Für die Genfer Investmentgesellschaft Fertilo unterwegs auf Weide- und Anbauflächen, die bis zu 600 Kilometer voneinander entfernt liegen: die Westschweizer Agrounternehmer Pascal (links) und Joël Vuarambon.


Die Krise in Argentinien hat viele Gesichter. Während in der Hauptstadt Buenos Aires die Volksseele brodelt und betrogene Rentner, mit Kochutensilien bewaffnet, auf die Strasse gehen, lebt es sich in ländlichen Gebieten wesentlich sorgloser, wenn auch nicht völlig ohne Stress. Bei steil nach oben gerichteten Inflationserwartungen hat im krisenerprobten Pampa-Staat eine kollektive Flucht in Sachwerte eingesetzt. Und dabei ist traditionellerweise im Vorteil, wer über Landreserven verfügt.

Im fruchtbaren Viehzuchtgürtel des Landes, der legendären Pampa mit ihren weltweit berühmten Weiden, betreiben die aus Genf stammenden Brüder Pascal und Joël Vuarambon ein gross angelegtes Start-up-Projekt. Anderthalb Flugstunden südwestlich der argentinischen Hauptstadt bewirtschaften sie im Auftrag der Genfer Investmentgesellschaft Fertilo eine Fläche von über 20 000 Hektaren – ein Gebiet, so gross wie der Neuenburgersee. Erklärtes Ziel des 1998 mit finanzieller Unterstützung durch Serono-Chef Ernesto Bertarelli und den Chairman der Sandoz-Familienstiftung, Pierre Landolt, ins Leben gerufenen Agro-Unternehmens ist es, mit der Produktion von hochwertigem Rindfleisch und dem industriellen Anbau von Soja, Mais, Sonnenblumen und Getreide gutes Geld zu verdienen. Ob dies beim gegenwärtigen Wirtschaftschaos gelingen kann? Die beiden Brüder sind zuversichtlich.

Praktisch veranlagt, wie sie sind, kennen Pascal (41) und Joël (40) ein paar wichtige Kniffs, die es ihnen erlauben sollten, die inflationäre Krise ohne Blessuren zu überstehen: «Wir verkaufen nie, bevor wir für das frei werdende Kapital etwas anderes bestellt haben», verrät Pascal und beschreibt damit sein unkonventionelles Bestreben, zu keinem Zeitpunkt liquide zu sein. Bei grassierender Geldentwertung, erklärt der argentinisch-schweizerische Doppelbürger, gelte es nicht mehr – wie gewohnt – auf die absoluten Preise, sondern auf das relative Austauschverhältnis der Güter zu achten. «In einem solchen Umfeld gewinnt der, der immer voll investiert ist und für seine Firma die besten Tauschrelationen herausholt», sagt er.
In einem Communiqué an die Fertilo-Aktionäre vom Januar 2002 wird das Krisendispositiv wie folgt umrissen: «Wir bereiten uns darauf vor, die kommende Ernte überwiegend einzulagern und jeweils nur so viel zu verkaufen, wie es das Fortführen der laufenden Aktivitäten verlangt», heisst es dort. Und weiter: «Solange sich die Lage nicht stabilisiert hat, werden wir jegliche Liquiditätsüberschüsse vermeiden und die Substanz des Unternehmens in physischen Gütern binden.»

Bereits im Spätsommer letzten Jahres, als sich die Gefahr einer Peso-Abwertung abzuzeichnen begann, sicherten sich die Fertilo-Manager ab. Überschüssige Barreserven investierten sie damals in den Viehbestand und überwiesen die Restliquidität zurück auf ein Konto bei der Credit Suisse in Genf. Als Vorteil erwies sich hierbei die Tatsache, dass die mit Eigenmitteln von zehn Millionen US-Dollar ausgestattete Entwicklungsgesellschaft über ein kommunizierendes System von Bankkonten im In- und Ausland verfügt – ein professioneller Luxus, den sich die argentinischen Kleinbauern in den seltensten Fällen leisten können. Wer seine Transaktionen in bar erledigt und sich im Timing auch nur um Stunden verschätzt, wird von den Winkelzügen willfähriger Politiker ungleich härter getroffen.
Bei grassierender Geldentwertung gilt es, nicht auf die Preise,
sondern auf das Austauschverhältnis der Güter zu achten.

Gegen den Sinkflug der argentinischen Währung ist Fertilo insofern gewappnet, als Agrarrohstoffe wie Rinderhälften, Sonnenblumenöl oder Soja trotz der Anfang Jahr verfügten «Pesofizierung» nach wie vor in der US-Leitwährung gehandelt werden. «Es ist offensichtlich, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Argentinien dramatisch sind», bestätigt der Brasilien-Auswanderer Pierre Landolt. «Trotzdem bin ich sicher, dass Fertilo als Exporteur von landwirtschaftlichen Rohstoffen, deren Verkaufserlös vom Dollarkurs abhängt, die Krise ohne allzu grosse Schwierigkeiten wird meistern können.»

Während die Weltmarktpreise für Agrarerzeugnisse heute wesentlich höher liegen als noch vor wenigen Monaten, sind die lokalen Kosten wie etwa die Gehälter der Viehtreiber seit Jahresbeginn dramatisch in sich zusammengefallen. So wurde das Saatgut für die quadratkilometerweiten Mais- und Sonnenblumenbepflanzungen noch bei einem Peso-Kurs von eins zu eins gegenüber dem Dollar beschafft. Im Unterschied dazu werden die Einnahmen aus der laufenden Erntesaison, in Peso gerechnet, dreimal höher ausfallen. Mit anderen Worten kann der Währungszerfall der Westschweizer Agro-Gesellschaft nichts anhaben. Im Gegenteil: «Die Inflation spielt uns in die Hände», freut sich der Genfer Ökonom François Mordasini, der als Fertilo-Präsident für Investorenkontakte, Strategiefragen und die Finanzen zuständig ist. «Wir sind genügend gross, um von der schwierigen Situation zu profitieren. Wir haben eine ständige Vertretung in Buenos Aires, die sich um administrative Belange kümmert, und wir sind auch in der Lage, die notwendigen Bankgeschäfte abzuwickeln.»

Unter solchen Voraussetzungen wird es für Mordasinis Geschäftspartner in der Pampa schon beinahe zur Pflicht, die letztjährige Nettorendite von 4,7 Prozent auf den eingesetzten Mitteln deutlich zu übertreffen. Vorteilhafte Wetterbedingungen und höhere Weltmarktpreise scheinen denn auch für eine Rentabilitätssteigerung auf über sechs Prozent zu bürgen (das laufende Geschäftsjahr endet im Juni 2002). Nicht einmal die Einschränkung, dass die Regierungsmannschaft in ihrer Not die Exportsteuern für Agrarexporte kürzlich auf 20 Prozent erhöht hat, wird den finanziellen Erfolg wesentlich trüben. «Wir werden in der Krise gute Geschäfte machen», ist Mordasini überzeugt.

Auf Grund der Beschränkungen beim Kapitalexport werden die Fertilo-Aktionäre heuer gleichwohl auf eine Dividende verzichten müssen. Von den Früchten ihres Investments in die Pampa-Region werden Ernesto Bertarelli, der die Hälfte des Gesellschaftskapitals über die Bertarelli-Familienstiftung eingeschossen hat, Novartis-Grossaktionär Pierre Landolt und die restlichen 70 Kapitalgeber im laufenden Jahr vermutlich nichts sehen. Stattdessen werden Pascal und Joël Vuarambon den gesamten Ernteerlös in Form von zusätzlichen Landreserven und Rindern anlegen. Vor der Wirtschaftskrise erzwungen, stehen die Zeichen bei Fertilo derzeit erst recht auf Expansion.

2500 Hektaren besten Agrarlandes hat die Beteiligungsgesellschaft seit ihrer Gründung erworben; zehnmal mehr wurde für drei bis fünf Jahre hinzugepachtet. Die puzzleartig verstreuten Flächen, auf denen Grünfutter für das Vieh und im Turnus verschiedene Feldfrüchte angebaut werden, liegen bis zu 600 Kilometer voneinander entfernt. Vier Fünftel der Parzellen sind immerhin in einem Umkreis von 200 Kilometern zu erreichen – eine logistische Herausforderung, der nur dank überdurchschnittlichen Fahrleistungen im Jeep und der langjährigen Routine von Pascal Vuarambon begegnet werden kann. Seit Mitte der Achtzigerjahre befasst sich der ältere der beiden Brüder mit dem Management gepachteter Flächen, rekrutiert Vorarbeiter für Landbau und Viehzucht, mietet Maschinen und komplette Erntekolonnen, disponiert an den internationalen Rohstoffbörsen, berät ausländische Investoren und betreibt zu diesem Zweck in Buenos Aires sein eigenes Consultingbüro. Erst vor anderthalb Jahren stiess sein Bruder zum Geschäft.
Umstritten Wege geht Fertilo bei der Soja:
Hier setzen die Vuarambon-Brüder voll auf die Gentechnologie.

Geboren sind Pascal und Joël in der Schweiz, mit nur elfmonatigem Abstand. Bereits im zarten Kleinkindalter nahm Vater Vuarambon die beiden auf seine Farm nach Patagonien mit. Dort wuchsen die beiden auf, bis sich die Eltern Anfang der Siebzigerjahre trennten und die Buben – sie waren damals gerade elf, zwölf Jahre alt – mit ihrer Mutter in die Schweiz zurückkehrten. Während es Pascal nach der Ausbildung wieder nach Argentinien zog, studierte Joël an der Universität Genf Ökonomie, lernte segeln und führte bis vor anderthalb Jahren in der Schweiz das vergleichsweise hektische Leben eines Geschäftsmanns.

Im Süden von Argentinien betreibt der Vater bis dato eine riesige Farm mit 75 000 Hektaren. Gewissermassen Tür an Tür mit dem Westschweizer Emigranten hat der Pullover-Grossist Luciano Benetton einen Flecken Land – grösser als die Schweiz – erworben und produziert darauf seine eigene Wolle. In der Patagonien-Region haben sich in den vergangenen Jahren auch Prominente wie der amerikanische TV-Pionier Ted Turner und der Schauspieler Sylvester Stallone mit Ländereien von feudalen Ausmassen eingedeckt.

Hier, an den Ausläufern der schneebedeckten Anden, befasst sich der Vater heute unter anderem mit der Produktion von Jungrindern, wobei er nur einen Teil der von Fertilo ausgeübten Nachfrage befriedigen kann. Noch bevor die Tiere einjährig sind, werden sie 800 Kilometer nach Nordosten gekarrt und von den Söhnen zur weiteren Aufzucht übernommen. 15 000 Stück Vieh, ausschliesslich kastrierte Jungbullen, besitzt die Gesellschaft heute. Zur Absicherung gegen die aufkeimende Inflation werden im Moment doppelt so viele Rinder hinzugekauft wie sonst zu dieser Jahreszeit üblich. Der Bestand dürfte somit in nächster Zeit noch um einige Tausend Exemplare zunehmen.

Zum Zeitpunkt ihrer Übernahme durch Fertilo bringen die Jungtiere zwischen 120 und 150 Kilogramm auf die Waage. Tag und Nacht unter freiem Himmel, in ihrem Bewegungsdrang kaum eingegrenzt, fressen sich die «glücklichen» Rinder dermassen mit saftigem Gras und Kräutern voll, dass sie bald mehr als 400 Kilogramm wiegen und 14 bis 16 Monate später bereits dem Metzger zugeführt werden können. In der argentinischen Pampa braucht es für derlei naturnahe Turbomast nicht mehr als ab und zu eine Impfung, ein paar Bohrlöcher und sauberes Wasser in der Tränke.

Wenn das Terrain von den Rindern abgegrast ist, verschiebt man einfach den Weidezaun und treibt die Herde ein paar Hundert Meter weiter auf die nächste schmackhafte Wiese. Futterparzelle für Futterparzelle wird der Abgrasungsvorgang auf diese Weise reguliert, was betriebswirtschaftlich gesehen den unbestreitbaren Vorteil hat, dass man für solcherlei Extensivhaltung nur sehr beschränkt auf lokale Arbeitskräfte zurückgreifen muss. Bei Fertilo kümmern sich vier Angestellte um eine 5000-köpfige Rinderherde. Das heisst, auf einen Aufpasser entfallen 1250 Tiere. Die einfachen Viehtreiber verdienen 500 Pesos im Monat (ungefähr 300 Franken). Vorarbeiter und Gebietsverantwortliche bringen es maximal auf das Dreifache. Wenn man bedenkt, dass die Gesellschaft, abgesehen von den saisonal angeheuerten Erntearbeitern, vor Ort gerade einmal 20 Festangestellte mit einer Gesamtlohnsumme von 15 000 Pesos im Monat zählt, wird klar, dass hier mit Organisationstalent und etwas Geschick blendende Geschäfte zu machen sind.

Allein in der Viehzucht könnte die Nettorendite von Fertilo leicht auf über zehn Prozent gesteigert werden, wenn – ja wenn – die Importsperre für Rindfleisch aus Argentinien von der Eidgenossenschaft nur wieder aufgehoben würde. Nachdem die lateinamerikanische Viehzuchtkapitale während Jahren von der Maul- und Klauenseuche verschont geblieben war, wurde die Epidemie vor anderthalb Jahren von Paraguay her ins Land eingeschleppt. In der Schweiz verfügte das zuständige Bundesamt für Veterinärwesen einen sofortigen Einfuhrstopp, der im Prinzip noch so lange gilt, bis die argentinischen Züchter eine flächendeckende Nachimpfaktion abgeschlossen haben. Bei einem Bestand von 52 Millionen Stück Vieh kann so etwas verständlicherweise dauern. Bis heute jedenfalls wartet Fertilo vergeblich auf die Bewilligung, die edelsten Teile ihres Natura-Beef wie geplant per Flugzeug in die Schweiz ausführen und dort vermarkten zu können. «Wir werden mit den Rindern gleich profitabel arbeiten wie im restlichen Agrarbereich», bleibt Pascal Vuarambon vor diesem Hintergrund optimistisch.

«Das grösste Problem, das Fertilo bisher zu verkraften hatte, war die Maul- und Klauenseuche, die uns bisher daran gehindert hat, unser Fleisch zu exportieren», bestätigt der Sandoz-Erbe Pierre Landolt, der im Nordosten von Brasilien seit langem eine eigene landwirtschaftliche Versuchsfarm betreibt. Als erfahrener Tropen-Landwirt weiss Landolt, auf was er sich bei diesem Projekt eingelassen hat. «Es liegt auf der Hand, dass die Möglichkeit latenter Synergien zwischen Fertilo mit meinen Aktivitäten in Brasilien besteht», verrät er. In die angedeutete Richtung könnte etwa das Errichten einer Mahlstation für ökologisch angebaute Soja gehen – in Analogie zu einer Pilotanlage, die Landolt unter der Bezeichnung BioCrush seit Oktober 2000 in der Gegend von Santa Cruz (Bolivien) betreibt. Im Fall von Fertilo wurden bisher nur gerade 300 Hektaren für den biologischen Landbau reserviert. Auf der restlichen, bei weitem überwiegenden Anbaufläche gedeihen die Saaten derweil unter herkömmlichen Behandlungsmethoden. Das heisst, sie werden chemisch gedüngt und periodisch mit Insektiziden und Herbiziden besprüht.

Umstrittene Wege geht Fertilo bei der Soja: Hier setzen die Vuarambon-Brüder der Bequemlichkeit halber voll auf die Gentechnologie und kultivieren ausschliesslich Sojabohnen der Gattung Round-up Ready von Monsanto. Dieses im Reagenzglas «veredelte» Saatgut trägt ein manipuliertes Gen, das es gegen den gleichnamigen Unkrautvertilger (ebenfalls von Monsanto) resistent macht, währenddem sämtliche mitbehandelten Pflanzen absterben. Trotz seinem engagierten Eintreten für den Ökolandbau scheint sich Pierre Landolt an der Ausbringung dieser Gentech-Varietät nicht zu stören. Schliesslich sitzt er im Verwaltungsrat des weltweit führenden Agromultis Syngenta und kann sich in Sachen Pflanzentechnologie nur schon aus diesem Grund keine Berührungsängste leisten. Wenn es gelingen sollte, die Böden dank geringerem Herbizideinsatz nachhaltig zu schonen, sagt er, dann sei ihm das recht.

Beim Fleisch tobt ein ähnlicher Glaubenskrieg. Mit dem Auftreten des Rinderwahnsinns in Europa und der dadurch ausgelösten BSE-Panik hat sich der Fleischappetit der Konsumenten nachhaltig verändert. Irrationalität und Verunsicherung prägen seither das Geschäft. Nur zögerlich scheint sich der Absatz wieder zu beleben. In der Schweiz mit ihrer hochkartellisierten Landwirtschaft bleibt in solchen Marktphasen Heimatschutz Trumpf. Zwar haben diverse EU-Staaten ihre Grenzen für argentinisches Rindfleisch vor Monaten wieder geöffnet, so etwa Deutschland, wo das Genfer Start-up-Unternehmen allerdings noch nicht über die erforderlichen Marketing- und Absatzkanäle verfügt. Zu Hause stehen derweil Grossverteiler wie die Warenhauskette Manor Gewehr bei Fuss, um die begehrtesten Stücke aus der Fertilo-Produktion – Filet, Entrecôte und Rumpsteak – in ihr Fleischsortiment aufzunehmen, sobald die zuständige Berner Amtsstelle geruht, den leidigen Seuchen-Bann aufzuheben.

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