Es ist das Schweizer Finanzwort des Jahres: «Frankenschock». Wie kein anderes Ereignis hat die sprunghafte Aufwertung der Währung seit Jahresbeginn die eidgenössische Wirtschaft geprägt. Firmen mussten Arbeitsplätze abbauen und Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern, um Kosten zu senken und weiterhin mit der ausländischen Konkurrenz mithalten zu können. Während die einen schon das nahende Ende der Schweizer Industrie proklamieren, sprechen andere von einem nötigen Wandel, mit dem sich Unternehmen für die Zukunft rüsten. Doch in einem Punkt sind sich alle einig: Der Franken wird auf absehbare Zeit stark bleiben und die exportorientierte Schweizer Wirtschaft auch im nächsten Jahr vor grosse Herausforderungen stellen.
Die Umwälzungen ausgelöst hat die Schweizer Notenbank: Sie gab die lose Anbindung des Franken an die wichtigste Exportwährung Euro im Januar nach mehr als drei Jahren auf. Doch mit dem Ende des Euro-Mindestkurses von 1,20 Franken gewann die eidgenössische Währung schlagartig an Wert. Bis heute sind Waren und Dienstleistungen «Made in Switzerland» für das europäische Ausland rund zehn Prozent teurer geworden.
Daran dürfte sich so schnell nichts ändern: Denn die Europäische Zentralbank hatte ihre Geldschleusen am Donnerstag weiter geöffnet und die Strafzinsen für Banken verschärft. Damit will sie den Euro tendenziell schwächen. Zunächst hatte er jedoch vorübergehen an Wert gewonnen, weil viele Anleger noch drastischere Schritte der EZB erwartet hatten. Zum Ende der Woche kostete die Einheitswährung knapp 1,09 Franken.
Asiaten statt Deutsche - Tourismus muss Umdenken
Wie stark der Höhenflug der eigenen Währung die Schweizer trifft, zeigt eine Umfrage der Beratungsunternehmen Deloitte und BAKBasel unter 400 Firmen aus Maschinenbau, Elektro- und Metallindustrie: Dabei gab knapp ein Viertel an, über eine Verlagerung der Produktion in den Euroraum nachzudenken. Gut ein Fünftel hat diesen Plan bereits umgesetzt. Auch «Ur-Schweizer» Firmen wie der Sportartikelhersteller Mammut sehen sich zu diesem Schritt gezwungen: Das Unternehmen hat seine Seilproduktion nach 153 Jahren aus der Schweiz nach Tschechien verlagert und 24 Stellen gestrichen.
Kein Wunder, dass der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vor einer «schleichenden Deindustrialisierung» warnt, die die Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben könnte. Im dritten Quartal lag die Erwerbslosenquote in der Schweiz gemäss international vergleichbaren Daten bei 4,9 Prozent - der höchste Wert seit mehr als vier Jahren. In Deutschland waren es im Oktober sowie in den beiden Vormonaten nur 4,5 Prozent.
Das bekommt auch die Tourismusindustrie zu spüren. Der Urlaub vor der weltberühmten Schweizer Bergkulisse war vielen Deutschen, Franzosen und Niederländern dieses Jahr zu teuer. Bis Ende September sank die Zahl der Übernachtungen im Jahresvergleich um 0,5 Prozent. Die Tourismusregion Interlaken hat sich schon früher verstärkt auf Gäste aus Asien und dem Nahen Osten konzentriert - mit Erfolg: Seit den 90er-Jahren lockt der Ort, von dem aus Gäste mit der berühmten Bahn durch den Eiger auf das Jungfraujoch fahren, stetig mehr Gäste aus diesen Regionen an. «Wir haben einen enormen Wechsel bei den Märkten erlebt», sagte Interlaken-Tourismuschef Stefan Otz.
Einzelhandel leidet unter Einkaufstourismus
Doch nicht alle Branchen können auf neue Kundengruppen ausweichen: Dem Schweizer Einzelhandel etwa dürfte nach Einschätzung der Credit Suisse elf Milliarden Franken an Umsatz durch die Lappen gehen, weil zehntausende Schweizer lieber im benachbarten Ausland einkaufen. Einer davon ist Guido Högger. Der Rentner fährt von seinem Wohnort im Norden der Schweiz regelmässig über die deutsche Grenze ins nahe gelegene Konstanz. Kosmetik- und Reinigungsmittel sind dort 40 Prozent günstiger. Und er bekommt die deutsche Mehrwertsteuer zurück, wenn er zurück über die Grenze fährt. Dafür nimmt der ehemalige Maschinenbau-Manager auch gerne das kritische Stirnrunzeln seiner Nachbarn in Kauf. Sie finden es unpatriotisch, nicht in der Schweiz zu kaufen. «Ich habe kein schlechtes Gewissen», sagt er. «Wir werden mit den hohen Preisen in der Schweiz über den Tisch gezogen.»
Der Einkaufstourismus über die Grenze kennt nicht nur Verlierer - er hat auch neue Geschäftsmodelle hervorgebracht: Deutsche Bauern nutzen ihre Scheunen als «Lagerhallen» für die Interneteinkäufe der Schweizer im Euro-Ausland. Dort wo früher landwirtschaftliches Gerät stand, stapeln sich nun Päckchen von Amazon & Co. Und jedes Wochenende pilgern die Schweizer in Scharen über die Grenze, um ihre neu erstandenen Schnäppchen auf den Bauernhöfen abzuholen.
(reuters/ccr)