Was eigentlich ist der Zweck eines Unternehmens?

Fredmund Malik: Der Zweck eines Unternehmens ist die Erbringung eines Beitrags an die Gesellschaft. Und zwar nicht in einem metaphysischen Sinn, sondern ganz praktisch: Der Zweck ist, seine Kunden zufrieden zu stellen. Damit wären viele Diskussionen um Ethik und Verantwortung des Managements vom Tisch.

Also ist der viel bemühte «König Kunde» die wichtigste Instanz für einen Unternehmer?

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Malik: Absolut. Ein zufriedener Kunde ist die wichtigste Geldquelle eines Unternehmens. Der Kunde zahlt die Rechnungen, nicht der Aktionär. Der kommt erst dann im übertragenen Sinn an die Kasse, wenn das Unternehmen bei seiner wichtigsten Aufgabe versagt hat, nämlich Kunden zu finden.

Womit sich der weit verbreitete und von Martin Ebner einst so vehement propagierte Shareholder-Ansatz Ihrer Ansicht nach überlebt hat.

Malik: Exakt. Ein Unternehmen mit zufriedenen Kunden wird immer in der Lage sein, seine Aktionäre zufrieden zu stellen. Aber umgekehrt funktioniert das nicht. Der Shareholdervalue-Ansatz muss Vergangenheit werden, weil mit ihm Schäden in der Wirtschaft entstehen, die irreparabel sein werden. Schon heute sehen wir diese.

Zum Beispiel?

Malik: Das Shareholdervalue-Denken verhindert langfristiges Denken, weil es Investitionen verhindert da es Geld kostet und weil es Innovationen verhindert da diese in der Startphase immer defizitär sind. Schon heute gibt es viele Wirtschaftsführer, die mit der Situation unglücklich sind. Analysten, Banker, auch Medien fordern von ihnen zwar vehement die Ausrichtung auf den Shareholdervalue aber viele Manager haben ein flaues Gefühl dabei. Und tun es dennoch weil sie sonst ihren Job los sind , aber im Wissen, dass sie ihr Unternehmen eigentlich so nicht führen können.

Das heisst, die meisten Firmen werden falsch geführt.

Malik: Ich behaupte rundweg, dass es auf der ganzen Welt nicht ein einziges Unternehmen gibt, das erfolgreich ist, weil es nach dem Shareholdervalue-Prinzip geführt wird. Nicht einmal Jack Welch tut das. Und schon gar nicht Warren Buffett, die Ikone der Investoren.

Dafür gibt es reihenweise Beispiele von erfolgreichen Firmen, die nicht nach diesem Prinzip geführt werden. Hilti ist so ein Beispiel für extreme Kundenorientierung, die sind sogar weg von der Börse. Auch BMW, Porsche, Boehringer Ingelheim, Würth in Schwäbisch Hall, Underberg mit ihrer Zentrale in der Schweiz alles vorbildlich geführte Firmen weitab vom Shareholdervalue-Hipe.

Und was machen diese Firmenchefs anders?

Malik: Ihnen allen ist es gelungen, früh genug das Interesse des Unternehmers was immer das auch ist zu trennen von dem, was das Unternehmen braucht. Ob gross oder klein, ob KMU oder Mittelstand, ob börsenkotiert oder Familienbetrieb ist dabei nicht relevant relevant ist, dass die Firma unternehmerisch geführt wird.

Das Schlagwort der letzten Jahre in diesem Zusammenhang heisst Corporate Governance.

Malik: Dieser Ansatz ist komplett gescheitert. Corporate Governance ist von Anfang falsch verstanden und falsch umgesetzt worden. Der Ansatz muss von Grund auf neu überlegt werden mit Korrekturen allein ist nichts geholfen.

Was ist falsch gelaufen?

Malik: Abgesehen vom Druck der Finanzmärkte und der einseitigen Unterstützung durch massgebliche Medien haben sich an dieser Diskussion nur zwei Personengruppen beteiligt: Einerseits die Aktienjuristen und Gesellschaftsrechtler, andererseits die Finanzexperten. Alles hochkarätige Spezialisten ohne Zweifel aber ich wage zu behaupten, dass sie von General Management, von gesamtheitlicher Unternehmensführung also, wenig verstehen. Beide sehen ihre Seite aber der Kunde ist nirgends vertreten. Und von Kunden scheinen weder die Juristen noch die Investmentbanker genug zu verstehen.

Firmenchefs, die sich vom reinen Shareholder-Ansatz distanzieren, wenden sich dem Stakeholder-Ansatz zu, der besagt, dass ein Unternehmen im Fadenkreuz verschiedenster Anspruchsgruppen steht. Wie lösen sie das Problem, wenn sie es allen recht machen wollen?

Malik: Das können sie eben nicht. Sie müssen sich immer wieder fragen: Was ist gut fürs Unternehmen? Was ist zu tun, damit das Unternehmen langfristig seinem Zweck gerecht werden kann? Dazu kommt, dass sich all die Gruppen für unterschiedliche Dinge einsetzen und sich dadurch gegenseitig neutralisieren.

Also befindet sich der Unternehmer wie im Auge des Hurrikans und verliert die Orientierung.

Malik: Im Auge des Hurrikans ist es sehr ruhig da kann einer nachdenken. Und zum Schluss kommen, dass er es eben nicht allen recht machen kann, sondern nur das Ergebnis seiner Kunden an die verschiedenen Anspruchsgruppen verteilen kann. Das können die Aktionäre sein, die Umweltverbände, die Angestellten bzw. die Gewerkschaften obwohl deren Argumenten mit dem von mir vertretenen Kundenansatz der Wind aus den Segeln genommen würde: Denn jeder Büezer versteht, dass es zuerst Kunden braucht, damit sein Arbeitsplatz erhalten werden kann.

Im Stakeholder-Ansatz hat der Kunde ja auch seinen Platz.

Malik: Das ist eben der Denkfehler. Der Kunde ist nicht eine Interessengruppe, die am Unternehmen interessiert ist. Der Kunde ist ausschliesslich am Produkt interessiert. Das ist ein Riesenunterschied. Der Kunde ist opportunistisch wenn er hier nicht das beste Produkt bekommt, geht er zum nächsten Unternehmen. Er hat die freie Wahl.

Was muss denn eine fähige Unternehmensführung tun, um sich von all den Ansprüchen abzugrenzen?

Malik: Sie muss mit einem klaren Verstand und mit klaren Argumenten wie ein Bergführer den Weg weisen.

Oft wird ein Verwaltungsrat gerade deshalb gewählt, weil er eine bestimmte Anspruchsgruppe vertritt oder ein bestimmtes Teilgebiet gut kennt. Weil er Partei ist.

Malik: Jawohl. Die auseinander laufenden Interessen bestehen deshalb auch im Verwaltungsrat. Und wenn die Generalversammlung das so will und absegnet, dann muss das Management damit leben. Als allerletzte Instanz kommt dann höchstens noch der Markt aber der Markt kommt meistens viel zu spät. Das haben wir bei der CS Group und der Winterthur, bei der Rentenanstalt, bei der Swissair gesehen. Ich sehe den Verwaltungsrat als Zwillingsbruder des Marktes: Er muss vorausschauend Schäden vermeiden. Denn der Markt verhindert nichts er bestraft nur oder belohnt.

Und wenn der VRseine Aufgaben gemacht hat, sind alle Probleme gelöst?

Malik: Dass die Einsicht siegt, ist kaum zu erwarten. Die Medien könnten dazu beitragen, aber auch die sind oft zu wenig unabhängig. Ich fürchte, dass es auch diesmal, wie immer, eine wirtschaftliche Katastrophe ist, die die Änderungen erzwingt.

Eine Katastrophe, die wie aussieht?

Malik: Die grösste Wirkung wird haben, wenn der Dow Jones massiv zurückgeht.

Weshalb soll er das tun?

Malik: Das hängt mit der Überschuldung vieler Wirtschaften zusammen und mit der Schwäche vieler Unternehmen.

Also ist die Börse über kurz oder lang überflüssig?

Malik: Das glaube ich. Eine gut geführte Unternehmung hat es gar nicht nötig, an die Börse zu gehen. Es ist auch nicht so, dass die Börse immer nur Kapital schafft. Von 2000 bis 2003 hat sie Kapital im ganz grossen Stil vernichtet. Jetzt haben wir zwar eine schwache Erholung, aber es stimmt nicht, dass hier Werte geschaffen werden in der langfristigen Betrachtung.

Und woher kommt das Geld?

Malik: Das Geld kommt von dort, wo es immer hergekommen ist von den Banken. Und bei den wirklich gesunden Unternehmen kommt es aus den eigenen Gewinnen. Denen ist die Maximierung der Eigenkapitalrendite viel weniger wichtig als die Erhaltung der unternehmerischen Unabhängigkeit. Also das pure Gegenteil von dem, das viele der Manager heute vertreten: Deren Hauptziel ist es nicht, das Unternehmen zu führen, sondern die Börse zu manipulieren, weil ihre eigenen Aktien-Optionen daran gekoppelt sind.

Genau deshalb sind diese Beteiligungen doch eingeführt worden: Um die Manager am Unternehmenserfolg interessiert zu machen.

Malik: Ja, aber bloss am kurzfristigen. Um langfristig interessiert zu bleiben, müssten Manager ihre Beteiligungen kaufen, mit eigenem Geld oder mit einem Kredit denn es geht ja nicht darum, die Geldgier zu fördern, sondern das Unternehmertum.

Mit der Ausrichtung auf schnellen Gewinn sind die Manager und die Aktionäre somit egoistische Totengräber der langfristigen Entwicklung der Gesellschaft?

Malik: Ohne dass sie es vielleicht wollen und ohne dass sie es merken. Heute haben wir ja nicht mehr die Aktionäre wie früher, sondern oft nur noch Spekulanten.

Aber weite Teile der Bevölkerung halten Aktien quer durch alle Schichten.

Malik: So ist das im Moment.

Was sollten die machen mit ihrem Geld?

Malik: Den grössten Teil würde ich in die Ausbildung der Kinder und Enkel investieren. Den Rest in die persönliche Altersvorsorge.

Genau dazu soll das Aktienkapital vieler Anleger ja gerade dienen.

Malik: Da glaube ich, dass die Enttäuschungen sehr gross werden. Die Börse wird zurückgehen, und zwar ziemlich rasch und ziemlich weit. Was wir seit Ende 2002 hatten, war eine Bearmarket-Rally, nicht der Beginn eines Bullmarkets.



Zur Person

Prof. Dr. oec. habil. Fredmund Malik, 51, hat als Berater und Managementlehrer seit 30 Jahren Führungskräfte aller Stufen und Branchen ausgebildet und geprägt. Der Titularprofessor der Universität St. Gallen und Präsident des VR des Malik-Management-Zentrums hat bereits rund 300 Publikationen verfasst, in denen er sich gern kritisch mit der Managementlehre und -praxis befasst. Malik wurde vom Management-Guru Peter F. Drucker auch schon als «führender Analytiker und Experte von Management besonders im deutschsprachigen Raum» bezeichnet. Malik ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.