Als wichtiger Erdgasproduzent liefert Russland alleine rund einen Viertel des Gasbedarfs für Europa. Zudem führen die Gaspipelines nach Westeuropa durch osteuropäische Staaten, welche ebenfalls mit Gas beliefert werden. Im vergangenen harten Winter hat sich diese Abhängigkeit exemplarisch gezeigt. Als Russland im Gasstreit mit der Ukraine unerwartet den Gashahn zudrehte, stand plötzlich Westeuropa mit deutlich weniger Gas da. Nach einigem Gerangel wurden schliesslich die Lieferungen wieder aufgenommen. Stellt diese Abhängigkeit von Russland ein Problem dar, und wie wird sich die Gasversorgung Europas entwickeln?

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Die grössten Gasvorräte

Russland besitzt die grössten Gasvorräte der Welt. In Westeuropa ist die Produktion aktuell hoch, die Vorräte aber ziemlich begrenzt. Grossbritannien zum Beispiel ist seit letztem Jahr zu einem Netto-Importeur von Gas geworden. Grosse Vorräte sind am ehesten im Hohen Norden zu vermuten. Europa wird also langfristig auf Lieferungen aus Russland und den umliegenden Staaten angewiesen sein. Grundsätzlich hat sich Russland in den letzten Jahrzehnten als zuverlässiger Lieferant gezeigt.

Ebenfalls über riesige Gasvorräte verfügt der Nahe Osten, besonders Katar und Iran. Dieses Gas kann aber nicht via Pipelines nach Europa transportiert werden. Es wird zuerst verflüssigt, dann in Spezialtankern verschifft und am Bestimmungsort wieder in Gas umgewandelt. Dieser Prozess benötigt riesige Investitionen und ist aufwendig. Die Kosten dafür sind jedoch in den letzten Jahren deutlich gesunken, sodass sich mit den hohen Gaspreisen eine Verflüssigung und eine Verschiffung über weite Distanzen lohnen. Flüssiggas (LNG) wird der fossile Energieträger mit dem grössten Wachstum sein. Alle grossen Öl- und Gasproduzenten sind in dieses Geschäft eingestiegen und in grossen Projekten engagiert.

Alternative Energieträger wie Solar und erneuerbare Energien werden ein sehr starkes Wachstum erleben. In der Stromproduktion könnte daneben die Kohle dank «Clean Coal»-Technologien eine gewisse Renaissance erleben. RWE plant sogar schon das erste CO2-freie Kohlekraftwerk der Welt. Allerdings wird dies Jahre dauern. Mindestens in Frankreich dürften auch neue Atomkraftwerke gebaut werden. Dennoch wird die Stromproduktion durch Gas-Kombikraftwerke der Treiber für das weitere Wachstum des Gasverbrauches in Europa sein. Die Experten von Wood Mackenzie schätzen das Wachstum des Gasverbrauches in Westeuropa über die nächsten zehn Jahre auf 2,1% pro Jahr, für Zentral- und Osteuropa werden sogar 4,4% erwartet.

Aufgrund der sinkenden Eigenproduktion ist Europa je länger je mehr auf Gasimporte angewiesen. Diese werden einerseits aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, aus Nordafrika oder zunehmend aus weiter entfernt gelegenen Orten kommen. Aus dem Nahen Osten und aus Westafrika wird dies in Form von Flüssiggas geschehen. Sogar aus Norwegen wird Flüssiggas kommen. Statoil baut im Norden Norwegens eine LNG-Anlage und wird von dort in ein paar Jahren auch Flüssiggas nach Südeuropa verschiffen.

Mit der Zunahme von Flüssiggas wird sich der Gasmarkt auch sonst verändern: Ein Teil der Lieferungen erfolgt nicht unter langfristigen Lieferverträgen, sondern kurzfristig. Gaslieferungen können kurzfristig in Märkte umdisponiert werden, wo die Preise hoch sind. Dies ist im letzten Winter bereits passiert. Die britische BG Group zum Beispiel hat LNG-Tanker nach Europa umgeleitet, weil dort deutlich höhere Preise als in den USA zu realisieren waren.

Steigende Importkapazitäten

Um die zunehmenden Importe aufnehmen zu können, müssen die Transport- und Lagerkapazitäten erhöht werden. Einerseits sind neue Pipelines geplant. Die Baltic Sea Pipeline soll Russland direkt via Ostsee mit Deutschland verbinden und so Fälle à la Ukraine verhindern. Aus Nordafrika sind neue Pipelines nach Spanien und Sizilien geplant bzw. im Bau. Das Projekt Nabucco will sogar die Gasfelder im Iran mit einer Pipeline nach Europa verbinden.

Immer mehr Gas wird andererseits als Flüssiggas den Weg nach Europa finden. Daher werden auch die Kapazitäten für den Import von Flüssiggas deutlich erhöht werden müssen. Solche Anlagen werden meist von Öl- und Gasgesellschaften in Zusammenarbeit mit Versorgern gebaut. Fazit: Europa wird seinen steigenden Gasbedarf zunehmend mit Importen decken müssen.

Jakob Schöchli, Investment Research/Bank Leu, Zürich.

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GASMARKT: Zu erwartende Veränderungen

Preisbildung

In Kontinentaleuropa sind die Gasverträge grundsätzlich langfristig und die Preise sind an den Ölpreis gebunden. Dadurch wird eine Glättung der Gaspreise erreicht. Die USA und auch Grossbritannien haben bereits einen gut funktionierenden Kassa- und Terminmarkt. Kontinentaleuropa dürfte diese Entwicklung nachvollziehen. Voraussetzungen sind aber zunehmende Deregulierung und Liberalisierung der Gasmärkte. Allerdings hat es sich gezeigt, dass in den USA und in Grossbritannien die Gaspreise nicht stabiler wurden; im Gegenteil, die Gas-Spotmärkte schwanken sogar wesentlich stärker als die Öl-Spotmärkte. Zudem gibt es mindestens auf mittlere Frist eine natürliche Ölpreisbindung. Grund dafür ist die Energieäquivalenz, die es Kunden erlaubt, je nach Preis zwischen Gas und Ölprodukten zu wechseln.

Integration

Die Unternehmen versuchen je länger, je mehr, auf allen Stufen der Wertschöpfungskette vertreten zu sein. Die russische Gazprom beteiligt sich bei Wingas in Deutschland, liebäugelt mit einer Übernahme der britischen Centrica und möchte sich auch bei Ruhrgas engagieren. E.on versucht im Gegenzug eine Beteiligung an Gasfeldern in Sibirien zu erlangen. Gaz de France und auch Centrica beteiligen sich an Gasprojekten in der Nordsee, um nur einige Besipiele zu nennen. Auch die Fusion von OMV und Verbund in Österreich wird durch das Potenzial im Gasmarkt begründet.