahrgenommene Marke.»  

Digital Shapers: Paulina Grnarova

Paulina Grnarova ist auch eine der Digital Shaper 2021. Das Porträt gibt es hier

Mögliche Investoren am Draht

Was Schillig auf theoretischer Ebene skizziert, kann Paulina Grnarova bestätigen. Weil es ihr in der Realität passiert ist. Nach der Nominierung hätten sie zahlreiche Leute kontaktiert. Meist über E-Mail, aber sie habe auch Anrufe erhalten. Der Impact sei schon gross gewesen, vor allem hätten auch mögliche Investoren angerufen.

Einer, der das gut nachvollziehen kann, ist Stefan Kyora. Der Chefredaktor des Schweizer Startup-Newsdienstes Startupticker.ch, glaubt, dass eine Nennung auf der «Forbes»-Liste «sicher einmal Aufmerksamkeit bringt, die sich gut bewirtschaften lässt. Wir merken das auch daran, dass unsere Meldungen zu den ‹Forbes›-Listen in sozialen Netzwerken wie Linkedin ungewöhnlich stark gelesen und geteilt werden.»  

Zum Stellenwert der Liste stösst Kyora ins gleiche Horn wie Beat Schillig: «Von der Substanz her sind die Nennungen nicht immer ganz klar nachvollziehbar, es wirkt manchmal ein wenig Hype-getrieben. Aber als Qualitätssiegel wirkt ‹Forbes› bestimmt; der Eintrag auf der 30-under-30-Liste ist für die jungen Leute eine Art Eintrittsticket in die Welt der Investoren.»     

Schweizer Liste bunter als die in den USA

Aber wie kommt das Eintrittsticket denn nun zustande? Oder konkreter: Wer erhält es aufgrund welcher Kriterien? Sophie Spiegelberger, Redaktorin «30 under 30» für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei «Forbes» in Wien, kann es darlegen.

Warum auf der Schweizer Liste nicht nur Wirtschaftsköpfe stehen, sondern auch Sportlerinnen und Sportler, erklärt Spiegelberger so: «In den DACH-Ländern werden – anders als bei ‹​​​​​​​Forbes› in den USA – keine Subkategorien wie etwa Medien, Musik oder Finanzen geführt. Für Deutschland, Österreich und die Schweiz gibt es nur eine Liste.» Deshalb könne das 30er-Panoptikum auch einmal «etwas bunter» ausfallen. Der Fokus aber, sagt Spiegelberger, «liegt klar auf Technologie und Gründern».  

30 under 30

Schweiz-Liste «30 unter 30» von «Forbes». 

Quelle: Screenshot

«Forbes»: Es gibt keine harten Kriterien

Welches sind die Kriterien, um auf der 30-u-30-Liste zu landen? «Klar festgeschriebene qualitative Kriterien gibt es nicht», sagt Spiegelberger. Wonach «Forbes» in erster Linie suche: «Köpfe, die das Potenzial haben, morgen etwas Grossartiges zu bewegen.»  

Um es auf die Liste zu schaffen, können sich junge Leute aus den einzelnen Ländern bei «Forbes» melden. Wovon offenbar stark Gebrauch gemacht wird, sagt Spiegelberger: «Dabei kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz etwa 1200 Anmeldungen rein. Parallel dazu scannen wir die Länder ebenfalls, was dann eine Dreiländerliste von rund 1400 Köpfen ergibt.» Aus der Schweiz standen so rund 340 Köpfe zur Debatte.

Danach erstelle die Redaktion eine Shortlist, «zum Schluss entscheidet eine dreiköpfige Jury». Was Spiegelberger wichtig ist: Eine gekaufte Sache sei die Liste nicht: «Es fliesst kein Geld in keine Richtung.»    

Erst das Ranking, dann die Info

Paulina Grnarova hatte sich wie die meisten Bewerber auf Anraten von Freunden und ihren Mitgründern für die Auswahl beworben, ihre Unterlagen eingereicht und kam dann im Frühling dieses Jahres auf die Shortlist der «30 under 30»-Auswahl. «Dass ich aber ins Ranking kam, wusste ich erst, als es schon draussen war», sagt das Tech-Talent.

Wer auf die «Forbes»-Liste will, muss auch mal Phasen der Info-Dürre aushalten, sagt Grnarova. Man höre lange nichts mehr, sie habe die Bewerbung schon fast abgeschrieben – und dann kam plötzlich die Mail für die Shortlist. Sie musste noch mehr Fragen beantworten, dann dauerte es wieder ein halbes Jahr, bis weitere Neuigkeiten kamen.

Wellen geschlagen bis nach Nordmazedonien

Erst jetzt im November erhielt die Legaltech-Unternehmerin ein Mail mit der finalen Bestätigung – am selben Tag, an dem die Liste publik wurde.

Am meisten gefreut hat sich Grnarova, dass auch Medien in ihrer Heimat Nordmazedonien über sie berichtet hätten. Was auch eine Art PR gegen innen war: «Meine Eltern haben mich in der Zeitung gesehen, das hat sie sehr stolz gemacht.»