An der Gruppe der sieben führenden westlichen Industriestaaten (G7) scheiden sich die Geister. «Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sieben Staats- und Regierungschefs Weltpolitik machen könnten?» giftete kürzlich Oppositionsführer Gregor Gysi nach einer Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel mit Blick auf den G7-Gipfel in Schloss Elmau, der am Sonntag beginnt. «Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sich diese Staaten anmassen könnten, für alle anderen Staaten zu entscheiden?» Damit blies er in das gleiche Horn wie ganze Generationen von Kritiker des einstmals exklusivsten und wohl mächtigsten Clubs der Welt vor ihm.
Dabei erheben Merkel und ihre Kollegen aus den USA, Kanada, Japan, Grossbritannien, Frankreich und Italien solche Ansprüchen öffentlich gar nicht. Für die sind die Zusammenkünfte, so sagt Merkel, eine unverzichtbare Gelegenheit, ohne starre Agenda in vertrauter Runde ein offenes Wort zu wagen.
Die G7 kann keine Beschlüsse fassen
«Das oberste Ziel sind konkrete Beschlüsse» war mit Blick auf Schloss Elmau in einer grossen deutschen Zeitung zu lesen. Genau das wird es nicht geben: die G7 kann verbindlich nichts beschliessen. «Das ist kein Beschlussorgan», unterstreicht ein hoher Regierungsvertreter. Kommuniques und Erklärungen sind im Grunde nur Absichtserklärungen auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Zielvorgaben werden formuliert, Selbstverpflichtungen («Commitments»), von denen inzwischen eine unübersehbare Zahl verabschiedet wurden.
Beim ersten Treffen dieser Art, 1975 im französischen Schloss Rambouillet, zählte eine Wissenschaftlergruppe an der Universität Toronto 14 Zusicherungen, wie etwa: «Wir werden keinen neuen Inflationsschub hinnehmen.» In den 2000er Jahren nahm der Ehrgeiz der Gipfel-Stürmer, inzwischen durch die Aufnahme Russlands zur G8 erweitert, massiv zu. 2007, beim Gipfel in Heiligendamm, gab es in der Erklärung, einem 45-seitigen Papier mit 97 Punkten, insgesamt 329 «Commitments» - ein Rekord von umstrittenem Wert.
Die G7 kann Signale setzen und Diskussionen anstossen
Was ein G7-Gipfel kann, das ist Signale geben, Standards verabreden, weltweite Diskussionen anstossen. Als Beleg dafür verweist die Expertin Ella Kokotsis von der Universität Toronto auf die Klimaschutzdebatte. Schon 1979 ist im damaligen Kommunique vom Ausbau erneuerbarer Energien und der Schadstoffminderung die Rede. Auch im weltweiten Kampf gegen Epidemien, beim Zugang armer Länder zu Medikamenten, habe die G7/G8 Marken gesetzt.
Das versucht Merkel auch in Schloss Elmau. Wenn sie das Thema Frauen und Beruf ganz oben auf ihre Agenda setzt, den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen, die soziale Verantwortung von Unternehmen mit Produktionsstätten auch in Entwicklungsländern, und den Meeresumweltschutz, dann will sie Anstösse geben, denen andere folgen und die in Entscheidungen münden sollen.
Wenn es darum geht, Lösungsansätzen für bestimmte Probleme weltweit Geltung zu geben, muss die G7 vor allem auf eines setzen: das vereinte wirtschaftliche und politische Gewicht ihrer Mitgliedsländer. Da stand die Ländergruppe allerdings schon besser da. Denn mit dem Aufstieg von Ländern wie China oder Indien verliert die G7 unaufhaltsam an Gewicht.
Doch immerhin repräsentieren die Sieben noch rund 46 Prozent der Welt-Wirtschaftsleistung. Mitte der 90er Jahre lag der Anteil noch bei zwei Dritteln. Das bedeutete, damals mehr als heute: was die G7-Länder ökonomisch vorgaben, bestimmte die Weltwirtschaft. Inzwischen haben sich die globalen Kräfteverhältnis aber auch politisch verschoben.
Der «alte Westen» verteidigt seinen Platz in der Welt
Für Claudia Schmucker von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sind die G7 im Grund der «alte Westen» - was durch den vorläufigen Ausschluss Russlands und damit die Rückkehr von der G8 zur G7 noch verstärkt
2007, beim deutschen Gipfel in Heiligendamm, war noch die Weltwirtschaft ein Top-Thema. Man beschäftigte sich zudem mit dem sogenannten Heiligendamm-Prozess - mit einem Format, um einerseits keine neuen Mitglieder aufzunehmen, aber andererseit mit den wichtigen Schwellenländern einen neuen dauerhaften Dialog zu installieren. Kurze Zeit später aber ging die Entwicklung über die G7 hinweg.
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 machte deutlich, dass die alten Industrieländer alleine den Karren in der Welt nicht mehr aus dem Dreck ziehen konnten. Die neue Gruppe der 20 (G20) mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China, Indien und Brasilien löste die altehrwürdige G7/G8 als zentrales Organ zur wirtschafts- und finanzpolitischen Abstimmung ab. Das macht die Siebenergruppe nach Einschätzung der Beteiligten und auch von Wissenschaftler nicht wertlos. «Die G7 ist immer noch wichtig genug», sagt Schmucker. Aber sie sei in der Bedeutung auf ein Normalmass geschrumpft.
(reuters/ccr)