Manchmal prallten Welten aufeinander. Von intensiven, aber fruchtbaren Streitgesprächen berichtet Stefania Misteli, die Kommunikationsverantwortliche von Valora, denn nicht immer habe die Unternehmensleitung vom Berner Handelskonzern dasselbe Bild gehabt wie Hansruedi Imboden und Jiri Chmelik. Die beiden Geschäftsführer und Gründer der Agentur Hilda Design Matters haben den Geschäftsbericht von Valora erstellt und damit den dritten Rang der BILANZ-Gesamtwertung errungen. In der Kategorie Gestaltung sind sie sogar die Sieger.
«Chmelik und Imboden halten uns stets den Spiegel vor», erzählt Misteli, «so kommen wir zu einem idealen Mix von Innen- und Aussensicht.» Eine derart offene Auseinandersetzung ist nur bei grossem gegenseitigem Vertrauen möglich. «Und nur dann wagt der Kunde etwas Mutiges», fügt Chmelik bei. Ziel aller Bemühungen war stets, die Kultur des Unternehmens zu finden und sie in grafische Gestaltung, Texte und Bilder umzusetzen.
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Hierin besteht die grosse Kunst bei der Produktion jedes Geschäftsberichts. Novartis, Swiss Re und Valora, die ersten drei des diesjährigen BILANZ-Geschäftsberichte-Ratings, haben diese Herausforderung auf ganz unterschiedliche Art gemeistert. Swiss Re zum Beispiel hat auf eine Agentur verzichtet.
Mit Com.factory hat Siegerin Novartis zwar eine Agentur unter Vertrag, und doch ist das Verhältnis so eng, dass der Unterschied zwischen externer Agentur und interner Abteilung kaum mehr wahrnehmbar ist. «Unsere Zusammenarbeit ist von einer langen gemeinsamen Erfahrung geprägt», sagt Karen Hübscher, Leiterin des Investor-Relations-Bereichs bei Novartis. So hat Henner Lappe, Gründer und Geschäftsführer von Com.factory, schon vor der Gründung von Novartis an Geschäftsberichten gearbeitet – damals als Mitarbeiter von Ciba-Geigy, die 1996 mit Sandoz zu Novartis verschmolz.
Die Unternehmenskultur von Novartis hat Lappe sozusagen im Blut. Seit der Fusion war er an jedem Geschäftsbericht beteiligt. Selbst an der Entwicklung des Corporate Design arbeitete er mit. Doch die Initiativen und Inhalte kommen von Novartis selbst: «Die Agentur kann nur Supporter sein», sagt Lappe, «niemand kann das Unternehmen besser vermitteln als dieses selbst.»
Zu grosse Nähe zum Unternehmen kann aber auch Nachteile haben. In der Gestaltung etwa kann der Mut zum grossen Wurf fehlen und die Tendenz vorherrschen, lieber beim Bewährten zu bleiben. Just daran mag es liegen, dass Novartis es in der Gestaltungsbewertung mit dem 14. Rang nicht unter die ersten zehn schaffte. «Der Bericht liesse sich noch verbessern, wenn die grosse Detailsorgfalt, die auf den Inhalt verwendet wurde, auch der Gestaltung zugute käme», sagt Peter Vetter, Präsident der BILANZ-Gestaltungsjury. Den ersten Gesamtrang verdankt das Unternehmen vor allem dem Value-Reporting, der Erfüllung betriebswirtschaftlicher Kriterien.
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Dank dem Value-Reporting schaffte es Novartis schon im letzten Jahr an die Spitze des BILANZ-Ratings, in der Kategorie Gestaltung erreichte der Pharmamulti damals den 9. Rang. Die traditionelle Stärke in der betriebswirtschaftlichen Berichterstattung zeigt sich auch daran, dass Novartis bereits im Jahr 2002 beim Value-Reporting das Siegerpodest erklomm, was damals dennoch nur für den 5. Gesamtplatz reichte.
Novartis informiere «sehr offen und ausführlich», sagt Simon Lamprecht, Projektleiter im Juryteam des Bankeninstituts der Universität Zürich, «ein Bericht wie dieser setzt die Standards, nach denen sich alle Berichte ausrichten sollten», ergänzt er. Nicht viele Schweizer Geschäftsberichte weisen zum Beispiel wie Novartis das Einkommen jedes Mitglieds des obersten Managements und der einzelnen Verwaltungsratsmitglieder aus. Dass Daniel Vasella, CEO und Präsident von Novartis, 2003 insgesamt 14,4 Millionen Dollar verdient und wie dieser Lohn sich in Cash und Anlagewerte aufteilt, ist da etwa nachzulesen. Und ebenso, dass es CEO Raymund Breu auf 3,1 Millionen Dollar bringt.
Da Novartis auch an der New-Yorker Börse NYSE kotiert ist, muss das Unternehmen für die US-Börsenaufsicht SEC weit mehr Daten offen legen, als das in der Schweiz erforderlich wäre. Doch die Offenheit gehorcht nicht nur äusserem Druck: «Wie wollen ganz bewusst offen kommunizieren», sagt Karen Hübscher.
Stolz ist man bei Novartis auf die Geschwindigkeit, mit der das Unternehmen seinen Jahresbericht fertig stellt. Ein Umstand, der im BILANZ-Rating nicht bewertet wurde. Der Bericht ist in seinen Gründzügen bereits zum Jahresende fertig – inklusive des Zahlenteils für den Dezember. «Fast Close» nennen die Novartis-Leute das Verfahren, das solches möglich macht. Dank diesem von Malcolm Cheetham, dem Leiter des Bereichs Financial Reporting, eingeführten ausgeklügelten System ist es Novartis möglich, aus dem ganzen Unternehmen weltweit die Daten in kürzester Zeit zusammenzutragen.
Doch Novartis ist ein Pharmaunternehmen und keine Bank. Im Vordergrund sollen daher nicht Zahlen, sondern Patienten und deren Schicksale stehen: «Caring and Curing», Pflegen und Heilen, heisst daher das Konzept, an dem sich der gesamte Geschäftsbericht auszurichten hat. Sowohl in der Bildsprache wie auch in den Texten wird dies deutlich.
Um den Textteil kümmert sich Stephen Moore. Er arbeitete 17 Jahre lang für das «Wall Street Journal», 10 davon berichtete er über die Pharmabranche. Die von ihm geschriebenen oder betreuten Reportagen im Bericht lassen die Leser emotional in die Welt der Krankheiten und ihrer Heilungsversuche eintauchen – die Welt von Novartis.
Da ist etwa die Geschichte eines 27-jährigen Computerberaters in Italien, der an einem Gendefekt leidet und deshalb monatliche Bluttransfusionen braucht, die den Eisengehalt im Körper in gefährliche Höhen treiben. Das Schlimmste ist, dass er sich mit einer tragbaren Pumpe schmerzhafte Infusionen spritzen muss. Der Bericht beschreibt an diesem Beispiel den qualvollen Alltag von Patienten und die Hoffnung, Novartis finde ein Medikament, dank dem Pumpe und ständige Infusionen unnötig werden.
Für den emotionalen Zugang sorgen Bilder zu verschiedenen Aspekten von Gesundheit, Krankheit und Forschung. «Die Fotografien wollten wir bewusst von den Aktualitäten losgelöst halten», sagt Henner Lappe von Com.factory, «hier soll die emotionale Botschaft im Vordergrund stehen.» Für die Bilder engagiert Novartis Spitzenfotografen der renommierten Agentur Magnum. Im aktuellen Bericht hat Nikos Economopoulus die Fotos gemacht, im Bericht des Jahres 2002 war es Martine Franck, die Frau des am 3. August in Südfrankreich verstorbenen Meisters Henri Cartier-Bresson.
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Ihren zweiten Rang in der Gesamtwertung der Geschäftsberichte verdankt auch Swiss Re dem Value-Reporting. In dieser Wertung übertraf die Rückversicherungsgesellschaft alle anderen. In der Gestaltung jedoch erreichte der Bericht, der im Unternehmen selbst hergestellt wurde, nur den 35. Rang. Hier haben die Macher wenig verändert und das Design im Wesentlichen aus den Vorjahren übernommen. «Gestalterisch stagniert der Bericht», konstatiert Peter Vetter, Präsident der Gestaltungsjury, «eine Auffrischung und Anpassung an modernere kommunikative Auffassungen täte ihm gut.»
Hohes Lob erntet das Produkt von Swiss Re von der Jury des Bankeninstituts: «Die gute und übersichtliche Struktur der Informationen überzeugt», sagt Projektleiter Lamprecht, «dazu hat das Management auch den Mut aufgebracht, selbst quantitative Zielvorgaben für 2005 in den Bericht aufzunehmen, an denen es sich messen lassen muss.» Beachtlich ist laut Lamprecht zudem die Umweltberichterstattung, der Bericht führt sogar den durchschnittlichen CO2-Ausstoss pro Mitarbeiter an (dieser beläuft sich auf fünf bis sechs Tonnen jährlich).
«Wie wir es bei der Swiss Re in jedem Geschäftsfeld tun, packen wir auch den Geschäftsbericht an», sagt Johann Thinnhof, Leiter von Corporate Communications bei Swiss Re, «gemeinsam mit unseren Fachleuten entwickeln wir ein neues Produkt.» Der Bericht wird von einem Kernteam aus acht Experten betreut, die zeitweise mehr als 100 Prozent der Arbeitszeit damit beschäftigt sind. Dazu gehört Thinnhof selbst, der für unzählige Jahresberichte die Projektleitung übernommen hatte, diesmal aber vor allem als Berater mitwirkte, während Philippe Brahin die Projektleitung übernahm.
Das Kernteam verfasst den Bericht nicht selber, vielmehr koordiniert es die notwendigen Arbeiten. Die Texte werden entweder von den zuständigen Bereichsleitern verfasst, oder dann führen Mitglieder des Teams mit diesen Interviews durch. «Wir wollen die Experten selber zu Wort kommen lassen», erklärt Johann Thinnhof.
Als besonderer Erfolgsfaktor erweise sich, dass dieses Kernteam nach mehrjähriger Erfahrung sehr gut eingespielt sei, betont Projektleiter Brahin. «Wenn verschiedene Vorstellungen vorherrschen, wie etwas ausgeführt oder dargestellt werden soll, diskutieren wir es aus, bis alle damit leben können», sagt er. Nur selten könnten sie sich nicht einigen. In diesem Fall entscheidet das oberste Management. Innerhalb der Geschäftsleitung ist vor allem Finanzchefin Ann Godbehere Ansprechpartnerin des Kernteams. Auch mit CEO John Coomber trifft es sich regelmässig. Coomber bringt selber seine Korrekturen am Konzept und am Bericht an.
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Die Produktion des Geschäftsberichts sei für alle Beteiligten ein «enormer Lernprozess und auch eine emotionale Herausforderung», sagt Thinnhof, «durch den intensiven gegenseitigen Austausch zwischen allen Ebenen und Arbeitsbereichen des Unternehmens kommt enorm viel zusammen, und das fliesst schliesslich in den Bericht ein.» Für einen solchen intensiven Austausch muss man nicht zwingend im Unternehmen arbeiten. Das zeigt das Beispiel der Zusammenarbeit der Agentur Hilda Design Matters und Valora, der Siegerin der Gestaltungswertung mit dem 3. Platz in der Gesamtrangliste. Die Externen Hansruedi Imboden und Jiri Chmelik sind mit dem Unternehmen mittlerweile intim vertraut. Die Beziehung hat eine längere Geschichte. Schon vor der Gründung ihrer Agentur im Jahr 2003 haben die beiden für Valora gearbeitet, damals noch als Beschäftigte der Agentur Külling Partner Identity. Seit 2001 arbeiten sie an den Geschäftsberichten, und auch das Corporate Design haben sie für das Unternehmen entwickelt.
Das Design des Valora-Berichts vermittle «Kompetenz und Vertrauen», lobt der Präsident der Gestaltungsjury, Peter Vetter. Der Bericht sei «aktuell und nicht trendig gestaltet». Die angemessene Wiedergabe des Unternehmens ist wichtiger als eine Orientierung nach der neusten Mode.
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Dass Chmelik und Imboden Valora gründlich kennen lernen konnten, war selbst CEO Peter Wüst ein grosses Anliegen. Persönlich hat er den beiden seine wichtigsten Stossrichtungen und Präferenzen dargelegt und seine Analyse des Unternehmens präsentiert. «Der direkte Kontakt mit den Entscheidungsträgern im Unternehmen hat die Arbeit besonders befruchtet», so Hansruedi Imboden.
Jiri Chmelik ist Spezialist für das Grafische. Der Grafiker und Dozent für Gestaltung hat es mit Valora bereits dreimal in die Spitzenränge des BILANZ-Geschäftsberichte-Ratings geschafft. 2000, 2001 und 2002 hat er den zweiten Rang in der Gestaltungswertung abgeräumt: mit dem Bericht für die Espace Media Groupe beziehungsweise die Berner Tagblatt Medien, wie das Unternehmen einst hiess. Chmelik ist Mitglied der BILANZ-Jury, welche die Gestaltung der Berichte beurteilt – beim eigenen Werk hatte er allerdings in den Ausstand zu treten.
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Der Ökonom Hansruedi Imboden berät die Kunden auch bei der Darstellung und Wiedergabe betriebswirtschaftlicher Themen. Beim Geschäftsbericht von Valora hat er eng mit den Finanzverantwortlichen des Unternehmens zusammengearbeitet. Sein ökonomisches Fachwissen erleichtert das Verständnis für einen Unternehmenskunden, was wesentlich zur Vertrauensbildung beiträgt.
Beispielhaft für den Valora-Geschäftsbericht ist das Bildkonzept. Chmelik und Imboden haben ein Set von Karten herstellen lassen, wobei jede Karte ein Motiv aus den Geschäftsfeldern und Marken von Valora enthält. Die Breite der Betätigungsfelder ist das Besondere an Valora, zu dem unter anderem die Marken Kiosk, Roland, Kägi oder die Kaffeekette Spettacolo gehören. Diese Kärtchen lassen sich auf verschiedenste Weise zusammenstecken, womit dem Zusammenhang in der Verschiedenheit der Geschäftsfelder Ausdruck verliehen wird. Nicht nur enthält der Bericht verschiedene Bilder von solchen Kärtchen, Kärtchenbauten und mit Zusammenstecken beschäftigten Valora-Leuten – ein solches Kartenset ergänzt zudem den Geschäftsbericht.
Ob mit Spielkärtchen wie bei Valora, einfühlsamen Recherchen wie bei Novartis oder detaillierten und spannenden Informationen wie bei Swiss Re: Geschäftsberichte durchzublättern, kann Spass machen. Wäre das doch bloss die Regel.