Man könnte es sich leicht machen mit der Einordnung: Zwei Fusskranke tun sich zusammen, gehen sie dann wirklich schneller? Im Normalfall nicht. Ganz so einfach ist es mit Renault und FCA (Fiat Chrysler Automotive) aber nicht. Renault ist ein respektabler Autobauer mit 3,9 Millionen produzierten Autos im Jahr 2018, Fiat-Chrysler stellte 4,8 Millionen Autos auf die Räder. Beide rentieren ganz ordentlich, Renault allerdings deutlich besser als Fiat.

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Fusskrank sind beide dennoch: Fiat hat, mit Ausnahme der brummenden Konzernmarke Jeep sowie einiger Modelle der Tochter Alfa Romeo, nur eine dünne Modellpalette vorzuweisen, kaum ertragsstarke grosse Wagen, ausser bei ihren innovationsfernen US-Marken, und kriecht der Elektrifizierungswelle weit hinterher. Renault steht besser da, vor allem im Elektro-Segment, hat aber selbst im Oberklasse-Segment, wo die Gewinne warten, maximal einen halben Fuss in der Tür, auch die kultigen Töchter Lada und Dacia bedienen nur das untere Segment.

Vor allem aber bricht die Allianz zwischen Renault und Nissan-Mitsubishi auseinander: Die stolzen Japaner haben Renault-Chef Carlos Ghosn, der auf Synergien der drei Hersteller setzte, mit Veruntreuungs-Vorwürfen unmöglich gemacht – spekuliert wird, dass sie sich von dem forschen Ghosn nicht unterordnen wollten. Nissan ist schon allein volumenmässig der grössere Autobauer als Renault.

Gewaltige Skalenvorteile

Zwei Firmen mit ungewissen Zukunftsperspektiven also – der Markt hat sein Urteil bereits gesprochen: Die Aktienkurse von Renault und von Fiat-Chrysler schossen heute vormittag um jeweils über zehn Prozent nach oben. Denn erstens können sich beide gegenseitig helfen: Fiat-Chrysler kann mit seinem riesigen Fussabdruck auf dem US-Markt Renault den Steigbügel halten, die Franzosen und Japaner jede Menge Technologien liefern, an denen es Fiat-Chrysler so sehr mangelt: Die Italiener schmücken sich zwar beispielsweise mit einer Zusammenarbeit mit Startup Waymo beim autonomen Fahren, aber diese Kooperation erschöpft sich so ziemlich in der Lieferung von Testfahrzeugen.

Und zweitens: Hielte die Renault-Nissan-Mitsubishi-Allianz zusammen, kämen eine mit FCA vereinigte Gruppe auf zirka 15 Millionen Autos Jahresproduktion. Das verspricht gewaltige Skalenvorteile: Motoren, Fahrwerke, Chassis lassen sich als Gleichteile in viel mehr Autos verbauen, Entwicklungskosten teilen, die Milliardeninvestitionen für die Elektrifizierung und das autonome Fahren viel einfacher stemmen.

In der Autoindustrie, die an einem Wendepunkt steht, in der unklar ist, ob sich der Batterieantrieb tatsächlich durchsetzt oder Wasserstoff die Technik der Zukunft ist, oder ob doch der Verbrenner noch viele Jahrzehnte die Strassen dominiert, in dieser Zeit der Unsicherheit sind niedrige Kosten via Skaleneffekten in der Autoindustrie das Gebot der Stunde. Doch selbst ohne Nissan und Mitsubishi, die von Renault offenbar die Nase voll haben, wäre Renault-Fiat-Chrysler fast so gross wie Platzhirsch Volkswagen.

Der neue Autoriese in 6 Grafiken

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Lange auf der Suche 

Letztlich muss man auch berücksichtigen: Fiat-Chrysler prostituiert sich schon seit Jahren in der Suche nach einem Fusionspartner. Auch der Vorschlag für die Megafusion mit Renault ging von den Italienern aus.

Schon Marchionne klopfte an diverse Türen der Konkurrenz; er sanierte zwar die Firmenbilanz, aber das Autogeschäft hat den Finanzexperten nie interessiert; Insidern zufolge sah ihn auch der Fiat-Eignerclan immer eher als Vermögensverwalter, der die Familiengelder vor den Unsicherheiten des Autogeschäfts schützt. Und das tat Marchionne: Börsengänge von Iveco und Ferrari, Verkauf der monströsen Zuliefersparte Magneti Marelli eingeleitet, Suche nach Fusionspartner für Fiat-Chrysler – Marchionne agierte wie der Verwalter eines Family Office, nicht wie ein Autobauer.

Dass sein unbestreitbarer Glanz zudem am Verblassen war, liess sich am Börsenkurs ablesen: Schon vor Marchionnes Tod Ende Juli 2018 begann die Fiat-Aktie zu bröckeln, und danach wurde es nicht viel besser; der Kurs tendiert weiterhin seitlich mit Abwärtstendenz.

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Fiat-Chrysler braucht dringender Hilfe

Klar ist: Die beiden könnten einander helfen, wenn auch solche Megafusionen jede Menge unerwarteter Friktionen mit sich bringen – und jederzeit, auch spät, noch scheitern können.

Klar ist auch: Selbst wenn Nissan für Renault dauerhaft verloren ist, Fiat-Chrysler braucht dringender Hilfe als die Franzosen. Und die sind sicher nicht weniger stolz und rigide in ihrer Industriepolitik als die Japaner. Also selbst wenn sich der Renault-Verwaltungsrat entscheiden sollte, den Avancen aus Turin zuzustimmen, was an sich schon an ein kleines Wunder grenzte – das grösste Wunder wäre, wenn die Franzosen Fiat-Chrysler den Wunsch nach einer gleichberechtigen 50:50-Fusion erfüllten. Es soll zwar Wunder in der Welt geben, aber eher selten in der Autoindustrie.