A m 5. September ist grosser Bahnhof angesagt am Gottlieb Duttweiler Institute in Rüschlikon. Rund 300 Vertreter aus Wirtschaft und Politik werden der feierlichen Lancierung von «Advance» beiwohnen, dem jüngsten Baby von McKinsey. Ein Netzwerk für die Sache der Frau will der Beratungsriese ins Leben rufen. Ein Netzwerk, das nicht von den Frauen selber, sondern von Unternehmen wie Credit Suisse, Ikea Schweiz, ABB, Swiss Re oder Siemens getragen wird.
Die Ambitionen sind gross: Der Verein Advance will den Frauenanteil in Senior-Executive-Führungspositionen, der im Moment bei mageren vier Prozent liegt, mit entsprechenden Programmen massiv erhöhen. «Bis ins Jahr 2020 strebt Advance eine Frauenbesetzung von 20 Prozent auf dieser Führungsstufe in seinen Mitgliederfirmen an», heisst es bei McKinsey. Eine klare Ansage. Eine selbst auferlegte Quote. Für den Launch-Event ist nur das Beste gut genug: Post-Chefin Susanne Ruoff hält den Keynote Speech.
Die Managerin wurde vom Executive-Search-Unternehmen Boyden Schweiz in ihr Spitzenamt beim gelben Riesen vermittelt und verhalf dem Headhunter dadurch zu viel Publizität. Jetzt hat Boyden Morgenluft gewittert und will das Frauenthema – genau wie McKinsey – weiter bespielen. Und zwar mit Hilfe aus dem Norden. Das Konzept der Norwegerin Elin Hurvenes soll via Boyden in die Schweiz importiert werden. Unter dem Namen «Professional Boards Forum» bringt Hurvenes seit 2002 Verwaltungsratspräsidenten mit weiblichen Talenten zusammen. Die Idee: Wirtschaftsbosse und Kandidatinnen für Verwaltungsräte werden an einer inszenierten VR-Sitzung zusammengeführt.
Aktivismus an der Frauenfront. Man diskutiert einen spontan gewählten Business Case. Die Frauen werden direkt damit konfrontiert und erhalten so die Chance, ihre Fähigkeiten in einer realen Situation unter Beweis zu stellen. Was in Norwegen im Zuge der Einführung der 40-Prozent-Quote für Verwaltungsräte eingeführt und später auch in den Niederlanden und England lanciert wurde, soll nun auch in der Schweiz Niederschlag finden. «Wir wollen etwas Konkretes tun, statt nur über Frauenförderung zu reden und den Mangel an Talenten zu beklagen», sagt Boyden-Chef Armin Meier. Der frühere Kuoni-CEO ist begeistert von Elin Hurvenes’ Idee und will im Februar 2014 die ersten Veranstaltungen in der Schweiz durchführen. Dies mit Unterstützung von so prominenten Wirtschaftsschwergewichten wie Walter Kielholz, dem VR-Präsidenten der Swiss Re, und Ulf Berg, unter anderem VR-Präsident der Ems-Chemie.
Cherchez la Femme: Was lange eher als Alibiübung daherkam, mündet nun in einen fast schon unheimlichen Aktivismus. Dutzende von Frauenförderungsprogrammen dümpelten in den letzten 15 Jahren in den Unternehmen still vor sich hin, Heerscharen von Diversity-Spezialisten wurden engagiert, um mehr Frauen in Top-Positionen zu bringen. Frauennetzwerke versuchten für ihre Sache zu lobbyieren. Mit mässigem Erfolg: Bis dato sind nur gerade sechs Prozent der Schweizer Geschäftsleitungsmitglieder weiblich, zwölf Prozent sind es gemäss «Schillingreport» in Verwaltungsräten. Jetzt soll es endlich vorwärtsgehen – mit Advance. Der Name als Programm.
«Die meisten weiblichen Talente versickern im mittleren Management. Hier wollen wir ansetzen», sagt Simona Scarpaleggia, Präsidentin von Advance. Tatsächlich zeigen die Zahlen, dass die Pipeline an möglichen Nachfolgerinnen dünner wird, je höher die Managementstufe ist. Dies zeigt eine Berechnung von McKinsey in einer Studie (siehe «Dünne Talent-Pipeline» unter 'Downloads'). Die 53-jährige Ikea-Schweiz-Chefin Scarpaleggia ist eine der wenigen weiblichen CEOs, die sich in der Frauenfrage exponieren, und ist überzeugt: «Das Zeitfenster für eine Offensive stimmt. Die Chefs erkennen langsam, dass gemischte Teams bessere Erfolge erzielen.»
Der neue Anlauf in Sachen Frauenförderung ist denn auch weniger von Ideologie getrieben als von handfesten Businessinteressen. Die Headhunter merken, dass ihre Kunden vermehrt auf Kandidatinnen pochen – und stehen unter Druck, sich Zugang zu Frauennetzwerken zu verschaffen. Die Beratungskonzerne wittern eine Chance, ihr Geschäftsfeld mit dem Thema zu erweitern. Und Verwaltungsratspräsidenten sowie CEOs realisieren allmählich, dass sie ein Imageproblem haben, wenn sie passiv bleiben.
Frauen wie Sita Mazumder schauen dem Treiben nur halb begeistert zu. «Bei manchen geht es nicht um den Inhalt, sondern um die Profilierung der Person», sagt die Ökonomieprofessorin, die an der Hochschule Luzern doziert und im Verwaltungsrat der Coutts Bank sitzt. Mazumder, die vor neun Jahren das «Women’s Business»-Projekt initiierte, gehört zu jener Gruppe von Pionierinnen, die den Female Factor aufgriffen, als er noch nicht so salonfähig war wie heute.
Zu dieser Gruppe gehören etwa auch Headhunter Heiner Thorborg, der mit «Generation CEO» weibliche Talente sichtbar machen will, oder sein Kollege Guido Schilling, der das Thema mit seinem «Schillingreport» seit Jahren auf die Agenda setzt.
Nun sehen sich diese Pacemaker plötzlich mit einem Feld von anderen Läufern konfrontiert. Als Sita Mazumder von McKinseys Advance-Programm erfuhr, sei sie einmal mehr «irritiert» gewesen. Schliesslich kennt sie einige Partner, die dort mitmachen, seit langem, arbeitet teilweise mit ihnen zusammen. Trotzdem sitzt sie nun am Launch-Event am GDI auf dem Podium – und nützt die Plattform, um dort ihr neues Kind, den «Diversity Index», zu präsentieren. Das von der Kommission für Technologie und Innovation des Bundes mitfinanzierte Forschungsprojekt steht unter ihrer Leitung. Ziel ist es, einen Index zu erstellen, der zeigt, wo die Schweizer Firmen in Sachen Diversity Management stehen. Die Genderfrage ist dabei – nebst anderen Kriterien – ein zentrales Thema. Im Januar werden erste Resultate dazu publiziert.
Gütesiegel für Frauenförderung. Auch Sita Mazumders Projekt steht im Wettbewerb mit anderen. So lancierte die Tochter von WEF-Gründer Klaus Schwab, Nicole Schwab, 2009 zusammen mit Kollegin Aniela Unguresan unter dem Namen «Gender Equality Project» einen ähnlichen globalen Index, der von Wissenschaftlern entwickelt wurde und klar misst, wie es um die Gender Diversity in einem Unternehmen steht. 2011 wurde er dem illustren Publikum des Weltwirtschaftsforums präsentiert.
Inzwischen firmiert man unter dem neuen Namen EDGE, weil der Begriff «Gender» bei vielen Entscheidungsträgern Aversionen auslöste. 15 Kunden in 18 Ländern – darunter der Kosmetikmulti L’Oréal – hat EDGE inzwischen gewonnen. In der Schweiz ist die Bilanz mit drei Unternehmen, die mit dem Index arbeiten, noch eher bescheiden: Novartis, das IKRK und Lombard Odier setzen auf EDGE. Ebenfalls Ikea Schweiz. Novartis dürfte der erste Schweizer Konzern sein, der von EDGE zertifiziert wird, also ein Gütesiegel für eine fortschrittliche Genderpolitik bekommt.
«Die Schweiz ist ein schwieriges Terrain. Die gesellschaftlichen und politischen Strukturen erschweren die Prozesse», sagt EDGE-Mitgründerin Aniela Unguresan. Doch der Sukkurs ist da – mit dem WEF im Hintergrund und mit einer prominenten Geldgeberin: Seit 2007 steht Investorin Carolina Müller-Möhl beratend zur Seite. Sie finanzierte mit ihrer 2012 gegründeten Müller-Möhl-Stiftung den ersten Benchmark Report von EDGE. «CEOs kann man nur mit Fakten und Messgrössen davon überzeugen, mehr Gewicht auf die Frauenförderung zu legen. Hier setzt EDGE an», sagt Müller-Möhl. Die NZZ-Verwaltungsrätin, auch sie eine Verfechterin von Berufsfrauen der ersten Stunde, wundert sich inzwischen ebenfalls über den Aktivismus, der hüben wie drüben im Gange ist, um weiblichen Führungskräften zum Durchbruch auf den Teppichetagen zu verhelfen.
«Fast alle kommen mit ihren Projekten irgendwann zu mir, und ich rate ihnen dringend, mehr mit den anderen zu kooperieren», so Müller-Möhl. Kollegin Mazumder sieht es ähnlich: «Es läuft derzeit zu viel und zu unkoordiniert. Wenn das so weitergeht, besteht die Gefahr, dass wir uns selber lahmlegen. Die Unternehmen wollen nicht jede Woche ein neues Frauenprojekt auf dem Tisch haben.»