Die Airline-Industrie, in der Sie lange tätig waren, aber auch der Detailhandel arbeitet stark mit Kundendaten. Die Pharmaindustrie ist diesbezüglich weit im Hintertreffen. Weshalb?
Christoph Franz: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Wir in der Pharmaindustrie machen klinische Studien und erheben für die Zulassung unglaublich viele Daten, die wir analysieren, um nachzuweisen, dass die Medikamente wirksam und sicher sind. Vom Ausgang dieser Studien hängen sehr hohe Umsätze ab. Insofern ist der Umgang mit Daten auch in unserer Branche entscheidend.
Die Airlines haben die Daten der Passagiere und kreieren daraus Angebote und ein dynamisches Pricing.
Der Unterschied ist, dass eine Airline alle Daten aller Passagieren hat, wir aber haben nicht alle Daten von jenen Patienten, die unsere Medikamente benützen.
Eben.
Wenn wir besseren Zugang zu den Daten aus der realen klinischen Welt haben und uns die Daten der Patienten elektronisch vorliegen, haben wir in der Tat einen besseren Einblick und können besser verstehen, wie wir Therapien optimieren können.
«Es hat nicht jeder Spieler ein Interesse an absoluter Transparenz»
Das elektronisches Patientendossier in der Schweiz zeigt das Dilemma: Es braucht Jahre, bis sich etwas bewegt.
Immerhin gibt es jetzt die Entscheidung, dass dieses auf Basis der Freiwilligkeit eingeführt wird.
Genügt das?
Es bleibt abzuwarten, was dies in der Praxis bedeutet. Ich kann mir vorstellen, dass man irgendwann bei der Erstattung des Patienten differenziert. Ob die Leistungsträger die Daten mühsam aus Unterlagen entnehmen müssen oder ob sie die Daten elektronisch angeliefert bekommen, könnte bei den Erstattungsbeträgen einen Unterschied machen. Das wäre ein Anreiz, diese elektronischen Patientendossiers zu nutzen.
Sie meinen: Wer den Krankenkassen und den Pharmafirmen die Patientendaten elektronisch zur Verfügung stellt, kriegt mehr rückvergütet?
Das könnte ein Modell sein, um die Nutzung des elektronischen Patientendossiers voranzubringen.
Wer bremst? Die Ärzte, die Gesundheitsbehörde, die Patienten?
Es hat nicht jeder Spieler ein Interesse an absoluter Transparenz. Diese unterschiedliche Interessenlage widerspiegelt sich beim Verhalten. Ich bin überzeugt, dass Transparenz die Effizienz des Gesundheitswesens steigert. Vorausgesetzt ist, dass die Privatsphäre des Patienten angemessen geschützt ist. Wir in der Pharmaindustrie beachten seit Jahrzehnten Patientendaten aus klinischen Studien. Das tun wir nicht erst, seit es die Digitalisierung gibt.
Donald Trump hat den Medikamentenpreisen den Kampf angesagt. Befürchtungen?
Die intensiven Diskussionen werden vielleicht an einigen Stellen dazu führen, dass wir uns mit weniger günstigen Rahmenbedingungen auseinandersetzen müssen.
Also Befürchtungen?
Man wird analysieren müssen, was die Veränderungen insgesamt bringen. Wir als Roche haben in den USA bei der Preisgestaltung immer versucht, den Patienten im Auge zu haben. Unsere letzten acht Medikamente, die in den USA zugelassen wurden, wurden mit niedrigeren Preisen auf den Markt gebracht – im Vergleich zu den bereits vorhandenen und genehmigten Therapien. Das heisst, wir haben bei der Preisgestaltung einen sehr vernünftigen Weg eingeschlagen, was von den US-Behörden stark anerkannt wird. Wir möchten auch in Zukunft eine Chance haben, Innovationsprämien für Medikamente zu erhalten, damit wir weiter alljährlich 11 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung stecken können.
Was wäre besser: Trump wird wiedergewählt oder die Demokraten kommen an die Macht? Oder ist dies die Wahl zwischen Pest und Cholera?
Das hängt weniger von Personen, sondern mehr von einzelnen Gesetzgebungen ab. Dabei gilt bei mir der Spruch: Wir werden in jedem Land mit jeder Regierung zusammenarbeiten, das gilt insbesondere in den USA, wo wir dies stets in einer vernünftigen Art machen konnten.
Keine Angst vor negativen Auswirkungen aus Trumps Handelskrieg?
Es kann negative Auswirkungen haben, wenn die Produkte, die wir in die USA exportieren, mit höheren Zöllen versehen werden. Aber es geht immer in beide Richtungen: Wir haben in den USA sehr grosse Firmen, die nicht nur für den amerikanische Patienten, sondern für den Weltmarkt Medikamente herstellen.
Die deutsche Autoindustrie hat auch Produktionsstätten in den USA, gleichwohl wird sie mit Strafzöllen drangsaliert.
Nochmals: Wir zählen, gerade auch mit Genentech, zu den ganz grossen Exporteuren aus den USA. Wenn die USA ihre Handelsbilanz ausgeglichener gestalten wollten, dann wäre es alles andere als produktiv, wenn man den Import bestraft. Denn das könnte im Sinne der Reziprozität dazu führen, dass auch andere Länder Zölle einführen. Das würde am Ende des Tages allen schaden. Wir wollen sicherstellen, dass unsere Medikamente in jedem Land den Patienten zur Verfügung stehen.
«Roche hat ein sehr grosses Interesse am ungehinderten Zugang zur EU»
Für den Brexit hat Roche vorgesorgt?
Die Vorkehrungen sind vorab logistischer Art. Wir haben sichergestellt, dass wir in Grossbritannien den Lagerbestand von Medikamenten zum Teil erhöht haben. Egal von welchem Szenario wir ausgehen: Wir haben sichergestellt, dass unsere lebensrettenden Medikamente verfügbar sind. Es darf nicht passieren, dass es plötzlich zu einem Versorgungsstopp kommt.
Die nächste grosse Schlacht in der Schweiz wird die Abstimmung über das Rahmenabkommen mit der EU geschlagen. Ein Risiko für Roche?
Roche hat ein sehr grosses Interesse am ungehinderten Zugang zur EU, wo wir in Summe weltweit am meisten Mitarbeiter beschäftigen. Das ist für uns die Leitlinie unseres Denkens. Dies ist im Interesse nicht nur von Roche, sondern der gesamten Pharmaindustrie und der Schweiz. Deshalb wird sich unser Unternehmen öffentlich dafür einsetzen.
Auch der Präsident?
Ja. Ich habe mich bei Fragen, die negative Auswirkungen auf unser Unternehmen haben, stets zu Wort gemeldet und auf mögliche Konsequenzen für uns hingewiesen.
Hätte ein Nein Folgen für die Investitionsbereitschaft von Roche in der Schweiz?
Das wäre nicht ausgeschlossen. Allerdings bin ich immer sehr vorsichtig mit Drohszenarien. Wenn es um die Frage geht, wo wir Zusatzinvestitionen tätigen, können veränderte rechtliche Rahmenbedingungen Auswirkungen auf die geographische Verteilung haben. Das werden wir bei jeder Entscheidung berücksichtigen müssen.
Sind Sie noch zufrieden mit dem Standort Schweiz – oder nerven die regelmässigen politischen Diskussionen, die den Wirtschaftsstandort angreifen?
Wir werden uns immer diesen Diskussionen stellen. Das ist Teil der direkten Demokratie. Wir wissen, dass diese grosse Vorteile hat.
Also auch kein Wegzug?
Wir sind ein Unternehmen mit Wurzeln in der Schweiz. Also werden wir in der Schweiz bleiben. Wir als Schweizer schauen immer auf die Diskussionen bei uns, aber wir sollten nicht vergessen, dass es auch in anderen Ländern ähnliche Debatten gibt.